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Studie über die Vitalität slavischer Idiome in Deutschland

Die Heimatsprache prägt ein Drittel des Tages

Wenn zwei bis drei Generationen in Deutschland gelebt haben, ändert sich bei Zuwanderern aus Russland, Bulgarien und der Ukraine, aus Polen oder der Tschechischen Republik der alltägliche Sprachgebrauch. Den Eltern gegenüber wird noch häufig die Sprache des Herkunftslandes verwendet; bei den Kindern, für die das Deutsche ohnehin attraktiver ist, kommt das schon seltener vor. Dr. Jörn Achterberg vom Institut für Slavistik der Universität Erlangen-Nürnberg, der die Vitalität slavischer Sprachen bei Immigranten in Deutschland untersucht hat, nennt zwei Gründe, die für die fortdauernde Pflege der Idiome von ethnischen Minderheiten sprechen. Den Einwanderern verleihen sie das Gefühl von Rückhalt und Verwurzelung; für die Gesellschaft können sie ein Reservoir an Wissen sein, das die Integration erleichtert.

Deutschlandweit hat Dr. Achterberg 500 Personen in seine Untersuchung einbezogen. Eine beachtliche Anzahl der Befragten lebt in der Region Mittelfranken. Der Forscher wollte wissen, wie es um das aktuelle Sprach- und Sozialverhalten von Zuwanderern aus slavischen Ländern steht, in welchen Situationen, bei welchen Themen und mit welchen Gesprächspartnern die Unterhaltung in der Heimatsprache geführt wird. Aus diesen Daten ließ sich rekonstruieren, wie lebendig slavische Sprachen heute in Deutschland sind. Zudem wurde herausgearbeitet, inwiefern außersprachliche Faktoren wie Haltungen und Motivationen, Selbstbild und soziales Netzwerk das Sprachverhalten bestimmen.

Zum Erhalt der slavischen Sprachen trägt nicht nur der Familien- und Freundeskreis bei. Am Arbeitsplatz, in der Kirche oder im Verein sind sie ebenfalls gebräuchlich. Im Durchschnitt nimmt das Deutsche - als offizielle, dominante Sprache - nur zwei Drittel des Tages in Anspruch; ein Drittel gehört noch der Sprache der Vorfahren. Westslaven, die sich eher als Mitteleuropäer definieren, passen sich tendenziell auch sprachlich schneller an als Immigranten aus ost- und südslavischen Ländern. Der anhaltende Zustrom von Einwanderern gleicht derzeit noch den „Sprachschwund“ aus, den sinkende Sprecherzahlen mit sich bringen. Langfristig können die slavischen Sprachen in Deutschland jedoch nur am Leben gehalten werden, wenn Eltern sie bewusst an ihre Kinder weitergeben. Ein entscheidender Bestandteil von Identität, Kultur und ethnischer Zugehörigkeit geht sonst verloren.

Mit der Studie zum Sprachverhalten slavophoner Immigranten hat Dr. Achterberg ein Thema aufgegriffen, das in der Forschung wenig Beachtung erfährt, obwohl die deutsche Sprachenlandschaft zunehmend durch Immigrantensprachen geformt wird und ein ständig wachsender Teil der Bevölkerung im Alltag mehr als eine Sprache verwendet. Die Dissertation ist vor kurzem in der Reihe „Slavistische Beiträge“ (München: Kubon und Sagner) publiziert worden.

Weitere Informationen

Dr. Jörn Achterberg
Lehrstuhl für Slavische Philologie
Tel.: 09131/85 -22943
jnachter@phil.uni-erlangen.de

 

Mediendienst Forschung-Aktuell Nr.738 vom 14.03.2005


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