- Qualitative Untersuchung zum Selbstverständnis von
weiblichen Zusammenschlüssen
Exklusiv für Frauen
“Mer kenne uns, mer helfe uns”, lautet ein Ausspruch von Konrad Adenauer,
der treffend und recht offenherzig wiedergibt, wozu Männer sich verbünden.
Zusammenschlüsse von Frauen haben nicht die lange Tradition der Männerbünde,
doch gibt es heute eine Vielzahl exklusiv weiblicher Gemeinschaften. Was
veranlasst Frauen dazu, sich diesen Gruppen anzuschließen? Kann das ihren
Handlungsspielraum erweitern? Erschaffen sie eine eigene, ihnen angemessene
Gruppenkultur? Mit solchen Fragen gehen Dr. Renate Liebold und Birgit Maria
Hack am Institut für Soziologie der Universität Erlangen-Nürnberg auf die
Suche nach wesentlichen Aspekten des weiblichen Selbstverständnisses in der
modernen Gesellschaft.
Bis hin zur schlagenden Verbindung existiert inzwischen für jede Form der
Geselligkeit, die früher Männern vorbehalten war, ein weibliches Pendant.
Dennoch vertreten die Soziologinnen die These, dass weibliche und männliche
Zusammenschlüsse nicht einfach analog zueinander gesehen werden können.
Zugehörigkeit zu Männerbünden bedeutet seit jeher Zugang zu Prestige,
Einfluss und Macht. Neben die politisch-faktische Bedeutung tritt eine
symbolische: in allen informellen Strukturen, Ritualen, Hierarchien,
Sprachcodes und Bewertungsmaßstäben bestätigen die Verbündeten einander
immer wieder, dass sie die richtigen Leute am richtigen Ort sind.
Was Bildung und Beruf angeht, haben Frauen in den letzten Jahrzehnten
deutlich aufgeholt. Im öffentlichen Leben jedoch, in Politik, Wirtschaft und
Wissenschaft, ist ihnen die Außenseiterrolle geblieben. Die
Selbstverständlichkeit, mit der Männer Handlungsbefugnisse und Privilegien
in Anspruch nehmen, gilt nicht für das weibliche Geschlecht.
Zusammenschlüsse von Frauen haben jedoch deren Selbstbewusstsein und
Handlungsfähigkeit gestärkt, ihre Anliegen im Bewusstsein der Öffentlichkeit
verankert und zu politischen und gesellschaftlichen Veränderungen geführt.
Heutige traditionelle Frauenverbände und -vereine gehen auf die erste
deutsche Frauenbewegung im 19. Jahrhundert zurück. Der autonomen
feministischen Bewegung der 70er Jahre entstammen gesundheits- und
sozialpolitische, wissenschaftliche und künstlerische Projekte und
Initiativen. Dazu kommt in neuester Zeit das weite Spektrum der
Frauennetzwerke, die als wirksame Instrumente gelten, weibliche Interessen
voranzubringen. Allerdings sind Zusammenschlüsse von Frauen nicht scharf in
diese drei Formen zu unterteilen; begriffliche und organisatorische
Überschneidungen kommen häufig vor.
Wichtige Forderungen der alten und neuen Frauenbewegung haben in den
vergangen Jahrzehnten den Weg in die Institutionen gefunden. In Bund,
Ländern und Gemeinden wie anderswo kümmern sich Gleichstellungs- und
Frauenbeauftragte um die Belange eines weiblichen Klientels und fördern
frauenspezifische Projekte. Lehrstühle für Gender-Forschung sind
eingerichtet worden. Geschlechtsneutrale Formulierungen gelten als Standard
bei Stellenanzeigen, teilweise werden Frauen gezielt zur Bewerbung
ermuntert. Quotenregelungen sind zwar umstritten, doch nichts Ungewöhnliches
mehr. Feministische Ideen und Thesen wirken inzwischen leicht angestaubt.
Wer sie vertritt, gerät in Gefahr, als verbohrt angesehen zu werden.
Wenn weder die offene Rebellion gegen geschlechtsspezifische Benachteiligung
auf den Fahnen steht noch eine Schwesterlichkeit gepflegt wird, die der
selbstgewissen Verbrüderung in Männerbünden ähnelt, lässt sich fragen, was
Frauen aktuell zur Teilnahme an weiblichen Zusammenschlüssen motiviert. Zu
welchen gemeinsamen Positionen finden sie, und inwiefern können sie davon
profitieren? Diese Fragen möchten die Erlanger Soziologinnen von
Teilnehmerinnen beantworten lassen. Dazu werden rund zwanzig “exklusiv
weibliche” Gruppen, die im gesamten Bundesgebiet ausgewählt wurden, zu
Diskussionen angeregt. Im Idealfall wird das Gespräch allein von der Gruppe
getragen. Das Forschungsteam gibt weitgehend offene Fragestellungen vor und
beschränkt sich darauf, die Diskussionen zu begleiten und ausgesparte Themen
aufzugreifen.
Auf diese Weise wollen die Forscherinnen die Binnensicht weiblicher
Zusammenschlüsse freilegen. Den Teilnehmerinnen wird viel Raum gelassen,
Themen selbst zu wählen und Schwerpunkte zu setzen. Die Sinngehalte, welche
die Frauen den Gruppen geben, ihre kollektiv geteilten Deutungen sollen
möglichst uneingeschränkt zu Tage treten.
Die aufgezeichneten Diskussionen werden in einem mehrstufigen Verfahren
interpretiert. Ergänzend werden Selbstdarstellungen in Satzungen, Broschüren
und anderen Informationsmaterialien ausgewertet. Gemeinsamkeiten und
Unterschiede innerhalb der Frauenbündnisse sollen in eine Typologie gefasst
werden, die in qualitativem Sinne gültig ist.
Das Projekt “Weibliche Zusammenschlüsse: Zwischen Solidarität und Interesse
handeln” wird auf Antrag von Prof. Dr. Gert Schmidt seit Anfang 2002 am
Institut für Soziologie und dem Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum
von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
Weitere Informationen
Dr. Renate Liebold
Birgit Maria Hack M.A.
Institut für Soziologie
Tel.: 09131/85 -22116
frauennetzwerke@phil.uni-erlangen.de
Mediendienst FORSCHUNG Nr. 647 vom 16.12.2002
Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
pressestelle@zuv.uni-erlangen.de