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Die Mathematik fliegt mit

EU-Projekt PLATO-N zur softwaregestützten Strukturoptimierung

Löcher wiegen nichts - das ist kaum erwähnenswert. Geht es jedoch darum, Gewicht einzusparen, zeigt sich, wie nützlich Leere sein kann. Zur Stabilität trägt sie allerdings nicht bei, weshalb Konstrukte, die möglichst leicht und doch belastbar sein sollen, das richtige Verhältnis von Löchern und tragenden Teilen aufweisen müssen. Besonders wichtig ist das im Bereich der Luftfahrt, wo Gewichtsreduktion den Energieverbrauch erheblich senken kann, aber auch die Sicherheit vorrangig zu bedenken ist. Ein EU-Projekt zur softwaregestützten Designoptimierung von Flugzeugen unter Beteiligung von Mathematikern der Universität Erlangen-Nürnberg kommt derzeit in seine Endphase. Dass damit eine Erfolgsgeschichte einen Höhepunkt erreicht, ist bereits jetzt absehbar.

"Die EU-Förderung schuf wesentliche Voraussetzungen für diese außergewöhnlich erfolgreiche Entwicklung", betont Prof. Dr. Günter Leugering, Inhaber des Lehrstuhls für Angewandte Mathematik II, der in Erlangen gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Stingl, Juniorprofessor für Mathematische Optimierung, die Thematik bearbeitet. Weitere Forscherteams aus Bayreuth, Haifa (Israel), Birmingham (Großbritannien) und Lyngby (Dänemark) sowie die Industrieunternehmen EADS, Airbus UK, Altair, RISK und Eurocopter sind an dem seit drei Jahren laufenden Projekt PLATO-N beteiligt. Der Projektname steht für "Platform for Topology Optimization"; gefördert wird das Forschungsvorhaben seit 2006 im 6. Rahmenprogramm der Europäischen Union als "Special Targeted Research Program" (STREP).

Prof. Leugering

Ein Drittel weniger Gewicht: Der fertige
Prototyp des Bauteils für den Airbus 380 wirkt
eher grazil als wuchtig, hat aber nichts an
Zuverlässigkeit eingebüßt.
Foto: EADS

Riese mit schlankem Design

PLATO-N baut auf einem Vorläuferprojekt aus dem 90er Jahren auf. Als der Airbus 380, das größte Flugzeug der Welt, geplant wurde, war eines klar: Das Gewicht musste extrem gering gehalten werden, damit der Riese überhaupt eine Chance hatte abzuheben. Das bedeutete für das Produktdesign eine drastische Materialreduktion. Löcher in die Konstruktion einzuplanen, bot sich als Lösung an, doch wie sollten Funktionalität und Sicherheit dabei gewahrt bleiben?

"The art of structure is where to put the holes", erkannte schon der preisgekrönte französische Architekt Robert Le Ricolais, der Mitte der 30er Jahre das Prinzip leichter, tragender Außenhautkonstruktionen in die Bauindustrie einführen wollte. Dieser ebenso geniale wie einfache Gedankengang enthält aber keine "Lehre zum technischen Handeln", wie es die Patentanwälte verlangen. Abhilfe schafft hier die mathematische Abstraktion. Mathematisches "Bohren", ganz ohne Werkzeug und Material, ist der beste Weg, um herauszufinden, wo Löcher risikolos in eine Flugzeugkonstruktion gesetzt werden können, auch wenn das erst auf den zweiten Blick klar wird. Design wird heutzutage auf dem Bildschirm entworfen, in einer virtuellen Realität, in der man keine realen Materialien herausschneiden oder aufbohren muss. "Loch oder Nicht-Loch?", "Viel oder wenig Material?" wird zu einer mathematischen Frage.

Sensationelle Gewichtsersparnis

Diese Gedanken beflügelten Wissenschaftler von EADS-München, mit Mathematikern der Universitäten Bayreuth und Erlangen-Nürnberg Codes zu entwickeln, die eine Form- und Topologieoptimierung für den Airbus 380, genauer für die vordere Rippe als wichtigen Teil des Flügels, möglich machen. Mit diesen Codes konnten bis zu 33% Gewichtsersparnis in der realen Struktur erreicht werden, die nach einem langwierigen Umsetzungsprozess der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Seit 2006 fliegt der Airbus 380 - und die Mathematik fliegt mit.

Nach diesem sensationellen Erfolg sollten die Ideen der Strukturoptimierung softwarebasiert ausgebaut und gefestigt werden, um sie auf andere Technologien anzuwenden. Der Weg zum EU-Projekt PLATO-N war geebnet: Eine Simulationsplattform wurde angestrebt, die Topologieoptimierungsprobleme in der aerodynamischen Praxis löst. Die fünf Forscherteams haben in den vergangenen drei Jahren auf der Basis mathematischer Theorien ein umfangreiches Softwarepaket erarbeitet, das jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Im Industriedesign und im Leichtbau werden so neue Dimensionen eröffnet. Als ?spin-off? der im EU-Projekt erarbeiteten Technologie können nun auch Materialschäume und andere komplexe Materialien in ihrer Funktionalität struktur-optimiert werden. Dieser neue Zugang wird gegenwärtig im "Center for Multiscale Modeling and Simulation" im Exzellenzcluster "Engineering of Advanced Materials" der Universität erforscht. Prof Leugering ist überzeugt: "Mathematik als Katalysator wurde und wird in Zukunft verstärkt im interdisziplinären Verbund praxisrelevant!"

Weitere Informationen für die Medien:

Prof. Dr. Günter Leugering
Tel.: 09131/85-27509
leugering@am.uni-erlangen.de

uni | mediendienst | forschung Nr. 55/2009 vom 19.10.2009

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