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Vergleichende
Studie zu antisemitischen Einstellungen in Deutschland
Als Nachbarn weniger abgelehnt
Es wird besser, aber es ist noch nicht vorbei: Antisemitismus unter
Deutschen. In Form eines frisch veröffentlichten Arbeits- und
Diskussionspapiers mit dem Titel „Antisemitische Einstellungen
in Deutschland in den Jahren 1994 und 2002. Ein Vergleich zweier
Studien des American Jewish Committee, Berlin“ vergleichen
Reinhard Wittenberg und Manuela Schmidt antisemitische Einstellungen
in Ost und West und ihren Wandel. Die Wissenschaftler der Wirtschafts-
und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität
Erlangen-Nürnberg arbeiteten mit zwei repräsentativen
und relativ aussagekräftigen Bevölkerungsumfragen, die
1994 und 2002 im Auftrag des American Jewish Committee AJC, Berlin,
von Emnid und Infratest durchgeführt worden waren. Im Mittelpunkt
stand die Frage, ob und wenn ja, wie sich das Ausmaß antisemitischer
Einstellungen in Deutschland seit 1994 geändert hat. Die Frage
ist besonders von Interesse, da infolge von spektakulären Äußerungen
einiger Politiker und Schriftsteller das Problem eines mehr oder
minder latenten Antisemitismus in Deutschland erneut auf die Tagesordnung
geraten ist.
Grundsätzlich
lässt sich sagen: Der seit vielen Jahren anhaltende Trend zur
Abschwächung antisemitischer Einstellungen in Deutschland setzt
sich fort. Der Anteil jener Befragten, die Juden „lieber nicht
als Nachbarn haben wollen“, hat sich von 1994 bis 2002 von
23,4 auf 18,4 Prozent reduziert. Ebenso sank der Prozentsatz jener,
die meinen, „Juden fordern durch ihr Verhalten Feindseligkeiten
in unserem Land heraus“, von 8,0 auf 6,4 Prozent. Der Anteil
Befragter, der es für möglich hält, dass „die
Vernichtung der Juden durch die Nazis niemals stattgefunden hat“,
reduzierte sich sogar von 9 auf 1,9 Prozent.
Mit dieser positiven
Entwicklung auf individueller Ebene korrespondiert die Einschätzung,
wie es generell mit dem Ausmaß des Antisemitismus bestellt
ist: Der Anteil von Befragten, die der Meinung sind, dass der Antisemitismus
in unserem Land ein sehr ernstes Problem darstellt, schrumpfte von
28,5 auf 18,6 Prozent. Nur noch etwa 40 Prozent meinen, dass der
Antisemitismus in Deutschland zunehmen könnte. 1994 waren es
noch mehr als die Hälfte (54,1 Prozent) gewesen. Und eine weitere
Veränderung ist bemerkenswert: Bereits 1991 hatte eine repräsentative
Umfrage von Wittenberg gezeigt, dass die Deutschen im Ostteil signifikant
weniger antisemitisch als im Westteil eingestellt sind. Obwohl der
Vergleich der späteren Daten von 1994 und 2002 eine Annäherung
im Meinungsklima zeigt, bleibt auch 2002 ein deutlicher Unterschied
zwischen antisemitisch eingestellten Ostdeutschen (7 Prozent) und
Westdeutschen (14,2 Prozent) bestehen. Im deutschen Durchschnitt
muss man von etwa 11,3 Prozent Antisemiten ausgehen.
Getrübt
wird das insgesamt positive Bild allerdings durch die Antworten
auf die Frage nach den „Einfluss von Juden auf das Weltgeschehen“
und der „Ausnutzung des Holocaust durch Juden“. Bezüglich
des jüdischen Einflusses hat sich zwar der Anteil jener Befragter,
die sich antisemitisch äußern, also „vollkommen“
oder „eher zustimmend“ geantwortet haben, von 60,4 auf
51,5 Prozent verringert. Bedenklich stimmt aber, dass der Prozentsatz
jener, die einer „Instrumentalisierung des Holocaust“
durch die Juden das Wort reden, zwischen 1994 und 2002 um 15,4 Prozentpunkte
von 48,3 auf 63,7 Prozent gestiegen ist. Diese bereits auf ein hohes
Ausgangsniveau von 1994 aufsetzende Zunahme gibt Anlass, über
dahinter liegende Gründe nachzudenken. Wenn hierfür auch
bisher kein abgesicherter empirischer Beleg vorgelegt werden kann,
so ist doch zu vermuten, dass vor allem die durch Martin Walser
und Jürgen W. Möllemann los getretene neuerliche Antisemitismusdebatte
und die damit einher gehende mediale Aufmerksamkeit sich im Jahre
2002 diesbezüglich mehr oder minder unterschwellig ausgewirkt
haben.
Der Ansicht,
„Instrumentalisierung des Holocaust“ durch die Juden,
die man durchaus als Indikator für „sekundären“
Antisemitismus ansehen kann, stimmten 2002 im Osten mehr als doppelt
so viele Befragte zu wie 1994 (60,8 zu 26,9 Prozent). Damit korrespondiert,
dass im östlichen Teil Deutschlands auch das Holocaust-Denkmal
kritischer als 1994 betrachtet wird. Die Gründe für die
verschiedenen Einstellungsänderungen konnten die Autoren des
Vergleichs jedoch nicht klären. Sie gehen davon aus, dass dazu
ein in Stichprobenziehung und Befragungsinhalten identisch strukturiertes
Erhebungsverfahren in Form eines Forschungsprogramms nötig
sei, das es bisher jedoch noch nicht gibt. Nur wenn ein solches
Verfahren zur Verfügung stünde, wäre es möglich,
zu überprüfen, ob die vermeintliche Zunahme antisemitischer
Äußerungen in Deutschland tatsächlich auf einen
Einstellungswandel in der Bevölkerung zurückzuführen
ist, oder ob sie nicht vielmehr allein der medialen Berichterstattung
über die Meinungsbekundungen prominenter Einzelfälle entsprungen
ist. Ein offizieller Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem Zentralrat der Juden in Deutschland genügt jedenfalls
nicht, noch bestehende, wenn auch sicherlich nicht zu dramatisierende
antisemitische Tendenzen in der deutschen Bevölkerung zu verringern.
Weitere Informationen
Dr. Reinhard
Wittenberg
Tel: 5302-699
E-Mail: wittenberg@wiso.uni-erlangen.de
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