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Institut
für Psychogerontologie
Stellungnahme zu ARD-Sendebeitrag “75 - und
dann ist Schluss”
Prof. Wolf D. Oswald, Vorstand des Instituts
für Psychogerontologie der Universität Erlangen-Nürnberg
und derzeitiger Präsident des Dachverbandes
der gerontologischen und geriatrischen wissenschaftlichen Gesellschaften
Deutschlands (dvgg), sowie die ehemalige Bundesministerin
für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Prof. Dr. Dr.
hc. mult. Ursula Lehr, nehmen zur ARD-Sendung "Report aus Mainz"
vom Montag, 2. Juni 2003 wie folgt Stellung:
75 -
und dann ist Schluss!
Mit Befremdung und Empörung
haben wir zur Kenntnis genommen, dass sich Professoren, die sich
bisher keineswegs auf dem Gebiet der Geriatrie/Gerontologie ausgewiesen
haben, für Altersgrenzen im Hinblick auf medizinische Leistungen
ausgesprochen haben. So sollen 75jährige keine Dialyse-Behandlung
mehr erhalten, auch Krebs- und Herzoperationen (nicht etwa Herztransplantationen!)
sollten von diesem Alter an nicht mehr durchgeführt werden.
Dies ist eine menschenverachtende
Einstellung und mit dem Eid des Hippokrates keineswegs vereinbar!
Wer entscheidet denn über den Wert des menschlichen Lebens,
der hier offenbar allen über 75jährigen abgesprochen wird?
Die Diskussion über "lebensunwertes Leben" kennen
wir aus unserer düsteren Vergangenheit. Mit dieser Forderung
ist der Euthanasie Tür und Tor geöffnet. - Heute sollen
über 75jährige nicht mehr nach allen Regeln der ärztlichen
Kunst behandelt werden, morgen dann, wenn die Kassen immer noch
rote Zahlen schreiben, vielleicht schon 60-jährige oder 50jährige
nicht mehr, oder gar Behinderte überhaupt nicht? In was für
einer Gesellschaft leben wir? In einer, in der es Pflicht wird,
mit 75 bei roter Ampel über die Straße zu gehen?
So lösen wir die
Probleme des demografischen Wandels gewiss nicht; so beschwören
wir einen Konflikt zwischen den Generationen herauf, einen Verteilungskampf
zwischen Jung und Alt. Diejenigen, die den demografischen Wandel
herbeigeführt haben (und das sind die Jüngeren, die jetzt
bevorzugt medizinische Leistungen erhalten sollen) werden belohnt,
während die Generation, die noch JA zu Kindern sagte, bestraft
werden soll. Natürlich müssen wir uns alle einschränken,
- aber dann in puncto medizinischer Behandlung Junge wie Alte in
gleicher Weise! Dann muss eben der Selbstkostenbeitrag, vor allem
bei Bagatellerkrankungen, höher sein. Es geht nicht, dass das
Lebensalter darüber entscheidet, ob man bei einem Koma-Patienten
das Gerät abschaltet oder nicht, ob man Ärzte zwingt,
im Hinblick auf die Gewährung einer Dialyse Scharfrichter zu
spielen (wie es viele Ärzte zu DDR-Zeiten empfunden haben).
Forschungen der Gerontologie
- und zum Teil auch der Geriatrie - haben die Fragwürdigkeit
von Altersgrenzen immer wieder hervorgehoben. Plötzlich will
man eine Altersgrenze einführen, die einschneidender erlebt
wird als die Altersgrenze im Hinblick auf die Berufstätigkeit.
Wie viele Menschen hat diese Aussage eines Professors für christliche
Gesellschaftslehre, der zudem noch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft
Deutscher Sozialethiker ist, verunsichert? Kann er das verantworten?
Wenn wir zudem noch das
Verhältnis der 75jährigen und Älteren zu den Jüngeren
uns anschauen, das vor hundert Jahren 1: 79 ausmachte, heute 1:12,4
beträgt und in gut 20 Jahren sogar 1: 6,2 sein wird, dann würden
die vorgeschlagenen Maßnahmen eine erhebliche Reduzierung
der Bevölkerung in Deutschland bedeuten, dann würde "Humankapital",
wie es heute so schön heißt, in hohem Ausmaß vernichtet
werden. Wir kämpfen um den Erhalt jeder einzelnen befruchteten
Eizelle und erklären das Leben von über 75jährigen
von vorneherein als nutzlos! Ist das Ethik?
Wir wenden uns gegen
eine jede Abwertung des Alters, aber gegen diese Form der Altersdiskriminierung
in ganz besonders entschiedener Weise.
Univ.-Prof. Dr. Wolf D. Oswald
Prof. Dr. Dr. hc. mult. Ursula Lehr
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Wolf. D. Oswald
Institut für Psychogerontologie
Tel.:
09131/ 85-26526
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