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Molekulare
Strukturen nach dem Vorbild des Gyroskops synthetisiert
Erste Kreiselmoleküle drehen sich in Erlangen
152 Jahre nach der Erfindung des Gyroskops, bei Spielzeug-Fans besser
als Kreisel bekannt, haben Chemiker der Universität Erlangen-Nürnberg
sein nahezu exaktes molekulares Abbild synthetisiert. Die ersten
molekularen Kreisel könnten die Vorreiter einer völlig
neuen Klasse von Molekülen sein, die für die Nanotechnologie
großen Nutzen versprechen. Von dem Erfolg des japanischen
Gastwissenschaftlers Dr. Takanori Shima am Lehrstuhl für Organische
Chemie von Prof. Dr. John A. Gladysz wird die renommierte Fachzeitschrift
„Angewandte Chemie“ im Oktober 2004 auf ihrer Titelseite
berichten.
Die meisten
Kinder und viele Erwachsene sind davon fasziniert, wenn ein Kreisel,
per Hand oder Schnur geschickt in Drehung versetzt, eine Weile auf
der Spitze tanzt, bevor er abkippt und zur Ruhe kommt. Spielzeuggyroskope,
eine Kreisel-Variante, bestehen aus zwei Teilen, dem „Rotator“,
einer rotierenden Achse und Scheibe, und dem „Stator“,
zwei bis vier feststehenden Speichen, die beide Enden der Achse
verbinden. Ohne äußere Krafteinwirkung behält die
Rotationsachse ihre Orientierung bei. Wirkt eine Kraft - in vielen
Fällen die Gravitationskraft - kommt es zum Phänomen der
Präzession.
Erfunden hat
der französische Wissenschaftler Jean Foucault das Gyroskop
im Jahr 1852. Zahlreiche praktische Anwendungen sind seither entwickelt
worden. Sie reichen von Anti-Überroll-Stabilisatoren für
Schiffe und Hochgeschwindigkeitszüge bis zu Gyro-Kompassen
und Navigationssystemen. Sie sind integraler Bestandteil in Flugzeug-Autopiloten,
Virtual-Reality-Helmen, und sie helfen bei der Ausrichtung von Raumstationen.
Bei Chemikern
rufen heutzutage Bauteile aus wenigen Molekülen Faszination
hervor, wie Gleichrichter, Transistoren und Drähte, die in
der Nanotechnologie eingesetzt werden können. Ein Gyroskop
konnte jedoch bisher nicht im molekularen Maßstab nachgebaut
werden. Drei Merkmale werden dafür verlangt: die Konnektivität,
also die stabile Verbindung von Stator und Rotator; die Symmetrie
und die Rotationseigenschaften, die ein einfacher Spielzeugkreisel
aufweist.
Achse
aus drei Atomen
Im Arbeitskreis von Prof. Gladysz basteln Wissenschaftler seit einiger
Zeit an den Bestandteilen molekularer Kreisel. Als Achse kann eine
dreigliedrige Kette dienen, eine Phosphor-Metall-Phosphor-Reihe.
Kniffliger war es, von einem Achsenende zum anderen Brücken
zu schlagen, die den Speichen des Gyroskops entsprechen. Eine neuartige
Reaktion, die Alken-Metathese, die eine Doppelbindung von zwei Kohlenstoff-Atomen
aufbaut, bot zwar brauchbare Ansätze, doch war zunächst
keine befriedigende Ausbeute zu erzielen.
Der Durchbruch
zur Synthese von Verbindungen, die sämtliche Eigenschaften
von Spielzeuggyroskopen aufweisen, ist Dr. Takanori Shima nun gelungen.
Den Platz im Zentrum der Konstruktion nimmt ein Eisenatom ein. Es
steht in der Mitte der Achse zwischen den zwei Phosphoratomen; zugleich
bildet es mit drei Kohlenmonoxid-Molekülen eine sogenannte
Eisentricarbonyl-Gruppe. Um die Gruppe schließt sich ein Käfig
aus drei Gitterstäben, die jeweils von einem Phosphoratom zum
anderen den Bogen schlagen. Jede dieser Speichen besteht aus 10
bis 14 aneinanderhängenden Methylengruppen, die zunächst
wie lose flatternde Teilbänder an beiden Achsenenden angeheftet
sind und über eine dreifache Alken-Metathese zu Verbrückungen
geschlossen werden. Nachfolgende katalytische Reaktionen stabilisieren
den Käfig. In dessen Mitte hat die Gruppe um das Eisenatom
genug Platz zum Rotieren, wenn die Zahl der Brückenglieder
größer als zehn ist. So lässt sich eine Rotationsbarriere
über die Länge der Methylenkette einführen.
Die Brücken sind geschlossen: In diesem vereinfachten
Modell eines
molekularen Kreisels wird die rotierende Eisenverbindung durch die
an der Achse angebrachte Scheibe symbolisiert.
Abbildungen: Dr. Frank Hampel, Lehrstuhl für Organische Chemie
I
Kreisel-Antriebe
für molekulare Motoren
An leicht modifizierten Gyroskop-Molekülen konnte die Rotationsgeschwindigkeit
gemessen werden. Bei Raumtemperatur drehen sich molekulare Kreisel,
deren Speichen aus 14 Gliedern zusammengesetzt sind, demnach pro
Minute mehr als eine Million mal um sich selbst. Ob ein Molekül
sich im oder gegen den Uhrzeigersinn dreht, ist vom Zufall bestimmt.
Molekulare Motoren bräuchten allerdings Rotatoren, die eine
gleichartige Drehrichtung einhalten. In der Erlanger Gruppe wird
nun daran gearbeitet, dieses Problem mit Hilfe elektrischer Felder
zu lösen; auch eine „molekulare Bremse“ wird für
denkbar gehalten.
Dr. Shima, dessen
Forschungsaufenthalt in Erlangen durch die Alexander-von-Humboldt-Stiftung
gefördert wurde, ist inzwischen nach Japan zurückgekehrt.
Seine Arbeiten werden von Dr. Michael Otto weitergeführt, unterstützt
von Agnieszka Nawara, einer Doktorandin aus Polen, und weiteren
neu hinzugekommenen Teammitgliedern.
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Dr.
Frank Hampel vom Lehrstuhl für Organische Chemie I hat
mittels Röntgen-Analyse, einer Art molekularer Fotografie,
die Struktur von Gyroskop-Molekülen bestimmt, deren drei
„Speichen“ aus je 14 Methylen-Gliedern bestehen,
und das Ergebnis auf unterschiedliche Art bildlich dargestellt.
Der „Rotator“ in der Mitte ist versetzt zu den Speichen
ausgerichtet, so dass sich ein äußerst symmetrisches
Gebilde ergibt. |
Weitere Informationen
Prof. Dr. John
A. Gladysz
Lehrstuhl für Organische Chemie I
Tel.: 09131/85- 26865
gladysz@chemie.uni-erlangen.de |