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poesie und bibelworte im wechselspiel
 

Datenbank-Projekt zu Spuren der Bibel in der deutschsprachigen Lyrik nach 1945
Poesie und Bibelworte im Wechselspiel

Für viele Menschen klingt die Sprache der Bibel poetisch, auch wenn sie sich weder der Religion noch der Lyrik besonders verbunden fühlen. Für Poeten hat das Buch der Bücher eine Anziehungskraft, die in seiner Sonderstellung innerhalb unseres Kulturkreises begründet ist. Die Bibel findet in der Literatur ein Medium, das ihre Worte aufgreift, umformt, deutet oder auch parodiert. Am Institut für Praktische Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg hat Prof. Dr. Martin Nicol ein Datenbank-Projekt initiiert, das als Leitfaden beim Spurenlesen im Wechselspiel von Bibel und deutschsprachiger Gegenwartslyrik gedacht ist. Im Jahr der Bibel, das nun zu Ende geht, wurden die bisher gesammelten Daten für das Internet aufbereitet.

Wenn in der Literatur von der Sintflut oder vom Hohen Lied der Liebe die Rede ist, wenn in einem Gedicht von Thomas Rosenlöcher das Kamel endlich den Weg durchs Nadelöhr findet oder Hans Magnus Enzensberger vom Besuch eines Engels berichtet, der ihn unverblümt provoziert, liegt die Anleihe bei biblischen Texten auf der Hand. Nicht immer jedoch treten Anspielungen so offen zu Tage, und mitbekommen kann sie nur, wer mit den Formulierungen des Buchs, auf das Christen und Juden ihre Religion begründen, vertraut ist. Da diese Vertrautheit schwindet, soll die Datenbank die Wahrnehmung schärfen und helfen, die Aufmerksamkeit auf biblische Spuren in der Literatur zu lenken.

Eine andere Denkrichtung entspricht mehr dem theologischen Interesse: Bibeltexte aus ihrer Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte zu begreifen. Nach einer neuerdings vielfach vertretenen Auffassung erschöpft sich das Auslegen der Schrift nicht darin, dem nachzuforschen, was die Autoren ausdrücken wollten. Was davon ankommt und wie dies weiterverwendet wird, ist ebenfalls bedeutsam. Die Literatur und andere Richtungen der Kunst geben hier reichhaltiges Material an die Hand. Literarische Texte mit biblischen Bezügen gelten Theologen teils sogar als "externe Bibelauslegung", also außerhalb von Kirche oder Theologie vorgenommene Deutungen.

Zahlreiche Fragestellungen für wissenschaftliche Projekte, für Dissertationen, Magister- oder Zulassungsarbeiten lassen sich hier anknüpfen. Eine große Arbeit über biblische Spuren in der Lyrik von Erich Fried wurde bereits abgeschlossen. Die Internet-Datenbank liefert für solche Recherchen die Grundlagen. Ebenso gut kann die Sammlung von Beispielen einen Fundus abgeben, der Lehrenden an Schulen oder Hochschulen, Pfarrerinnen und Pfarrern in ihrer Berufspraxis nützlich ist. Freien Zugang zum gesamten Bestand erlaubt zwar das Verlagsrecht nicht, doch mittels Passwort, das Interessenten auf begrenzte Zeit zugeteilt wird, können die Informationen abgerufen werden.

Wer Literaturwissenschaften studiert oder im Bildungssektor tätig ist, könnte an biblischen Anklängen in einzelnen Gedichten interessiert sein oder das Werk bestimmter Autoren auf den Gehalt an Bezügen zur Bibel prüfen wollen. Dafür ist wichtig zu wissen, dass bereits beim Erstellen der Datenbank Deutungen von Texten zugrunde liegen. Nur Zitate zu sammeln und Begriffe abzugleichen, wie es ein Computerprogramm ermöglichen würde, ist nicht das Anliegen des Projektteams. Die Identifikation biblischer Spuren beruht immer schon auf Interpretation.

Die Auswahl der Datenbank ist auf exemplarische Beispiele angelegt, die möglichst viele Facetten des Wechselspiels von Literatur und Bibel widerspiegeln sollen. Insgesamt sind etwa 50 Autorinnen und Autoren zur Bearbeitung vorgesehen. Knapp die Hälfte wird mit einem Teil ihres Werks vertreten sein, bei anderen sollen alle lyrischen Veröffentlichungen seit 1945 durchsucht werden. Gläubigkeit ist kein Kriterium für die Aufnahme in den Katalog, jedoch wird Wert darauf gelegt, dass Lyriker aus christlichem wie aus jüdischem Umfeld in gleicher Weise zur Geltung kommen. Neben Repräsentativität für die literarischen Strömungen und Traditionen des letzten halben Jahrhunderts ist die breite Rezeption in Schulen und Universitäten, in Feuilletons und Literaturgeschichten ausschlaggebend. Dass bei der Auswahl subjektive Faktoren mitspielen, ist den Teammitgliedern bewusst.

Über 700 Gedichte sind derzeit nach ihren biblischen Spuren erfasst. Eine ältere Version der Datenbank war für den internen Gebrauch erstellt; die neue Internet-Datenbank ist speziell für die Anforderungen des Projekts programmiert und seit August 2003 auch von außerhalb nutzbar. Einblicke in das bisher Erreichte bietet die Homepage unter www.lyrik-projekt.de. Auf 2.000 Gedichte soll der Bestand aufgestockt werden, um den selbst gestellten Anspruch zu erfüllen. Bisher schon leisteten Sponsoren gelegentliche Zuschüsse. Darüber hinaus wären dem Projektleiter Martin Nicol, der die Arbeit gerne auf eine solide wissenschaftliche und personelle Basis stellen möchte, Gelder willkommen, mit denen die Fortführung des Projekts für die nächsten drei Jahre gewährleistet würde.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Martin Nicol
Institut für Praktische Theologie
Tel.: 09131/85 -22221
martin.nicol@theologie.uni-erlangen.de

 

Mediendienst Forschung-Aktuell Nr.679 vom 19.12.2003

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