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Alle Wege führen nach Rom

Forschungsprojekt untersucht päpstlichen Einfluss im Hochmittelalter

Von Reggio di Calabria bis Uppsala, von Lissabon bis Fünfkirchen erstreckte sich im 11. und 12. Jahrhundert das christliche Abendland. Die einzelnen Regionen Europas begannen, eigene Identitäten auszubilden und sich von ihren Nachbarn abzugrenzen. Das Papsttum bemühte sich, die Idee einer gesamtchristlichen und ganz auf Rom hin orientierten Universalkirche mit dem Heiligen Stuhl an der Spitze umzusetzen. Beide Entwicklungen führten zu einem intensiven Austausch der römischen Kurie mit der Chris­tenheit - bis in die entlegensten Gegenden Europas. Wie dieser Austausch ablief, was seine Ursachen und Wirkungen waren, wollen die Wissenschaftler am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg erforschen. Gefördert wird das Projekt "Päpstlich geprägte Integrationsprozesse in Ost- und Westeuropa (11. bis 13. Jahrhundert) - Universale Einheit oder vereinheitlichte Vielfalt?" von der Volkswagen-Stiftung.

Papst Alexander der Dritte

Spinello Aretino (um 1345-1410):
Papst Alexander III. empfängt einen
Gesandten. Fresko im Palazzo Pubblico
in Siena.
Quelle: Ökumenisches Heiligenlexikon

Die Erlanger Forscher arbeiten bei ihren Untersuchungen eng mit der Karls-Universität Prag, der Central European University Budapest und der Universität Pécs (Ungarn) zusammen. Vier Nachwuchswissenschaftler werden die Zeugnisse des Austauschprozesses zwischen dem religiösem Zentrum Rom und der kirchlichen Peripherie erschließen und auswerten. Claudia Alraum wird sich dabei einem peripheren Raum vor der Haustüre Roms, dem süditalienischen Apulien, annehmen. Marcel Elias widmet sich den päpstlichen Beziehungen mit Ungarn und Andreas Holndonner erforscht die kurialen Kontakte mit der kastilischen Erzdiözese Toledo. Gábor Barabas untersucht Einflüsse der päpstlichen Kanzlei auf die ungarische im 13. und 14. Jahrhundert

Mit welchen Instrumentarien wollte das Papsttum seine Ideen in diesen Regionen umsetzen, welche Normen und Rechtsvorstellungen brachte es mit und wirkte dadurch auch auf die lokalen Identitätsfindungsprozesse ein? Wie erfolgreich und konsequent vermochte es, seine Vorstellungen von einer hierarchisch auf Rom hin orientierten Universalkirche umzusetzen? Oder wirkten etwa im Gegenzug Phänomene der Peripherie auf das Zentrum selbst zurück? Und wie prägten die Verhältnisse in den zu untersuchenden Räumen, das Neben-, Mit- und Gegeneinander verschiedener Herrschaftsansprüche und Kulturformen sowie die Begegnung der großen Buchreligionen lateinisches bzw. griechisches Christentum, Judentum und Islam die Kontakte mit dem Papsttum?

Durch diese historischen Fragestellungen ergeben sich zahlreiche Parallelen zum modernen europäischen Einigungsprozess, insbesondere zur Diskussion um die Bedeutung religiöser Werte für ein vereinigtes Europa und deren Einfluss auf die Entwicklung politischer Strukturen. Zwar verbietet sich ein unmittelbarer Vergleich der heutigen Verhältnisse mit den zu untersuchenden Entwicklungen des Hochmittelalters. Die Mittelalterforschung ermöglicht es aber, das Verständnis für die europäische Gegenwart zu vertiefen und somit Chancen und Spannungsfelder des europäischen Einigungsprozesses in historischer Perspektive klarer zu erkennen.

Die Arbeit der vier Nachwuchswissenschaftler ist eng mit dem Forschungsprojekt "Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters" verzahnt, das von der "Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften zu Göttingen" getragen wird, sowie mit den "Regesta Imperii". Außerdem fließen Forschungsergebnisse aus dem DFG-Schwerpunktprogramm 1173 "Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter" ein, von dem Teilprojekte in Erlangen angesiedelt sind.

Weitere Informationen für die Medien:

Andreas Holndonner
Tel.: 09131/85-25881
andreas.holndonner@gesch.phil.uni-erlangen.de

uni | mediendienst | forschung Nr. 44/2009 vom 08.09.2009

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