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Institut
für Germanistik
„Kollege Computer“ liefert dem Philologen
zuverlässige Daten für die Interpretation
Mittelalterphilologie und Computer miteinander zu verbinden - das
scheint auf den ersten Blick ein merkwürdiges Unterfangen zu
sein. Der typische Mittelaltergermanist verbringt seine Zeit in
Archiven, studiert Handschriften und lotet feinste Interpretationsnuancen
aus. Eine neue Perspektive auf die Entwicklung altgermanistischer
Forschung bieten jetzt die „Computergestützten textstatistischen
Untersuchungen an mittelhochdeutschen Texten“, die von Dr.
Friedrich Michael Dimpel vom Institut für Germanistik der Universität
Erlangen-Nürnberg in seiner Dissertation vorgelegt wurden.
Dieser Forschungsansatz
setzt dort ein, wo traditionelle philologische Verfahren enden.
So haben die Philologen über 100 Jahre versucht, die Frage
zu klären, ob die Vorgeschichte zu Wolframs „Parzival“
am Beginn der Arbeit des Dichters am Text stand, oder ob die Kapitel,
die von den Abenteuern von Parzivals Vater handeln, erst nach Abschluss
der eigentlichen Jugendgeschichte des Titelhelden entstanden sind
- eine Frage, die für die Interpretation des Romans weitreichende
Konsequenzen hat. Ob mit stilistischen Untersuchungen, Studien zu
Erzählerkommentaren oder zur Initialensetzung - Einigkeit in
dieser Frage konnte nicht erzielt werden; auch nicht durch eine
„Schallanalyse“, ein Instrumentarium, das zu Beginn
des 20. Jahrhunderts in Mode war, sich jedoch nicht etablieren konnte.
Dimpel beschreitet
mit der von ihm entwickelten Textanalysesoftware „ErMaStat“
(Erlanger Mittelalter-Statistik) in der germanistischen Mediävistik
Neuland. Erstmals wurde für philologische Fragestellungen ein
Programmpaket entwickelt, in dem die Erfassung einer großen
Zahl verschiedenster Textmerkmale und die Auswertung der gewonnenen
Daten durch ein statistisches Prüfverfahren in einem einzigen
Programmpaket integriert sind. Der Reiz, der von solchen quantifizierenden
Verfahren ausgeht, liegt in der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit:
Korrekt erhobene Zahlen kann man kaum anzweifeln, allenfalls kann
man ihre Bewertung in Frage stellen. Freilich können statistische
Erhebungen die hermeneutische Tätigkeit des Philologen nicht
ersetzen, sie können aber eine Entscheidungshilfe bei Streitfragen
sein, bei denen durch traditionelle Forschung anders keine Einigkeit
zu erzielen ist.
Textmerkmale
werden statistisch erfasst
„ErMaStat“ erfasst eine große Anzahl verschiedener
Textmerkmale, da es in der Forschung bislang keine Einigkeit gibt,
anhand welcher Textmerkmale sich Autoren, Werke oder Werkabschnitte
unterscheiden. Die Vielzahl der Textmerkmale, die in „ErMaStat“
erhoben werden, reicht von einfachen quantitativen Merkmalen wie
Wort- oder Satzlängen, über Vokal- und Konsonantenverteilungen,
Funktionswörter und einfache Stilmittel bis zu syntaktischen
Phänomenen, lexikalischen Untersuchungen und zu einer metrischen
Analyse. Um die Frage beantworten zu können, ob die Unterschiede
bei einem Textmerkmal zwischen zwei Texten signifikant sind, wird
ein statistisches Prüfverfahren, der Wilcoxon-White-Test, eingesetzt.
Das aufwendigste
Teilprojekt ist die automatische metrische Analyse. Bei einer Fehlerquote
von rund drei Prozent erkennt das Programm, welche Silben betont
und welche unbetont sind. Dabei werden Textmerkmale wie Kadenztyp
oder Alternierungsindikatoren erfasst, die wichtige stilistische
Analysekriterien bieten.
Der Computer
im Dienst der Philologie
„ErMaStat“ stellt Computer und Statistik in den Dienst
der Philologie. Der Computer ist ein notwendiges und zulässiges
Hilfsmittel bei der Beantwortung von Fragen, die der Literaturwissenschaftler
formuliert. Mit diesem Computerinstrumentarium gelingt es beispielsweise,
objektivierbare Argumente für die Spätdatierung der Elternvorgeschichte
im „Parzival“ zu präsentieren. Dimpel wandelt hier
auf der Spur, die Elisabeth Karg-Gasterstädt bereits 1925 mittels
Schallanalyse gezogen hat. Zwar ist es bislang niemand gelungen,
die Schallanalyse des „Parzivals“ in vier Versgruppen
nachzuvollziehen, die zur These der Spätdatierung führte.
„ErMaStat“ aber zeigt, dass große signifikante
Unterschiede zwischen den Schallgruppen vorhanden sind, jedenfalls
deutlich größere, als innerhalb des chronologisch untersuchten
Werktextes.
Eine weitere
Detailstudie in Dimpels Disseration gilt dem „Erec“
und dem „Iwein“ von Hartmann von Aue. Hier kann demonstriert
werden, dass die ersten tausend Zeilen des „Iweins“
schon früh, kurz nach der Fertigstellung des „Erecs“
verfasst worden sind, und nicht, wie bislang angenommen, zusammen
mit dem Hauptteil des „Iweins“, also lange nach dem
Abschluss der geistlichen Erzählungen Hartmanns.
Grundsätzliche
Bedeutung
Dimpels Studie kommt eine grundsätzlichere Bedeutung für
das philologische Selbstverständnis im „Zeitalter der
Informatik“ zu. Bisher hat es dazu zahllose programmatische
Verlautbarungen gegeben, praxistaugliche Studien aber blieben Mangelware.
Die zahlreichen einschlägigen Beispiele des Erlanger Germanistentages
2001, der mit einem Schwerpunkt dem Computereinsatz in Forschung
und Lehre gewidmet war, haben das gezeigt: Nützliche Datenbanken
wurden in Fülle geboten, aber sie blieben dem ‚Kerngeschäft'
der Textinterpretation äußerlich. Dimpels Arbeit hingegen
führt mitten hinein und beweist sich als außergewöhnlicher
Vorreiter.
Weitere Informationen
Dr. Friedrich
Michael Dimpel
Institut für Germanistik
Tel.: 09131/85 -26207
fhdimpe@phil.uni-erlangen.de
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