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deutschlands einheit, europas einigung
  Studie zur Weltpolitik der Regierung Mitterrand in den Jahren 1989/90
Deutschlands Einheit, Europas Einigung

Frankreich und Deutschland sind ein Paar, dem es im Zusammenleben weder an harmonischen Tönen noch an Spannungen fehlt. Wenn der 22. Januar als Jahrestag des Elysée-Vertrags, der den Grundstein zur deutsch-französischen Freundschaft legte, feierlich begangen wird, werden lobende Worte zur Unterstützung der deutschen Einheit durch die "Grande Nation" nicht fehlen - trotzdem bleiben Zweifel zurück. Hatten Frankreichs Spitzenpolitiker ein geeintes Deutschland nicht eher als bedrohlich empfunden und die Wiedervereinigung zu bremsen oder sogar zu blockieren versucht? Prof. Dr. Tilo Schabert, Politikwissenschaftler an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg, hat Belege für das Gegenteil gefunden und in ein neues Bild der Außenpolitik unter der Regierung von François Mitterrand eingearbeitet. In seinem jüngsten Buch wird der ehemalige französische Staatspräsident als aktiver Befürworter der deutschen Einheit vorgestellt, der das Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland allerdings unlösbar in den Prozess der Integration Europas eingebettet wissen wollte.

"La question allemande est une question européenne" steht, von Mitterrands Hand hingekritzelt, auf der Rückseite einer Speisekarte. Auf der Vorderseite ist die Abfolge der Gerichte bei dem Diner verzeichnet, das die zwölf Regierungschefs der Europäischen Union am 18. November 1989, neun Tage nach dem Fall der Berliner Mauer, im Elysée-Palast einnahmen. Für die anschließende Pressekonferenz zum Spitzentreffen hatte sich der Präsident in Stichworten die wichtigsten Punkte notiert, die er ansprechen wollte. Die Verbindung der deutschen mit der europäischen Frage, die parallele Entwicklung in Deutschland und im umfassenderen Staatenverbund war für ihn zentral, während die USA bei weitem mehr Wert auf den Verbleib der Bundesrepublik in der NATO legten. Ein neutrales "Großdeutschland", in der Mitte von Europa gelegen, aber nicht fest in dessen Staatengemeinschaft verankert und womöglich mit strittigen Grenzverläufen im Osten, verband François Mitterrand mit einer Schreckensvision von künftigen Kriegen.

Dass allen Deutschen, wie anderen Völkern, ein Recht auf Freiheit und auf die freie Entscheidung für das Zusammenleben in einer Nation zukam, stellte der Staatspräsident dagegen nicht in Frage. Dass es für die Deutschen in absehbarer Zeit eine Chance zur Wiedervereinigung geben werde, konnte er sich Anfang der 80er Jahre sogar weit besser vorstellen als die deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl, die beide im Gespräch mit ihm zu erkennen gaben, dass sie kein Ende der Teilung erwarteten, bevor mehrere Generationen verstrichen waren. Unvorstellbar für Mitterrand war, dass die Einheit Deutschlands für deutsche Politiker nicht dieselbe Priorität hatte, die er einer solchen Problematik an ihrer Stelle eingeräumt hätte.

Für seine Studie hatte Tilo Schabert im Elysée-Palast Zugang zu unveröffentlichten Quellen erhalten, so dass er Protokolle, interne Berichte und Analysen zur "deutschen Frage" samt der schriftlichen Kommentare von Präsident Mitterrand erstmals auswerten konnte. Ergänzend hat er wichtige Akteure persönlich befragt, darunter Mitterrand selbst und dessen diplomatischen Berater Hubert Védrine, den im Bundeskanzleramt für Außen- und Deutschlandpolitik zuständigen Kohl-Vertrauten Horst Teltschik und dessen Nachfolger Joachim Bitterlich. Der Arbeitsablauf in der "Werkstatt der Weltpolitik" wird damit einsehbar, speziell in den entscheidenden Jahren 1989 und 1990. Ergebnisse anderer Forscher, die diesen Zeitraum aus unterschiedlichen Blickwinkeln behandeln, werden einbezogen; grundlegende Betrachtungen über die deutsch-französischen Beziehungen in der Ära Mitterrand kommen hinzu.

Prof. Schaberts Buch mit dem Titel "Wie Weltgeschichte gemacht wird. Frankreich und die deutsche Einheit" ist 2002 im Verlag Klett-Cotta erschienen. Am 19. März 2003 wird Tilo Schabert am Goethe-Institut in Paris in einer öffentlichen Podiumsdiskussion zu seinem Werk Stellung nehmen, an der u.a. Hubert Védrine, Joachim Bitterlich und Daniel Vernet, Chef des außenpolitischen Ressorts bei der Zeitung Le Monde, teilnehmen werden.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Tilo Schabert
Politische Wissenschaft
Erziehungswissenschaftliche Fakultät
Tel.: 0911/53 02 -539
toschabe@ewf.uni-erlangen.de


Mediendienst FORSCHUNG Nr. 650 vom 20.1.2003


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