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Schmerzforschung
bezieht Impulse aus dem Paprika-Inhaltstoff Capsaicin
Wenn die Hitzeschwelle sinkt
Eigentlich wird die Zentrale falsch informiert. "Verbrennungsgefahr!",
besagt die Meldung. "Hier ist es unerträglich heiß!"
Tatsächlich herrscht nicht mehr als normale Körperwärme,
vielleicht sogar nur Raumtemperatur. Um Fehlalarm handelt es sich
trotzdem nicht. Zwar bringt keine heiße Herdplatte oder offene
Flamme den Organismus in Gefahr; dennoch ist er bedroht, und das Gehirn
interpretiert das Signal korrekt als generelle Warnung. An der Universität
Erlangen-Nürnberg verfolgen drei Arbeitsgruppen im Detail, wie
Hitzeempfindlichkeit in der Schmerzwahrnehmung zum Vielzweck-Werkzeug
wird. Ein Pharmakologe aus Ungarn hatte als Erster den Weg dazu gewiesen.
Hundert Jahre
alt wäre Professor Nikolaus Jancso im April 2003 geworden.
Auf dem Schreibtisch von Professor Peter Reeh vom Institut für
Physiologie und Experimentelle Pathophysiologie liegt seither die
Medaille, in die das Profil des Begründers der Capsaicin-Forschung
eingeprägt ist. Capsaicin verleiht der Paprika ihre "typisch
ungarisches" Feuer. Jancso hatte den natürlichen Wirkstoff,
der auch die Schärfe von Peperoni oder Chili-Schoten ausmacht,
isoliert und damit experimentiert. "Er war verblüfft über
dessen Selektivität", berichtet Prof. Reeh. "Ausschließlich
Nozizeptoren, schmerzleitende Nervenfasern, werden davon erregt.
Sie degenerieren sogar, wenn sie der Substanz länger ausgesetzt
werden, während andere Nerven völlig unberührt bleiben."
Der Gedanke
lag nahe, dass es einen eigenen Rezeptor geben müsse, ein Molekül
an der Oberfläche der Nervenzellen, in das sich ein Capsaicin-Molekül
einfügt wie ein dreidimensionales Puzzleteilchen. Der Rezeptor
wurde gefunden und führte zur nächsten Schlussfolgerung:
dass körpereigene Botenstoffe vorhanden sein müssten,
die eigentlichen Partner, die den Nervenreiz auslösen sollen.
Moderne molekularbiologische Methoden, die es erlauben, schnell
und in großer Zahl identische Protein-Moleküle nach einem
Muster herzustellen, halfen Ende der 90er Jahre, passende Substanzen
zu entdecken. Für das Entstehen von Schmerz spielen sie jedoch
keine große Rolle. Ein anderer Auslöser stellte sich
als entscheidend heraus: die Temperatur.
"Der Capsaicin-Rezeptor
wurde als hitzeaktivierter Ionenkanal entlarvt", erklärt
Prof. Reeh. Sobald die Wärme über die Schmerzgrenze steigt,
öffnet sich der Kanal und lässt positiv geladene Ionen
passieren, was die Nervenzelle veranlasst, ihr Warnsignal abzugeben.
Dass in der Haut solche hitzeempfindlichen Zellen zu finden sind,
ist leicht als sinnvoll zu begreifen. Wer mit dem Feuer spielt,
zuckt unwillkürlich zurück. Aber welchen Nutzen haben
Nozizeptoren in Brustfell und Hirnhaut, im Dickdarm und in der Bauchspeicheldrüse,
wenn sie auf 46° Celsius reagieren, einem Punkt auf der Messlatte
für Körpertemperaturen, an dem Mensch und Tier längst
tot sind? In der Überkapazität liegt ein Hinweis auf die
Reichweite des Wahrnehmungsmechanismus. Sie bildet eine Art Pufferzone,
denn bei jeder Art von Entzündung sinkt die Reaktionsschwelle
auf niedrigere Temperaturen, eventuell unter die Körpertemperatur.
Dann meldet die Nervenzelle "Hitze", und das Nervensystem
übersetzt die Botschaft in "Schmerz". Unter anderen
Vorzeichen haben die meisten Menschen selbst schon erfahren, wie
diese Kommunikationskette funktioniert: Entzündungsschmerz
lässt sich durch Kühlung lindern, allerdings nur vorübergehend.
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Verschiedene Auslöser
veranlassen den Capsaicin-Rezeptor dazu, positive Ionen passieren
zu lassen.
Die Alarmanlage
des Körpers für Entzündungen hat sich inzwischen
als recht vielseitig erwiesen. Capsaicin-Rezeptoren besitzen Regionen,
die auf Hitze, Säure, Schärfe oder Alkohol reagieren (vgl.
Abbildung). Die Sensibilitätsschwelle wird jeweils durch Phosphor-Bindung
gesenkt. Dafür verantwortlich ist, wie Prof. Reeh es nennt,
eine "inflammatorische Suppe", ein Cocktail von Mediatoren,
also Botenstoffen, die bei Entzündungen ausgeschüttet
werden. Von den beteiligten Substanzen und ihrem Ineinandergreifen
ist mittlerweile manches bekannt, anderes noch ungeklärt. Darüber
hinaus existieren vier Arten solcher Ionenkanäle, die auf verschiedenen
Genen "festgeschrieben" sind an der Schmerzentstehung
auf unterschiedliche Weise beteiligt sein können. Auf dem scheinbar
eng gefassten Arbeitsfeld gibt es für die drei Forscherteams
in Erlangen reichlich zu tun.
Organisatorisch
sind die Untersuchungen im Sonderforschungsbereich "Pathogenese
der Schmerzentstehung und Schmerzbehandlung" angesiedelt.
Prof. Dr. Michaela Kress leitet eine Arbeitsgruppe, in welcher
der so genannte Transduktionsmechanismus der Sensibilisierung
analysiert wird. Damit ist der gesamte Ablauf von der Bindung
an den Rezeptor über die dadurch ausgelöste Kaskade
zellbiologischer Prozesse bis zum "Feuern" der Nervenzelle
gemeint.
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Prof.
Kress wird nur noch bis Herbst 2003 in Erlangen bleiben, denn
sie hat den Ruf auf einen Physiologie-Lehrstuhl in Innsbruck
angenommen. Ein Emmy-Noether-Stipendium der Deutschen Forschungsge-meinschaft
ermöglicht Dr. Carla Nau die Erforschung der Fein-struktur
des Rezeptorprot-eins.Gezielte
Mutationen tauschen abwechselnd jede einzelne der eingebauten
Aminosäuren
aus,
damit
deren Funktion bis ins kleinste
nachvollziehbar
wird.
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Arbeitsgruppen in der Capsaicinrezeptor-Forschung
Prof.
Dr. Michaela Kress
Dr. Otilia Obreja
Parvinder Kaur Rathee, Doktorandin
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PD Dr.Carla Nau, Emmy-Noether-Stipendiatin
Durga P. Mohapatra, Doktorand
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Prof. Dr. Peter Reeh
Dr. Susanne Sauer, HWP-Stipendiatin
Matma Gautam, PhD
Dr. Gabor Pethö |
Prof.
Reeh und seine Mitarbeiter, darunter eine HWP-Stipendiatin,
studieren an Hand von Nervenzellpräparaten die Rolle des
Capsaicin-Rezeptors als Auslöser von Schmerz. Die Teams
können als Modell für praktizierte Inter-nationalität
gelten. Ein Ungar und eine Rumänin gehören dazu, aus
Indien zudem ein Ehepaar und eine Doktorandin. |
“Zugepropfter”
Ionenkanal
Für sie alle gilt trotz unterschiedlicher Ansätze und
Methoden dasselbe Fernziel: die Alarmglocke abzuschalten, die unentwegt
weiter schrillt, obwohl der Schaden den Nutzen längst überwiegt;
das bedeutet: herauszufinden, wie und wo die Kette zu unterbrechen
ist, die den Mechanismus bei chronischen Schmerzen in Gang hält.
Zwar gibt es Medikamente, die einige der beteiligten Botenstoffe
hemmen. Gegen Prostaglandine beispielsweise helfen Acetylsalicylsäure,
besser unter dem Markennamen Aspirin bekannt, und verwandte Substanzen.
Doch einen einzigen Mediator zu blockieren, nützt kaum etwas
bei dauerhaften Entzündungsschmerzen, bei denen eine Unzahl
verschiedenartiger Moleküle einander Botschaften weiterreichen,
die die Nervenzellen immer wieder stimulieren.
Eine andere
Möglichkeit wäre es, erst am Ende der Kette anzusetzen
und den Ionen den Durchgang zu versperren, als ob der Kanal mit
einem Pfropfen verschlossen würde. In ähnlicher Weise
funktioniert eine Lokalanästhesie. Doch auf diesem Weg gibt
es ebenfalls Hindernisse, etwa die Gefahr, ein oder mehrere Organe
auf Dauer zu schädigen. Die bis zu 12 Jahre, die den Arbeitsgruppen
in einem Sonderforschungsbereich an Zeit gegeben werden, sind bei
der Langwierigkeit der Untersuchungen voll ausgefüllt. Sie
werden in der Hoffnung investiert, dass es eines Tages gelingt,
dafür zu sorgen, dass es schmerzempfindlichen Nervenzellen
nicht mehr unnötig heiß wird.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Peter
Reeh
Institut für Physiologie und Experimentelle Pathophysiologie
Tel.: 09131/85 -22228
reeh@physiologie1.uni-erlangen.de
Mediendienst
Forschung-Aktuell Nr. 666 vom 21.07.03

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