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Konsequenzen aus PISA
Mehr fachdidaktische Kompetenz im Deutschunterricht

Mehr als 40 Prozent der 15-jährigen Deutschen lesen nicht aus Vergnügen, fast ein Viertel der Schüler erreicht bei der Lesekompetenz nur die niedrigste Leistungsstufe, und Lehrer können nur einen Bruchteil schlecht lesender Schüler identifizieren. Diese und andere Ergebnisse aus der PISA-Studie forderten führende Deutschdidaktiker und -didaktikerinnen zu einer umfassenden und wissenschaftlich fundierten Stellungnahme heraus. Das Ergebnis ist der Sammelband „Deutschdidaktik und Deutschunterricht nach PISA“.

Dieser spiegelt nicht nur das breite Spektrum an erkennbar gewordenen Problemen wider. Der praxisorientierte Band ist als Hilfe für alle gedacht, die sich auf dem Gebiet „Erwerb von Lesekompetenz“ theoretisch und praktisch orientieren wollen: Lehramtsstudierende, Deutschlehrer/innen sowie Veranstalter von Fortbildungen. Herausgeber des Bandes sind Volker Frederking vom Lehrstuhl Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg zusammen mit Ulf Abraham, Albert Bremerich-Vos und Petra Wieler. Das Buch ist im Fillibach-Verlag, Freiburg, erschienen.

Die jetzt veröffentlichte Untersuchung renommierter Deutschdidaktiker und -didaktikerinnen setzt sich mit Fragen zur Lesekompetenz deutscher Jugendlicher im Horizont der PISA-Ergebnisse auseinander. Der so genannte PISA-Schock, inzwischen schon zwei Jahre zurückliegend und zum Synonym für eine in ihrem kulturellen Selbstbild massiv getroffene Gesellschaft geworden, muss für den Deutschunterricht Konsequenzen haben. „Zwar hat die Forschung bereits Ende der achtziger Jahre Probleme bei der Lesemotivation deutscher Heranwachsender festgestellt“, betont Prof. Frederking. „Doch die Schlussfolgerungen sind bis heute nicht in erforderlichem Maße umgesetzt worden. Nach PISA muss sich dies ändern. Denn PISA hat u.a. deutlich gemacht: Lesekompetenz setzt Lesefreude voraus. Der Deutschunterricht muss deshalb zu einem Ort lebendiger Literaturbegegnung werden, der das Interesse am Lesen fördert und Raum zu kreativer sprachlicher Selbst- wie Kulturerfahrung eröffnet. Besonders alarmierend ist in diesem Zusammenhang das Ausmaß der Leseunlust männlicher Jugendlicher. Hier muss der Deutschunterricht gezielt ansetzen.“ Ein generelles Problem, auf das der Band ebenfalls aufmerksam macht: Deutsch wird als Grundlage der anderen Fächer verkannt. Denn wie sollen Schüler Textaufgaben in Mathe oder Physik verstehen, wenn sie kein Textverständnis haben?

Politik soll Chancen auf gutes Deutsch steigern
Der Adressatenkreis für die Forderungen der engagierten Deutschdidaktiker und -didaktikerinnen beschränkt sich aber nicht nur auf Deutschlehrkräfte und die an ihrer Ausbildung Beteiligten. Auch die interessierte Öffentlichkeit und die mit Fragen von Forschung und Bildung befassten politisch Verantwortlichen im Land sind angesprochen. Denn der „Supertanker Bildungswesen“, so die Herausgeber, hat einen langen Bremsweg: Wer für die Zukunft umsteuern will, muss das Ruder jetzt umlegen - allerdings mit Bedacht und unter Beteiligung der entsprechenden Fachleute.

Diese Fachleute - das Gros stammt aus einem Arbeitskreis, der sich auf der letzten Jahrestagung des „Symposion Deutschdidaktik“, des Dachverbandes aller Deutschdidaktiker/innen, in Jena 2002 konstituierte - haben im vorliegenden Band nun Maßstäbe gesetzt. Neben neuesten Erkenntnissen zu theoretischen Grundlagen und der kritischen Auseinandersetzung mit der PISA-Studie aus deutschdidaktischer Perspektive werden Ursachen und praktische Konsequenzen des schlechten Abschneidens deutscher Schüler und Schülerinnen im Bereich der „Lesekompetenz“ analysiert.

Diskutiert wird in dem Band dabei auch ein erstaunlicher Sachverhalt: Nach jüngst veröffentlichten ersten Ergebnissen aus IGLU (Internationale Lese-Untersuchung im Grundschulbereich) haben deutsche Viertklässler sowohl im Bereich des Leseinteresses als auch der Lesekompetenz erheblich bessere Ergebnisse erzielt als die bei PISA getesteten 15-Jährigen. Dieser Befund macht deutlich: Besonders die Sekundarstufe I vermag es innerhalb des deutschen Schulwesens offensichtlich nicht, den Schülerinnen und Schülern genügend Lesefreude und Lesekompetenz mit auf den Weg zu geben.

Die Deutschdidaktik hat zur Behebung dieses Problems vielversprechende Konzeptionen entwickelt, wie der Sammelband zeigt. Diese müssen Lehrsamtsstudierenden in verstärktem Maße vermittelt werden. Gleichzeitig ist die Fort- bzw. Weiterbildung zu intensivieren. Denn viele der heute tätigen Deutschlehrer und Deutschlehrerinnen wurden in einer Zeit ausgebildet, da Kindheit und Jugend noch anders verliefen. Auf den Wandel von Interessenschwerpunkten und Lernvoraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler sind sie oft nur unzureichend vorbereitet. Dennoch müssen sie tagtäglich mit dem weiter wachsenden Einfluss von Fernsehen, Internet & Co. auf Kinder und Jugendliche umgehen.

Auch deshalb gilt, wie Prof. Frederking unterstreicht: „Der Deutschunterricht kann nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahrzehnten, von einer selbstverständlichen Lesebereitschaft, Leselust und Lesekompetenz bei den Heranwachsenden ausgehen. Darauf müssen wir die Studierenden vorbereiten: durch eine verbesserte fachdidaktische Kompetenz. Nur auf diese Weise lässt sich die Lesekompetenz nachhaltig steigern.“ Denn die Lehrenden benötigen Klarheit über Unterrichtsziele und moderne Unterrichtsmethoden.

Die Herausgeber des Bandes fordern daher den Anteil der Deutschdidaktik in der Lehramtsausbildung spürbar zu erhöhen und, damit einhergehend, die Deutschdidaktik an den Universitäten personell zu stärken. Diese Forderung deckt sich mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Neustrukturierung der Lehrerausbildung.

Weitere Informationen

Rof. Dr. Volker Frederking Tel.: 0911/5302-558
vrfreder@ewf.uni-erlangen.de

 

Mediendienst Forschung-Aktuell Nr.686 vom 11.02.2004

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