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Wenn das Gehirn die Dosis selbst bestimmt

Forscher weisen nach, dass bei der medikamentösen Behandlung von Schizophrenie das Nervensystem die Wirkstoffe gezielt freisetzt

Bei der Informationsübertragung zwischen zwei Nervenzellen werden Medikamente gegen die Schizophrenie – sogenannte Antipsychotika, die Patienten verabreicht wurden – in hohen Konzentrationen freigesetzt. Dies hat ein internationales Forscherteam um Dr. Teja Grömer an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) mit Hilfe modernster Mikroskop-Technik nachgewiesen. Ihre Ergebnisse haben die Forscher im international renommierten Wissenschaftsmagazin „Neuron“ veröffentlicht.

spH-cells / Grafik Uniklinikum

Unter dem Mikroskop leuchtet ein Netzwerk
von Nervenzellen grün. Zu erkennen ist hier ein
synaptisches Eiweiß, das die Forscher auf die
Spur der Erkrankung bringt.
Grafik: Psychiatrische und Psychotherapeu-
tische Klinik des Universitätsklinikums
Erlangen

Die Schizophrenie ist eine häufige psychische Erkrankung, bei der die meist jungen Erkrankten ihre Welt plötzlich anders als ihre Mitmenschen erleben. Patienten leiden unter Halluzinationen und Verfolgungswahn, sie hören die eigenen Gedanken als Stimmen und fühlen sich dadurch verfolgt. Noch sind die Ursachen für diese Vorgänge im Gehirn nicht erforscht und konnten nicht nachgewiesen werden. Doch Schizophrenie kann heute effizient mit Medikamenten therapiert werden.

„Bislang galt die Dosis Antipsychotika, die innerhalb eines speziellen Zeitraums und an einer bestimmten Gehirnregion wirkt, als konstant. Wir zeigten nun, dass, sobald die Synapsen aktiv sind, die Medikamente aus deren kleinen Membranbläßchen, den sogenannten Vesikeln, ausgeschüttet werden. Dabei wandern sie wie Neurotransmitter, also wie Botenstoffe, von der einen zur anderen Nervenzelle“, sagt Dr. Teja Grömer von der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen.

Da bei schizophrenen Patienten zu viel Dopamin im Gehirn vorhanden ist, so die heute gängige Hypothese, wird die Wirkung dieses Botenstoffs durch die Gabe von Medikamenten gehemmt. Dennoch ist das Gehirn – auch unabhängig zum Beispiel von schizophrenen Schüben – permanent aktiv. In besonders aktiven Gehirnregionen könnten die Medikamente daher deutlich besser wirken.

„Vor allem bei einer sehr starken Nerven-Aktivität schüttet das Gehirn mehr Wirkstoffe aus, während dies bei niedrigerer Aktivität nicht geschieht.“ Für die Synapsenforschung im Bereich der Schizophrenie bedeutet dies: „Wo das Gehirn der Erkrankten besonders aktiv ist, steigt auch die Dosis der Medikamente – das Gehirn therapiert sich bei starker Aktivität also selbst.“

Mit dem Nachweis erklärt sich auch die Zeitspanne, die nötig ist, bis ein verabreichtes Anti­psychotikum wirkt. Es kann oft mehrere Wochen dauern, bis sich das Medikament vollständig in den Synapsen angereichert hat und sich die volle Wirkung der Substanzen entfalten kann. Die verzögerte Anreicherung im menschlichen Gehirn und die Hypothese eines damit zusammenhängenden verzögerten Wirkeintritts hat erstmals der Direktor der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen, Prof. Dr. Johannes Kornhuber, beschrieben, auf dessen Arbeiten sich die neuen Untersuchungen gründen.

Um die Funktionen der Nervenzellen zu untersuchen, nutzte Grömer modernste Lichtmikroskop-Technik und baute ein spezielles Labor für Neurophotonik auf, in dem Nervenzellen mit Hilfe von Licht erforscht werden. Der Versuchsaufbau folgt Grömers Hypothese, wonach nicht einzelne Bestandteile von Zellen, wie es zum Beispiel Proteine sein können, die Ursachen von psychischen Erkrankungen darstellen. Vielmehr handelt es sich um ein „Konzert von Molekülen“ – also um ein Zusammenspiel von unterschiedlichen Vorgängen, die sich an Nervenzellen abspielen. Mit Hilfe der neuartigen Spezialgeräte erzielten Grömer und sein Team Ergebnisse wie zum Beispiel eine feinere Auflösung, die mit bisherigen Technologien nicht möglich gewesen wären.

Die Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg (FAU) haben ihre Studie im international renommierten Wissenschaftsmagazin „Neuron“ veröffentlicht. „Die Ergebnisse lassen darauf hoffen, neuartige Medikamente mit anderen Wirkeigenschaften zu entwickeln und auch die Effekte der bisher eingesetzten Antipsychotika besser zu verstehen“, sagt Dr. Teja Grömer.

Weitere Informationen für die Medien:

Dr. Teja W. Grömer
Tel.: 09131/85-44781
Teja.Groemer@uk-erlangen.de

uni | mediendienst | forschung Nr. 25/2012 vom 13.6.2012

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