Was hat die Altenpflege in Deutschland mit Menschen
zu tun, die aus anderen Ländern stammen? Sie kehren als Rentner
sowieso in ihre Heimat zurück. Oder sie haben intakte Familienstrukturen,
von denen sie aufgefangen werden, und können auf professionelle
Hilfe verzichten. Derartige Einschätzungen, obwohl teilweise
von Fachleuten vertreten, sind kurzsichtig: Migrantinnen und Migranten
in wachsender Zahl werden ihren Lebensabend hier verbringen. Sie
brauchen fachkundige Pflege und haben Anspruch darauf. Sind die
Pflegenden auf diese Klienten nicht vorbereitet, dann sind Missverständnisse
und Enttäuschung auf beiden Seiten vorprogrammiert. Das Sozialwissenschaftliche
Forschungszentrum (SFZ) der Universität Erlangen-Nürnberg
hat auf die absehbare Entwicklung reagiert und Unterrichtsmaterialien
erarbeitet, die ab Februar 2003 jeder Altenpflegeschule in Bayern
zur Verfügung stehen.
Entstanden ist der Plan des Teams um Prof. Dr. Manfred
Stosberg während eines Vorläuferprojekts zur Verbesserung
der Pflege ausländischer Patientinnen und Patienten in deutschen
Krankenhäusern. "Für eine Auseinandersetzung der
Pflegenden mit dem Thema gab es kaum geeignetes Schulungsmaterial",
erinnert sich die Projektkoordinatorin Ulrike Krämer. Die Erfahrung
mündete in der Idee, einen Film zu produzieren, um die Lücke
zu schließen. Er sollte informativ sein und zudem die Neugier
wecken und die Einfühlung anregen. Im Endprodukt sind Biographien
und Interviews mit Expertinnen, Kurzreportagen und Praxisberichte,
ergänzende Texte und Unterrichtshilfen, wie Anleitungen zum
Rollenspiel, auf einer DVD aufgezeichnet.
Der Dokumentarfilm "Die Wolken, sie ziehen
dahin" stellt zum Einstieg die Situation zweier Rentnerpaare
in Deutschland vor, von denen eines aus der Türkei, das andere
aus Kasachstan zugewandert war. Der türkische Ehemann sorgt
zu Hause für seine pflegebedürftige Frau; ihre Kinder
sind ausgezogen. In der Aussiedlerfamilie, wo drei Generationen
unter einem Dach leben, pflegt die Tochter ihre hoch betagten Eltern.
Über zwanzig Minuten werden der Umgang mit Alter und Krankheit,
der Weg durch den Dschungel der Pflegeversicherungs-Regelungen und
die hinderlichen Verständigungsprobleme auf diesem Weg, der
Bedarf an Hilfe und Beratung an Hand der zwei Beispiele geschildert;
religiöse Praktiken, kulturelle Besonderheiten, familiäre
Netzwerke werden thematisiert und Fragen danach aufgeworfen, was
das Herkunftsland den älteren Menschen bedeutet und inwiefern
ein Ort, der immer noch fremd, aber trotzdem schon zweite Heimat
ist, einen erfüllten und gesicherten Lebensabend versprechen
kann.
Ergänzende Kurzfilme beleuchten Themen wie
Sprache und Kommunikation, Sterben, Tod und Trauer, die Bedeutung
der Religion für Alltag und Pflegepraxis oder typische Migrationsbiographien.
Zwei türkische Rentnergruppen in Nürnberg berichten von
dem, was sie beschäftigt. Ein Seniorenzentrum in Duisburg wird
als Modell für kultursensible Altenpflege gezeigt. Es geht
um Essgewohnheiten, um Vorurteile und Stereotype, um die Grenzen
dessen, was mit Gesten, mit Händen und Füßen ausgedrückt
werden kann. Die Ausbildung soll den Pflegenden vermitteln, dass
negative Gefühle erlaubt und als Ansätze zur Konfliktlösung
nutzbar sind, dass andere Normen anzuerkennen nicht heißt,
sie zu übernehmen, und dass Kompromisse zu finden erlernt werden
kann. Die Sensibilisierung für die Lage pflegebedürftiger
Migrantinnen und Migranten hilft nicht nur diesen, sie erleichtert
auch die Arbeit des Pflegepersonals.
Zu dem filmischen Material von insgesamt etwa 90
Minuten kommen Texte, die ausgedruckt und vervielfältigt werden
können. Der DVD-Datenträger ermöglicht es, auf jeden
einzelnen Film- bzw. Textteil schnell und direkt zuzugreifen und
themenbezogene Kombinationen nach Wunsch herzustellen. Für
die Produktion kooperierte das Team, dem Ulrike Krämer und
Dr. Gaby Voigt vom SFZ und Johanna Myllymäki-Neuhoff vom Diakonischen
Werk Neuendettelsau angehören, mit den Filmemachern Jochen
Menzel und Gülseren Suzan-Menzel von transfers-film. Das bayerische
Arbeits- und Sozialministerium hatte in Abstimmung mit dem Kultusministerium
den Auftrag erteilt und die Finanzierung gesichert; Zuschüsse
kamen vom Seniorenamt und dem Ausländerbeirat der Stadt Nürnberg.
Die DVD mit dem Titel "Wenn ich einmal alt bin" ist im
Oktober letzten Jahres mit dem Münchner Pflegepreis 2002 ausgezeichnet
worden.