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Inventarisierung in der Weimarer Stadtkirche

Kunst zum Anfassen

Nur wenige Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen werden für sich in Anspruch nehmen können, eine Woche lang unter einem Cranach-Altar vermessen, beschrieben und gefroren zu haben. Eine Gruppe von Studierenden der Universität Erlangen-Nürnberg konnte diese Erfahrung im Februar 2005 erleben. Sie nahmen an einer einwöchigen Übung zur Inventarisierung von kirchlichem Kunstgut teil, die der Lehrstuhl für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte unter Leitung von Prof. Dr. Carola Jäggi in der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul - besser bekannt unter dem Namen Herderkirche - durchführte.

Eine enge Kooperation mit dem Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und der Abteilung Kunstguterfassung der Evangelisch-lutherischen Kirche in Thüringen legte die Basis für den Erfolg des Lehrprojekts. Beide Seiten konnten davon profitieren: Die Partner in Thüringen erhielten praktische Unterstützung in ihrem Bestreben um eine flächendeckende Inventarisierung ihrer Kulturgüter, das ansonsten davon gebremst wird, dass gerade bei größeren Monumenten nicht genug Personal für eine adäquate wissenschaftliche Aufnahme der Denkmäler verfügbar ist. Den Studierenden wiederum bot sich die seltene Möglichkeit, qualitativ hochwertige Kunstwerke nicht nur als Museumsobjekte, sondern in ihrem ursprünglichen Funktionskontext kennenzulernen und praxisnah mit ihnen arbeiten zu können.

Der Erfassungswoche vor Ort ging eine intensive Vorbereitung im Hörsaal voraus; im Zentrum standen dabei einerseits die Bau- und Ausstattungsgeschichte der Herderkirche, andererseits die Terminologie der üblichen sakralen Ausstattungsgegenstände sowie der Umgang mit der Digitalkamera und der Inventarisierungssoftware HiDA, die in den meisten deutschen Museen und Denkmalämtern angewandt wird.

In Weimar gingen die Studierenden dann nach Materialgruppen vor. Priorität hatten die Vasa sacra, d.h. das Abendmahlsgerät (Kelche, Weinkannen, Hostiendosen, Patenen) und die Taufgefäße - insgesamt 40 Objekte, die in einzelnen Fällen noch aus vorreformatorischer Zeit stammen und bis heute in Gebrauch sind.

Als zweite Objektgruppe wurden die Grabdenkmäler bearbeitet; zu diesen zählen 47 Grabplatten und Epitaphien des 16.-18. Jahrhunderts aus Stein und Metall, deren zum Teil meterhohen Aufbauten nur von der Leiter aus beizukommen war.

Alle diese Monumente wurden detailliert beschrieben, fotografiert und kunsthistorisch eingeordnet, aber auch auf Herstellersignaturen und Metallmarken hin untersucht.

Schadensbilder

Bei der Inventarisierung kirchlichen Kunstguts ist es zudem sehr wichtig, Schadensbildern festzustellen, um Fälle dringlichen Handlungsbedarfs zu benennen und an die zuständigen Stellen zu appellieren, die nötigen Konservierungsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Die fachgemäße Beurteilung der Schadensbilder war allerdings nur durch die freundliche Unterstützung spezialisierter Restauratoren der FH Erfurt möglich, die den Studierenden einen Einblick in die Reaktionsmechanismen von Stein und Metall gaben.

Mit der studentischen Inventarisierung des Kunstguts der Weimarer Herderkirche wird an eine Tradition angeknüpft, die vom vormaligen Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte, Prof. Dr. Peter Poscharsky, im Sommersemester 1998 etabliert und seither in loser Folge in Kooperation mit der Amtsstelle für kirchliche Inventarisation in Bayern fortgeführt wurde. Die Ausstellung „Spuren des Glaubens - Kirchenschätze im Erlanger Raum“, die vom 28. November 2004 bis 23. Januar 2005 im Erlanger Stadtmuseum zu sehen war, bot ein Fazit über die bisherige Zusammenarbeit der Kooperationspartner.

Dass die Zusammenarbeit zwischen Universität und kirchlichen bzw. weltlichen Denkmalämtern nun über die Grenzen von Bayern ausgedehnt werden konnte, muss als Glücksfall betrachtet werden, da die Studierenden hierdurch Gelegenheit erhalten, sich Erkenntnisse über kunstlandschaftliche Beziehungen zu den Nachbarregionen aus eigener Anschauung zu erarbeiten und dadurch das Auge zu schärfen für Befunde, die sich an Dias im Hörsaal nicht in vergleichbarer Weise vermitteln lassen wie an Originalen.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Carola Jäggi
Lehrstuhl für Christliche
Archäologie und Kunstgeschichte
Tel.: 09131/85 -22213
carola.jaeggi@theologie.uni-erlangen.de

  

Abb. 2a-c: Weinkanne, um 1650, aus dem „Vasa sacra-Schatz“ der Herderkirche sowie Details von Henkel und Fuß mit dem Makro der Digitalkameria für die Inventarisierung erfasst.

 

 




 

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Mediendienst Forschung-Aktuell Nr.741 vom 19.04.2005


zentrale universitätsverwaltung, pressestelle --- zuletzt aktualisiert am 12.11.2007