-
- Interdisziplinäre Studie "Frauen
in der Mathematik" wird von der Volkswagenstiftung gefördert
Vor der Spitzenposition zweigen Seitenwege
ab
-
- Weder unzureichende Leistungen noch mangelndes
Interesse an abstrakten Problemstellungen oder an einer erfolgreichen
Berufslaufbahn können dafür verantwortlich gemacht
werden, dass Frauen in der Mathematik sehr selten in Spitzenpositionen
zu finden sind. Auch von offenen Diskriminierungen, die Mathematikerinnen
in der Karriere behindern, kann heute nicht mehr die Rede sein.
Bei Absolvierenden gibt es jedoch zwischen den Geschlechtern
geringfügige Unterschiede, die sich im Lauf der Jahre so
addieren könnten, dass Männer und Frauen oftmals verschiedene
Wege einschlagen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zieht
voraussichtlich die stärkste Trennlinie, wie der Zwischenbericht
zu einem Gemeinschaftprojekt an den Universitäten Erlangen-Nürnberg
und Kaiserslautern nahe legt.
-
- Wollen sie nicht, können sie nicht oder
dürfen sie nicht? Diese bewußt provokativ formulierten
Fragen stellte sich die Projektgruppe angesichts des Anteils
von vier Prozent Mathematikprofessorinnen in Deutschland. Obwohl
es heute in der Mathematik ebensoviele Studienanfängerinnen
gibt wie unter den Erstsemestern anderer Fächer, ist bei
Professuren künftig kein entsprechender Anstieg zu erwarten.
Zu den mathematischen Führungskräften außerhalb
der Universitäten zählen ebenfalls nur wenige Frauen.
-
- Die interdisziplinäre Studie "Frauen
in der Mathematik" wurde als Zusammenschau historischer
und aktueller Befunde angelegt, um zeitabhängige und durchgängig
wirksame Faktoren voneinander abzugrenzen. Frauen und Männer
in der Mathematik, Staatsexamens- und Diplomabsolvierende, die
Gegenwart und der Zeitraum von 1902 bis 1940 werden einander
gegenübergestellt. Die Volkswagenstiftung fördert das
Langzeitprojekt. Prof. Dr. Andrea Abele-Brehm und Dipl.-Psych.
Jan Krüsken vom Lehrstuhl für Sozialpsychologie der
Universität Erlangen-Nürnberg führen die psychologischen
Untersuchungen durch. Den mathemathischen und den historischen
Teil haben Prof. Dr. Helmut Neunzert und PD Dr. Renate Tobies
vom Fachbereich Mathematik und dem Fraunhofer-Institut für
Techno- und Wirtschaftsmathematik in Kaiserslautern übernommen.
-
- Ein Aktenfund im Archiv für bildungsgeschichtliche
Forschung in Berlin ermöglicht es, die Berufsverläufe
von Männern und Frauen zu analysieren, die zu Beginn des
20. Jahrhunderts an preußischen höheren Schulen Mathematik
lehrten. Personalblätter von über 3.000 Lehrkräften
können ausgewertet werden; der Frauenanteil beträgt
rund 15 Prozent. Absolvierende des Jahrgangs 1998 an 48 deutschen
Universitäten beantworteten Fragebögen für die
gegenwartsbezogene Untersuchung. Die jungen Mathematikerinnen
und Mathematiker werden jeweils drei und fünf Jahre nach
ihrem Examen nochmals befragt. Die Studie wird so ihren Werdegang
begleiten.
-
- Damals und heute sind nur begrenzt vergleichbar.
Diplomprüfungen existieren erst seit 1942. Die historischen
Aktenblätter enthalten keine Informationen über subjektive
Einstellungen und Werte, über Interessenslagen oder berufliche
und private Pläne. Dafür gewähren sie Einblick
in langfristige Berufsverläufe, die beim Absolvierendenjahrgang
1998 noch abzuwarten bleiben.
-
- Ehefrauen unerwünscht
- Den Akten ist zu entnehmen, dass preußische
Mathematiklehrerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen
stark im Nachteil waren. Eine Stelle an einer höheren Mädchenschule
konnten sie nach Abschluss ihres Studiums zwar erwarten, doch
sie wurden schlechter bezahlt, seltener befördert und bekamen
später, wenn überhaupt, eine feste Anstellung als Studienrätin.
Das Beamtinnenzölibat, das bis 1919 galt, und ähnliche
Nachfolgeregelungen versperrten verheirateten Frauen mit wenigen
Ausnahmen die Fortsetzung ihrer Berufslaufbahn. Gemessen an den
Studienabschlussnoten, entsprachen die Leistungen dagegen denen
der Männer, wie auch in der Gegenwart kein Unterschied bei
Examens- und Abiturnoten von Studenten und Studentinnen der Mathematik
festzustellen ist.
-
- Gegen Behinderungen und Diskriminierungen,
wie sie zu Anfang des 20. Jahrhunderts üblich waren, brauchen
die Mathematikabsolventinnen unserer Tage nicht anzugehen. Im
Gegenteil sichert dieses Fach Diplomanden beiderlei Geschlechts
einen außerordentlich schnellen und erfolgreichen Berufseinstieg.
An pragmatischer Orientierung lassen es die Absolvierenden nicht
fehlen. Männer wählen zwar etwas öfter Informatik
als Nebenfach, Frauen zeigen eine leicht stärkere Tendenz
zu Wirtschaftswissenschaften; doch beide Kombinationen versprechen
gleich gute Berufsaussichten. Wer sich für das Lehramt entscheidet,
hat unabhängig vom Geschlecht ebenfalls einen glatten Start.
-
- Berufsengagement gegen Kinderbetreuung
- Diesen Weg schlagen Frauen deutlich häufiger
ein, trotz der Alternative, die ihnen anders als in früheren
Zeiten offen steht. 1998 betrug der Frauenanteil bei mathematischen
Diplomprüfungen rund ein Viertel, beim ersten Staatsexamen
fast zwei Drittel. Sehr wahrscheinlich werden künftig mehr
Lehrerinnen als Lehrer an Gymnasien Mathematik unterrichten.
Hier sind bereits Weichen gestellt, die dafür sorgen, dass
Frauen in der Mathematik seltener zu Spitzenpositionen vorrücken.
-
- Entscheiden sich junge Mathematikerinnen
aber für das Diplom, so zeigen sie ebenso viel Selbstvertrauen
und berufliche Motivation wie männliche Absolvierende. In
mancher Hinsicht lassen sich allerdings Unterschiede zwischen
den Geschlechtern finden, die in ihrem Ausmaß geringfügig
sind, aber in dieselbe Richtung weisen. Frauen fühlen sich
durch das Studium etwas schlechter auf den Beruf vorbereitet
und glauben nicht ganz so sicher wie Männer, dass sie ihre
Interessen und Fähigkeiten darin gut entfalten können.
Karriereaspekte wie hoher Verdienst und berufliches Ansehen bestimmen
ihre Berufswahl in leicht geringerem Maße, und inhaltliche
Befriedigung ist ihnen bei der Arbeit etwas wichtiger. Relativ
hoch ist ihre Bereitschaft zur "Familienarbeit": 63
Prozent der Diplomabsolventinnen, aber nur 27 Prozent der Diplomabsolventen
gaben an, ihr berufliches Engagement reduzieren zu wollen, wenn
sie ein Kind bekommen. Staatsexamensabsolventinnen hatten dies
von vornherein einkalkuliert. Für Lehrkräfte sind Teilzeitarbeit
und "Kinderpausen" leichter einzurichten.
-
- Frauen fehlt es keineswegs an Interesse für
Mathematik. Dafür sprechen die Zahlen der Studienanfängerinnen
in diesem Fach, die stetig gestiegen sind und 1998 bei 47 Prozent
lagen. Im selben Jahr erreichte der Anteil der Frauen an Promotionen
immerhin 22 Prozent, doch nur acht Prozent werden Schätzungen
zufolge in absehbarer Zeit zur Spitzengruppe der Mathematiker
gehören. Ob sich diese Prognose bewahrheitet, ob Hindernisse
und Vorurteile berufstätige Mütter in der Karriere
bremsen oder ob die Frauen selbst anderen Aspekten ihres Lebens
um so mehr den Vorrang einräumen, je älter sie werden,
soll die Studie in den kommenden Jahren erweisen.
-
- Kontakt:
Prof. Dr. Andrea Abele-Brehm, Lehrstuhl Sozialpsychologie
Bismarckstraße 6, 91054 Erlangen
Tel.: 09131/85 -22307, Fax: 09131/85 -22951
E-Mail: abele@phil.uni-erlangen.de
Mediendienst FORSCHUNG Nr. 597 vom 30.05.2001
Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
pressestelle@zuv.uni-erlangen.de