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- Informatik: DFG
fördert FAU-Projekt
Referenz-Informationssysteme:
Mittelweg zwischen Paßform und Standard
- Maßgeschneiderte Individualsoftware
und weitgehend vorgefertigte Standardsoftware sind die zwei Pole
integrierter betrieblicher Anwendungssysteme. Beide Arten haben
zum Teil starke Nachteile. Prof. Dr. Peter Mertens und seine
Mitarbeiter am Bereich Wirtschaftsinformatik I der Universität
Erlangen-Nürnberg gehen daher der Frage nach, ob man bei
der Entwicklung von Anwendungssystemen diese Software-Formen
meiden, also Mittelwege beschreiten sollte. Im Zentrum der Überlegungen
steht ein auf Branchen und Betriebstypen ausgerichtetes Software-Angebot.
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- Die Wirtschaftsinformatik folgt einer natürlichen
Ausdifferenzierung, wie sie andere Disziplinen zum Teil wie selbstverständlich
gehen (man denke an die Forschungen zu Gewebetypen in der Medizin
oder über Elementarteilchen in der Physik). Die neueren
Softwaretechniken werden in Zukunft eine Art der Entwicklung
von Anwendungssystemen ermöglichen, wie sie für Produkte
in etablierten, "reifen" Industrien schon seit Jahrzehnten
fast selbstverständlich geworden ist. Z. B. verfügen
die Maschinenbau- und die Automobilindustrie über eine Vielzahl
an Komponentenlieferanten und oftmals hierarchische Zulieferstrukturen,
sie haben verhältnismäßig niedrige Fertigungstiefen
und verfolgen verstärkt Plattformstrategien.
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- Bisher ist die "herrschende Lehre",
man müsse nach Branchen differenzieren, also z. B. unterschiedliche
Anwendungssysteme für die Pharma-, die Chemie-, die Stahl-,
die Automobilbranche usw. schaffen. Diesen Weg beschreiten große
und kleine Softwareproduzenten, z. B. der Marktführer SAP.
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- 21.000 Programmierer und ein Problemkreis
- Idealtypisch bietet sich eine Kern-Schalen-Architektur
an. Man sucht die Funktionen und Prozesse, die allen oder einer
großen Zahl von Unternehmen gemeinsam sind, und vereint
sie dann im Kern. Hingegen werden die branchenbezogenen Elemente
in der Schale untergebracht. Beispiele für Branchenmodule
sind: Algorithmen für das Stapeln von Barren in der Edelstahlindustrie,
elektronische Produktkataloge mit Elementen der Virtuellen Realität
in der Möbelindustrie, mathematische Verfahren zur Minimierung
des Verschnitts in der Papierbranche.
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- Das folgende Rechenexempel verdeutlicht die
Rationalisierungseffekte: Man denke sich sieben Funktionsbereiche
in mittelständischen Betrieben, etwa die Sektoren Kostenrechnung,
Finanzbuchhaltung, Anlagenbuchhaltung, Personalverwaltung, Beschaffung,
Lagerhaltung und Fakturierung. Diese Sektoren seien bezüglich
ihrer Informationsverarbeitungs (IV)-Funktionen, Daten und Geschäftsprozesse
relativ einfach zu standardisieren. Jedes der etwa 3.000 Branchenpakete
enthalte nun für jeden dieser sieben Bereiche die wichtigsten
IV-Funktionen. Beschäftigt man nur einen Programmierer mit
der Wartung und Pflege eines Bereichs für jedes Branchenpaket,
so errechnen sich 21.000 Programmierer, die zur selben Zeit an
denselben Problemen arbeiten!
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- Je mehr man sich mit branchenorientierten
Modellen befaßt, desto deutlicher wird sichtbar, daß
eine nur schlecht beherrschbare Kombinatorik resultiert.
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- Typus als Merkmal der Unterscheidung
- Die Suche nach einem Ausweg führte zu
dem Differenzierungskriterium "Betriebstyp". Es ist
nicht auszuschließen, daß Betriebe mehrerer Branchen
Anwendungssysteme nutzen können, die nach Betriebstypen
orientiert sind. Ein Beispiel sind Konfiguratoren. Sie sind für
viele Betriebe brauchbar, welche kundenorientierte Varianten
herstellen, etwa in der Unterhaltungselektronik, bei Reisedienstleistern
oder auch im Fahrzeugbau.
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- Ziel der Nürnberger Wirtschaftsinformatiker
ist es abzuschätzen, ob man mit der Differenzierungsstrategie
"Branchen" oder "Betriebstyp" zu einer kleineren
Kombinatorik gelangt. Dies soll nun im Teilprojekt "Branche
und Betriebstyp als Klassifikationskriterien von Referenzmodellen
für Industrie- und angrenzende Dienstleistungsbetriebe"
innerhalb des DFG-geförderten Forschungsvorhabens "Betriebliche
Referenz-Informationsmodelle für Dienstleistungsunternehmen
(BRID)" geschehen.
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- Eine wichtige Grundlage ist die in langjähriger
Arbeit im Bereich Wirtschaftsinformatik I geschaffene Informationsbank
ICF. Die Abkürzung steht für die drei betrachteten
Dimensionen Branche (Industry), Merkmal (Characteristic) und
IV-Anforderung (Function). Diese Informationsbank wurde im Hinblick
auf die Fragestellung entworfen, welche Unternehmen welche Aufgaben
mit IV unterstützen und warum gerade diese. Sie enthält
Fallbeispiele von Unternehmen und deren IV-Systemen. Diese werden
anhand von Katalogen für IV-Anforderungen (Funktionen ("Was"),
Verfahren ("Wie"), sowie Parameter und Ausprägungen)
beschrieben. In einem weiteren Modul lassen sich die Beziehungen
von IV-Anforderungen und Merkmalen, aber auch von Branche und
IV-Anforderungen statistisch ermitteln.
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- · Kontakt:
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Mertens
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Wirtschaftsinformatik
I
Lange Gasse 20, 90403 Nürnberg
Tel.: 0911/5302 -284, Fax: 0911/53 66 34
E-Mail: mertens@wiso.uni-erlangen.de
Internet: http://www.wi1.uni-erlangen.de
- Mediendienst FORSCHUNG Nr. 575 vom 22.5.2000
Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
pressestelle@zuv.uni-erlangen.de
Stand 22.5.2000