Studierende
an Erstaufnahme eines alpinen Gebiets in Österreich beteiligt
Wie entsteht eine geologische Karte?
Vielleicht
hätte der Neid die Landvermesser und Kartenzeichner früherer
Zeiten erfasst, wenn sie geahnt hätten, auf welche Hilfsmittel
ihre Kollegen am Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert zurückgreifen
können. Sind die Tage der schwierigen Erkundungen und mühevollen
Geländebegehungen also endgültig vorbei? Stützt sich
die Kartierung der Erdoberfläche heute vorwiegend auf Luftbilder
und Satellitendaten? Keineswegs, wie Studierende des Instituts für
Geologie und Mineralogie der Universität Erlangen-Nürnberg
am eigenen Leib erfahren. Wer an der geologischen Erstaufnahme eines
Gebiets in den österreichischen Alpen teilnimmt, muss sich
auf kräftezehrendes Klettern und Steineschleppen einlassen
und dabei den Lehrstoff parat halten.
In einer geologischen
Karte ist die Verbreitung der Locker- und Festgesteine eingetragen.
Sie bildet eine wichtige Grundlage für Rohstoffsicherung, Trinkwassergewinnung,
Verkehrswege- und Anlagenbau, Raumplanung und Gefahrenabschätzung.
Dies gilt besonders für intensiv genutzte Gebirgsregionen wie
die Alpen, wo Wildbäche und abrutschende Berge die Menschen
und ihre Infrastruktur bedrohen. Nicht zuletzt ist die geologische
Karte eine unverzichtbare Grundlage für wissenschaftliche Arbeiten.
Sie dient als Basis für die Suche nach Erzen und Rohstoffen,
sie hilft Lebensräume und Wasserchemie zu verstehen und die
Landschaftsentwicklung zu deuten.
Die Erforschung
des Untergrundes und seine Darstellung in geologischen Karten ist
eine hoheitliche Aufgabe in allen europäischen Staaten. Sie
wird von eigens dafür geschaffenen Landes- und Bundesanstalten
ausgeführt. In Mitteleuropa ist die geologische Landesaufnahme
keinesfalls abgeschlossen. Es gibt viele noch unzureichend erkundete
Gebiete oder revisionsbedürftige Karten.
Zehn Jahre Arbeit
Als wichtiger Aspekt der Ausbildung ist die eigenhändige Anfertigung
einer geologischen Karte Teil der Diplomprüfung in den Geowissenschaften.
Seit 1995 beteiligt sich die von PD Dr. Bernhard Schulz geleitete
Arbeitsgruppe am Erlanger Institut an der von der Österreichischen
Geologischen Bundesanstalt finanzierten Erstaufnahme des Blattes
OK 178 Hopfgarten in Defereggen, unmittelbar südlich des Großvenedigers
in Osttirol gelegen. Die Studierenden kartieren während eines
Sommers jeweils ein etwa 8 - 10 km2 großes Gebiet. Zur vollständigen
Abdeckung der 522 km2 großen Fläche des Kartenblatts
arbeiteten fast 50 Kartierer. Vom Beginn der Aufnahmen bis zur Drucklegung
einer solchen offiziellen geologischen Karte vergehen mindestens
zehn Jahre.
Eine geologische
Kartierung im alpinen Raum lässt sich nicht mit einigen Mausklicks
am Computer durchführen. Steile verwachsene Waldgebiete und
tief eingeschnittene Bäche an den Talflanken, dazu Kare, Gratgebirge
und Gipfel müssen engmaschig begangen werden. Satellitengestützte
Systeme sind zu ungenau, deshalb geschieht die Orientierung im Gelände
in althergebrachter Weise mit topographischer Karte, Kompass und
Höhenmesser. Aufgenommen werden die Verbreitung, Art und Lagerungsverhältnisse
der Festgesteine. Gesteinsaufschlüsse mit Informationen zur
Strukturentwicklung müssen gefunden werden. Ein Geologenkompass
dient zur Bestimmung der Raumlage der Gefüge. Das Erkennen
der Gesteinsarten und die Deutung der tektonischen Strukturen müssen
die Kartierer sofort und ohne Hilfsmittel bewerkstelligen, allein
mit dem "im Kopf" verbliebenen Wissen aus Vorlesungen
und Übungen. Die Beobachtungen und Funde werden in einem Gelände-Notizbuch
beschrieben und skizziert, denn meist sind Licht und Wetter ungünstig
zum Fotografieren.
Oft sind die
Gesteine im Gelände mit bloßem Auge und Lupe nur unzureichend
erkennbar und bestimmbar. Gesteinsproben werden daher mit viel Bedacht
ausgewählt, abgeschlagen und mitgetragen. Sehr schwierig ist
es, die vielen eiszeitlichen und nacheiszeitlichen Lockergesteine
einzuordnen. Rutschmassen und absackende Berghänge müssen
äußerst aufmerksam registriert werden, da sie Menschen
akut bedrohen. Die Aufnahmen stehen immer unter Zeitdruck, sei es
durch aufkommendes Schlechtwetter oder den kurzen Sommer im Hochgebirge.
Zur Auswertung
und graphischen Darstellung der Kartierung nutzen die Studierenden
später die Rechner des Instituts, die mit entsprechender Software
ausgestattet sind. Dabei erwerben sie weitere wichtige Fertigkeiten
für die spätere Berufstätigkeit. Für mehrere
begleitende DFG-Projekte, die den Prozess der alpidischen Gebirgsbildung
und die Geschichte von noch älteren Plattenkollisionen aus
dem Alter und den chemischen Zusammensetzungen von Gesteinen rekonstruieren,
sind die Vorarbeiten der Erlanger Studierenden unverzichtbar.
Verglichen mit
dem inzwischen auf wenige Jahre geschrumpften Zeitraum der Aktualität
von Forschungsergebnissen sind geologische Karten sehr langlebige
Publikationen, die für viele Jahrzehnte Basis von Wissenschaft
und Anwendung bilden. Die Mitarbeit an einem solchen Werk und die
Möglichkeit, ein Gebiet selbst zu erkunden, liefert den Kartierern
wahrscheinlich die größte Motivation.
Weitere Informationen
PD Dr. Bernhard
Schulz
Institut für Geologie und Mineralogie
Tel.: 09131/85 -22615
bschulz@geol.uni-erlangen.de
Das Defereggental in Osttirol zeigt typisch alpine, schwierig zu
erkundende Geländeformen.
Foto: Institut für Geologie
Das Endprodukt:
Ausschnitt aus einer geologischen Karte in den Alpen.
Mediendienst FORSCHUNG Nr. 657 vom 19.2.2003
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