Wie können 35.000 bis 40.000 Gene - nicht einmal
doppelt so viele, wie sie die winzige Taufliege Drosophila aufzuweisen
hat - all das beinhalten, was den hochkomplexen menschlichen Organismus
ausmacht? Die Antwort liegt in einem Auswahlverfahren, das genetische
Informationen auf unterschiedliche Art zusammenstellt und zurechtstutzt.
Das so genannte “alternative Spleißen” sorgt dafür,
dass die jeweils erforderlichen Eiweißprodukte entstehen.
Die Systematisierung des Wissens über diesen Vorgang und der
Zugang zu diesem Wissen über Datenbanken stehen im Mittelpunkt
eines Großprojekts, das von der Europäischen Union mit
2,5 Millionen Euro gefördert wird. Wissenschaftler aus Deutschland,
England, Spanien, Frankreich und Israel sind daran beteiligt. Die
Koordination liegt bei Prof. Dr. Stefan Stamm vom Institut für
Biochemie (Emil-Fischer-Zentrum) der Universität Erlangen-Nürnberg.
Die in den menschlichen Genen gespeicherte Erbinformation
legt einige Eigenschaften, beispielsweise Augenfarbe oder Geschlecht,
vollständig fest. Vieles andere ist nur tendenziell angelegt,
wie die Körpergröße und die Neigung zu Krankheiten.
Die DNA gibt wie eine Matrize vor, welche Eiweißverbindungen
gebildet werden können. Die Protein-Bauanleitungen sind zwischen
Abschnitte der Erbsubstanz eingelagert, die keinen derartigen Code
enthalten.
Zu Beginn der Zusammensetzung eines Eiweißstoffs
werden DNA-Abschnitte auf eine RNA genannte Zwischenstufe übertragen,
die in einem Reifungsprozess in eine Boten- oder messenger-RNA (mRNA)
umgewandelt wird. Informationstragende Stücke werden verbunden,
andere Teile entfernt. Diesen Vorgang bezeichnet man als prä-mRNA
Spleißen. Von alternativem Spleißen ist die Rede, wenn
Erbinformationsstücke, je nachdem, ob sie der Organismus braucht,
in die Boten-RNA eingebaut oder herausgeschnitten werden.
Aus etwa 60 % aller menschlichen Gene werden durch
alternatives Spleißen mehrere Proteine hergestellt. Gesteuert
werden diese Prozesse über die Kombination von ca. 500 Proteinfaktoren.
Es ist deshalb äußerst schwierig, vorherzusagen, welche
Stücke der Erbinformation zusammen gespleißt werden.
Kein Computerprogramm ist dazu bisher in der Lage. Solche Kenntnisse
wären jedoch in hohem Grade nützlich, denn alternatives
Spleißen sichert nicht nur die Vielfalt von Genprodukten,
sondern spiegelt auch krankhafte Entwicklungen wieder. Die Spleißmuster
sind beispielsweise bei Krebs, der Alzheimerschen Erkrankung oder
schweren erblichen Erkrankungen des Blutes verändert.
Viele tausend Ergebnisse pro Experiment
Aus diesem Grund wurde ein europäisches Konsortium gegründet,
das Datenbanken von alternativ gespleißter Erbinformation
erstellen wird. Neuentwickelte Computerprogramme sollen sicherstellen,
dass diese Datenbanken optimal genutzt und ausgewertet werden können.
Die aufbereiteten Informationen werden auf DNA Mikrochips festgehalten,
Glasträgern von etwa zwei Quadratzentimetern Fläche, auf
denen Tausende von Genprodukten in einem einzigen Experiment nachgewiesen
werden können. Mit ihrer Hilfe soll gezeigt werden, dass verändertes
alternatives Spleißen eine Erkrankung oder die Prädisposition
dazu bedeuten kann.
Die Datenbank alternativer Spleißvorgänge
und die Auswertungsprogramme werden Wissenschaftlern helfen, eigene
Befunde zu diesem wichtigen Vorgang bessern zu verstehen. Aussagekräftige
Informationen sollen auch klinischen Medizinern zugänglich
sein, die nicht auf Molekularbiologie spezialisiert sind. Die Entwicklung
von DNA-Mikrochips lässt ein vollkommen neues Nachweissystem
erwarten, mit dem eine Vielzahl von Krankheiten molekular besser
diagnostiziert und verstanden werden kann. Die am Konsortium beteiligte
französische Firma Exonhit wird behilflich sein, die Forschungsergebnisse
in die Praxis umzusetzen.
Für drei Jahre fördert die Europäische
Union das Vorhaben im Teilbereich “Die Zellfabrik” ihres
Förderbereichs “Quality of Life and Management of Living
Ressources”. Der offizielle Titel des Projekts lautet “ASD:
the alternative splicing database - a novel tool to diagnose human
disease”.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Stefan Stamm
Institut für Biochemie
(Emil-Fischer-Zentrum)
Telefon 09131/ 85 - 24622
stefan@stamms-lab.net
Mediendienst FORSCHUNG Nr. 653 vom 5.2.2003