- Einstellungen von Studierenden zur Rasterfahndung an
deutschen Hochschulen
Oft Skepsis und Ablehnung
Nicht wenige Studierende halten die Rasterfahndung an deutschen Hochschulen
für ineffizient, ungerechtfertigt und haben datenschutzrechtliche Bedenken:
Erste Ergebnisse einer Onlinebefragung zur Wahrnehmung und Bewertung der
Suche nach "terroristischen Schläfern" unter Studierenden an deutschen
Hochschulen liegen vor: Im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes des
Lehrstuhls für Soziologie an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen
Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg unter der Leitung von Dr.
Reinhard Wittenberg wurden mit Hilfe einer Onlinebefragung detaillierte
Meinungen von 2.009 Studierenden zur Rasterfahndung eingeholt. Die
Ergebnisse bieten überraschende Erkenntnisse.
Die nach dem 11.9.2001 angelaufene "Rasterfahndung" nach "terroristischen
Schläfern" unter Studierenden hat in Deutschland ganz verschiedene, zum Teil
extreme Reaktionen in der Öffentlichkeit gezeigt, die von uneingeschränkter
Befürwortung bis zu völliger Ablehnung reichen. Auch die von
Rasterfahndungsgegnern angerufenen Gerichte haben sich mal gegen, mal für
die Durchführung dieser speziellen Fahndungsmethode ausgesprochen. “Was
bisher jedoch gänzlich außer Acht blieb, war die Frage, wie die deutschen
und ausländischen Studierenden mit dieser Erfahrung umgehen, sind es doch
vorwiegend ihre Daten, die die Basis der Rasterfahndung bilden,” weist Dr.
Reinhard Wittenberg auf die Relevanz der Meinungsforschung zu diesem Thema
hin. Das Lehrforschungsprojekt des Lehrstuhls für Soziologie an der
WiSo-Fakultät unter seiner Leitung sondierte mit Hilfe einer Onlinebefragung
u. a., was Studierende von dieser speziellen Fahndungsmethode wissen; ob sie
die Rasterfahndung untereinander zum Thema machen; wie sie die Auswirkungen
der Rasterfahndung auf das Zusammenleben von ausländischen und deutschen
Kommilitonen/innen einschätzen; ob sie sich davon betroffen fühlen; für wie
wahrscheinlich sie terroristische Anschläge in Deutschland halten und ob sie
die Rasterfahndung daher für gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt
erachten.
An der im Juli und August 2002 durchgeführten Onlineumfrage - deren Basis
die Eingabe der Meinungsdaten über ein spezielles Portal war - hatten sich
2.009 Personen beteiligt, darunter überproportional viele männliche
Studierende der Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie der Informatik,
wobei deutlich weniger weibliche Studierende teilnahmen. Das Wissen der
Teilnehmer/innen um die Ziele und die Durchführungskriterien der
Rasterfahndung war bemerkenswert gut: Lediglich 91 von ihnen konnten nicht
exakt angeben, was unter Rasterfahndung zu verstehen ist und wozu sie dienen
soll - sie wurden aus den weitergehenden Analysen ausgeschlossen. Unter den
verbliebenen 1.918 Studierenden vermutet knapp ein Drittel, dass die
Rasterfahndung auch zu anderen als den öffentlich genannten Zwecken
eingesetzt wird, beispielsweise zur Ermittlung illegal in Deutschland
lebender Ausländer, zur Abwehr des Sozialmissbrauchs oder zur Aufklärung und
Aufdeckung von Korruption.
Resultat der Online-Forschung
Die Rasterfahndung wird von den befragten Studierenden zwiespältig
beurteilt. Insbesondere jene 16 Prozent, die aufgrund ihrer
Staatsangehörigkeit, ihres Geschlechts und/oder ihrer Konfession sowie
sonstiger Kriterien befürchten, selbst von der Rasterfahndung erfasst worden
zu sein, lehnen erwartungsgemäß diese Fahndungsmethode ab. Aber auch der
überwiegende Teil jener 75 Prozent Studierender, die meinen, nicht erfasst
worden zu sein - jede/r Zehnte hatte sich über diese Frage noch keine
Gedanken gemacht -, betrachtet die Rasterfahndung mit mehr oder minder
großer Skepsis. Vor allem politisch stärker interessierte bzw. sich "links
der Mitte" einordnende Studierende sind unter den Kritikern des Verfahrens
zu finden. Bezogen auf die Gesamtheit aller Teilnehmer/innen an der
Onlineumfrage ergibt sich die folgende Verteilung:
Die Gründe für Skepsis und Ablehnung lassen sich zu drei Komponenten
bündeln: Die geäußerten Bedenken bestehen vor allem wegen der der
Rasterfahndung zugeschriebenen
- datenschutzrechtlichen Einschränkungen der Bürgerrechte,
- Ausländer diskriminierenden Folgen,
- Erfolglosigkeit hinsichtlich des Schutzes vor etwaigen zukünftigen
terroristischen Anschlägen in Deutschland.
Die Ablehnung bzw. Befürwortung der Rasterfahndung hängt aber vor allem
davon ab, ob überhaupt, und wenn ja, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine
gegenwärtige Bedrohung durch terroristische Gewaltakte befürchtet wird: Je
mehr dies der Fall ist, desto gerechtfertigter erscheint den Studierenden
die Durchführung der Rasterfahndung - und umgekehrt. 89 Prozent jener
Studierenden, die einen terroristischen Anschlag in Deutschland für "äußerst
wahrscheinlich" halten, befürworten demzufolge die Rasterfahndung,
wohingegen 93 Prozent jener Studierenden, die einen solchen Gewaltakt für
"äußerst unwahrscheinlich" einschätzen, die Rasterfahndung ablehnen.
Aber selbst jene knapp 40 Prozent Studierende, die die Rasterfahndung für
gerechtfertigt halten, sind nicht vollends von ihrer Effizienz überzeugt: So
erachten insgesamt nur 16 Prozent aller Studierenden die Rasterfahndung für
gerechtfertigt und zugleich in einem vernünftigen Verhältnis von Aufwand und
Ertrag befindlich, während umgekehrt 51 Prozent aller Befragten die
Rasterfahndung für ungerechtfertigt halten und zudem eine negative Bilanz
von Aufwand und Ertrag ziehen.
Mit diesen Ergebnissen korrespondiert, dass eine nicht unerhebliche Zahl der
Studierenden, nämlich 870, sich vorstellen kann, gegen die Rasterfahndung
aktiv zu werden, darunter 61 Prozent, die sich an einer
Unterschriftensammlung zur Löschung der Rasterdaten beteiligen, 41 Prozent,
die an einer politischen Demonstration teilnehmen, und 23 Prozent, die zur
Finanzierung eines Rechtsbeistandes für betroffene Kommilitonen/innen
beitragen würden. Aktiv für die Rasterfahndung eintreten zu wollen, bekundet
hingegen nur eine kleine Minderheit von 230 Studierenden: Unter ihnen wäre
mehr als die Hälfte (128 bzw. 56 Prozent) bereit, der Polizei bei der
Enttarnung von "Schläfern" zu helfen und ihr Verdächtige zu melden.
Ausführlicher unter
http://www.umfrage-zur-rasterfahndung.wiso.uni-erlangen.de
Abbildung 1:
Ich halte die Rasterfahndung für... [in Prozent;
1.913 Studierende; keine Angabe:5]-
-
Abbildung
2:
Rechtfertigung der Rasterfahndung in Abhängigkeit von der vermuteten
Wahrscheinlichkeit terroristischer Gewaltakte [in Prozent; 1.729
Studierende; keine Angabe:189]
Weitere Informationen
Dr. Reinhard Wittenberg
Tel.: 0911/5302-699
reinhard.wittenberg@wiso.uni-erlangen.de
Mediendienst FORSCHUNG Nr. 646 vom 10.12.2002
Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
pressestelle@zuv.uni-erlangen.de