-
- Buchwissenschaft:
DFG fördert FAU-Projekt
"Des Truckers Nahmen, auch die Stadt"
- Entstehung und Entwicklung des Titelblatts
- Autor, Sachtitel, Erscheinungsort und
-jahr, Signet des Druckers oder Verlegers und eine Illustration,
die den Leser ansprechen soll: den heute vertrauten festen Platz
zu Beginn eines Buches bekam all dies im Verlauf einer Zeitspanne
von etwa fünf bis sechs Jahrzehnten nach der Erfindung des
Buchdrucks um 1450. Vormals rahmten stattdessen Incipit und Explicit,
die Anfangs- und Schlußworte, den Text ein; Angaben zum
Verfasser oder zum Druck konnten auch in einer Schlußformel,
dem Kolophon, enthalten sein, und ein Holzschnitt stellte die
Einleitung dar. Unter der Leitung von Prof. Dr. Ursula Rautenberg
wird nun rekonstruiert, wie einzelne Bestandteile nach und nach
auf die Vorderseite des ersten Blattes rückten, ansatzweise
normiert und so angeordnet wurden, daß ein vereinheitlichtes
Layout entstand - bis sich das Titelblatt endgültig durchgesetzt
hatte. Wissenschaftliche Mitarbeiter des DFG-geförderten
Vorhabens der Erlanger Buchwissenschaft sind Dr. Johanna Gummlich
und Oliver Duntze, M.A.; als studentische Hilfskraft arbeitet
Gabriele Kachelrieß mit am Projekt.
-
- Unsere Vorstellungen vom Alltagsgegenstand
'Buch' sind - im Gegensatz zum Kodex oder zur Buchrolle - vom
gedruckten Buch bestimmt, und dies ungeachtet aller technologischen
Neuerungen, die seit der Erfindung der Typographie durch Johannes
Gutenberg um 1450 den Herstellungsprozess verändert haben.
Erst mit den elektronischen Publikationsmedien bahnt sich gegenwärtig
ein tiefgreifender Wandel an, der mittelfristig zu einer funktionalen
Medienkonkurrenz zwischen typographischem und elektronischem
Textträger führen wird. Gerade vor der Folie der digitalisierten
Textvermittlungsformen aber werden nochmals mit aller Schärfe
die an die Materialität des 'klassischen' Buches gebundenen,
rezeptionsleitenden Textorganisations- und Kommunikationsstrukturen
deutlich.
-
- Eine der wesentlichen Errungenschaften des
frühen Buchdrucks ist das eigenständige Titelblatt,
das das gedruckte Buch sowohl dem mittelalterlichen Kodex als
auch den elektronischen Publikationsmöglichkeiten (noch)
voraus hat. Zu seinen Funktionen gehört neben der Identifikation
von Autor, Text und Ausgabe auch die Herstellung eines appellativen
bzw. werbenden Käufer-/Leserbezugs. Die Entwicklung vollzieht
sich damit im Kontext des frühmodernen, gegenüber dem
mittelalterlichen Handschriftenhandel anonymisierten Buchmarktes.
-
- Die Inkunabeln der ersten Generation bis
um 1480, für die der mittelalterliche Kodex noch vorbildlich
ist, haben nur in seltenen Fällen ein dem Text vorgeschaltetes
Blatt, das als Vorstufe eines Titelblatts gelten kann. Erst mit
der Entstehung neuer Buchtypen um 1470/80 (gekennzeichnet u.a.
durch kleinere Formate, geringeren Umfang, wenig sorgfältige,
dafür billigere Produktionsweise, höhere Auflagen,
Aufnahme zeitgenössischer Texte, Zunahme serieller Illustrationsformen)
beginnt der Aufstieg des Titelblatts. Aber auch jetzt sind nur
in den wenigsten Beispielen alle der uns selbstverständlichen
Informationen auf dem Titelblatt versammelt. Impressumsrelevante
Elemente verbleiben noch länger am Buchschluß.
-
- Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß
das Titelblatt um 1500 häufig vorkommt und sich um 1520
allgemein durchgesetzt hat. Tatsächlich deutet eine staatliche
Zensurmaßnahme darauf hin, daß der Entstehungsprozeß
des Titelblatts spätestens um 1530 zu einem Abschluß
gekommen ist. Der Augsburger Reichstagsabschied vom 19. November
1530 schreibt u.a. vor, daß kein Buch gedruckt oder verkauft
werden soll, ohne daß "des Truckers Nahmen und Zunahmen,
auch die Stadt, darinnen solches getruckt mit nehmlichen Worten
darinnen gesetzt" ist.
-
- Der Untersuchungszeitraum reicht damit von
ca. 1460 bis 1530. Für diesen Zeitraum soll der Prozeß
von Entstehung und Entwicklung des Titelblatts buchtypen-, textsorten-
und sprachenspezifisch (volkssprachlich/lateinisch) in breiter
regionaler Streuung (Drucker / Druckort / Region / buchhändlerische
Beziehungen zwischen Regionen) analysiert werden. Besonderer
Augenmerk gilt dabei dem Warencharakter des frühneuzeitlichen
Buches, der die Durchsetzung eines 'werbenden' Titelblattes begünstigt,
dem Zusammenspiel und Spannungsverhältnis zwischen textlichen
und bildlichen Bestandteilen des Titelblatts sowie der Frage,
ob sich generell ein Zusammenhang zwischen Buchtyp und Textsorte
und der Entstehung des Titelblatts bzw. bestimmter Varianten
herstellen läßt. Aus methodischer Sicht soll das Projekt
auch dazu beitragen, die Begriffsverwendung zu klären. Sowohl
in der deutschen als auch in der internationalen Literatur werden
Titelblatt, Titel, Vortitel, Schmutztitel etc. noch uneinheitlich
gebraucht.
-
- Katalog der Titelblätter
- Ein weiteres Ziel des Forschungsprojekts
ist die Erarbeitung eines Korpus früher Titelblätter.
Der regionale Erfassungsraum liegt bei den für den Inkunabeldruck
wichtigen Ländern Deutschland, Italien, Niederlande, Frankreich
und England. Die wesentlichen Impulse für die Entstehung
des Titelblatts dürften von den Kernländern Deutschland
und Italien ausgegangen sein, während die übrigen genannten
Gebiete sich zunächst rezeptiv verhielten. Die Titelblätter
werden in einem Katalog erfaßt und beschrieben. Die Beschreibung
kann sich nicht allein auf die Quellenbibliographien stützen,
sondern muß vorwiegend nach Mikrofilmaufnahmen erfolgen,
da nicht alle Beschreibungsmerkmale aus den Bibliographien entnommen
werden können. Vorbereitend muß ein Kriterienkatalog
für eine weitgehend formalisierte Beschreibung entwickelt
werden.
-
- Der Katalog der Titelblätter soll als
Datenbank realisiert werden, so daß für die Auswertung
jeweils chronologische und/oder länder- bzw. druckerspezifische
Listen erstellt werden können. Hierzu wird das in öffentlichen
Institutionen verbreitete Datenbanksystem HiDA 3 (Hierarchischer
Dokument-Administrator) mit der Systematik des "Marburger
Inventarisierungs-, Dokumentations- und Administrationssystem"(MIDAS)
vom Bildarchiv Foto Marburg verwendet. Die Auswertung wird auf
der Basis des Katalogs zu einer Monographie über Entstehung
und Entwicklung des frühen Titelblatts führen, die
buchhistorische, kunst- und literaturgeschichtliche Zugänge
vereint. Es ist zudem geplant, die aus dem Projekt entstehenden
Publikationen um eine dokumentierende CD-ROM zu ergänzen.
-
- Prof. Rautenberg hat sich in eigenen Publikationen
seit mehreren Jahren mit dem Problem des Titelblatts auseinandergesetzt.
Den unmittelbaren Anlaß für die Beantragung des Projekts
bildet ihre umfassende buch- und drucktechnische Analyse der
Produktion des Nürnberger Autors und Wundartzes Hans Folz,
der zwischen 1479 und 1488 seine Werke fast vollständig
über die eigene Presse publiziert hat. Diese Drucke weisen
bereits frühe Formen des Titelblattes auf, die in der Forschung
bisher nicht zur Kenntnis genommen wurden.
-
- Kooperation mit Münster
- Eine enge Zusammenarbeit ist mit Prof. Dr.
Gabriele Müller-Oberhäuser vom Institut für Buchwissenschaft
und Textforschung der WWU Münster vorgesehen. Sie wird das
Korpus der Titelblätter für den englischsprachigen
Raum ermitteln und bereitstellen.
-
- Für die Laufzeit des Projekts von Beginn
des Jahres 2000 bis Ende 2001 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft
Sach- und Personalmittel zur Verfügung gestellt. Darüber
hinaus wird das Projekt vom Universitätsbund Erlangen-Nürnberg
e.V. und der Horst-Kliemann-Stiftung, Frankfurt, unterstützt.
-
- · Kontakt:
Prof. Dr. Ursula Rautenberg, Professur für Buchwissenschaft
Harfenstr. 16, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/85 -24700, Fax: 09131/29029
E-Mail: Johanna.Gummlich@rzmail.uni-erlangen.de, Oliver.Duntze@rzmail.uni-erlangen.de
Informationen im Internet: http://www.phil.uni-erlangen.de/~p1bbk/
- Mediendienst FORSCHUNG Nr. 571 vom 15.2.2000
Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
pressestelle@zuv.uni-erlangen.de
Stand 16.2.2000