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Warum tut Frieren weh?

Ohne einen speziellen Ionenkanal wäre Kälte nicht schmerzhaft

Mit steifgefrorenen Fingern einen Knoten im Schnürsenkel zu lösen ist schwierig. Das Gefühl fehlt und Nerven wie Muskeln verrichten ihren Dienst nur widerwillig. Weh tun die eiskalten Finger trotzdem - umso mehr, wenn man sie noch einklemmt. So unangenehm das ist: es schützt uns vor unbemerkter Erfrierung. Wie das funktioniert, hat nun eine Gruppe am Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Erlangen-Nürnberg zusammen mit Forschern der Anästhesiologischen Klinik und einer englischen Arbeitsgruppe herausgefunden. Die Nervenendigungen, die Schmerzsignale an das Gehirn senden können, besitzen eine frostfeste Zündvorrichtung für Nervenimpulse. Die Fachzeitschrift „Nature“ berichtet darüber in ihrer Ausgabe in dieser Woche.

transgene Maus

Die Maus auf dem Trockeneis spürt trotz 232 Grad unter
dem Nullpunkt keinen Kälteschmerz. Die Schleusen, die Signale
von schmerzleitenden Nerven bei Kälte passieren lassen, sind
in ihrem Fall gentechnisch ausgeschalte
Foto: Clemens Forster

Um ordentlich zu funktionieren, müssen Nervenendigungen und -fasern explosionsartige kleine elektrische Natriumionenströme ausbilden können, die zum Nervenimpuls (Aktionspotential) führen. Ihre Schleusen, die Natriumkanäle, öffnen und schließen aber bei Kälte immer langsamer, bis sie schließlich buchstäblich „einfrieren“. Sie geraten in einen Zustand der „slow inactivation“, der auf einen Kälteblock hinausläuft. Nur ein ganz spezieller Typ von Natriumkanal, der NaV1.8, erwies sich als verblüffend kälteresistent; er wird zwar auch träger, blockiert aber nicht und kann auch bei 23 °C in der Haut noch fortgeleitete Aktionspotentiale auslösen.

NaV1.8 war früher schon aufgefallen, weil er sich nicht durch das Gift des schmackhaften, aber für Sushi viel zu teuren Fugu-Fisches aus dem Pazifik blockieren lässt. Die meisten anderen Natriumkanäle reagieren im Gegensatz dazu höchst empfindlich auf das Tetrodotoxin (TTX) aus den Eingeweiden des Kugelfisches - mit tödlichen Folgen für den Genießer. Eine zweite Auffälligkeit war, dass NaV1.8 ausschließlich in den auf Schadensmeldung spezialisierten Nervenendigungen und -zellen, den „Nozizeptoren“, gefunden wird. Die besitzen zwar für den Normalbetrieb auch TTX-empfindliche Natriumkanäle. Für den Notbetrieb bei Kälte aber verfügen sie, wie sich jetzt gezeigt hat, zusätzlich über den NaV1.8-Kanal, so dass sie Kälteschmerz oder anderen Schmerz aus kalten Gliedmaßen signalisieren können. Normalerweise hängt die Erregbarkeit dieser Nervenfasern kaum von NaV1.8 ab; dafür ist seine Reizschwelle auch zu hoch. Bei Kälte aber steigt der elektrische Widerstand der Zellmembranen. Die Isolation zwischen innen und außen wird stärker und von den winzigen Entladungen der Nervenendigungen geht weniger durch Kurzschluss verloren. Auf diese Weise wird die hohe Schwelle von NaV1.8 doch erreicht und der Notbetrieb gesichert.

Ansatzpunkt für Schmerzmittel
Die Ausschließlichkeit, mit der NaV1.8 nur in Nozizeptoren auftritt, die Schmerz melden können, hat den Natriumkanal zu einem erstklassigen „target“, einem Ansatzpunkt der Pharmaindustrie gemacht. Sie durfte hoffen, durch seine medikamentöse Blockade Schmerzen ohne Nebenwirkung - sozusagen straflos - auszuschalten. Umso größer war die Enttäuschung, als es einer Arbeitsgruppe um Prof. John Wood vom University College London vor acht Jahren zwar gelang, NaV1.8 bei Mäusen gentechnisch auszuschalten, doch den Tieren mangelte es bei den verschiedensten Schmerzreizen trotzdem kaum an Empfindlichkeit. Nur schmerzhafte Kälte hatte bei den Tests gefehlt, was jetzt nachgeholt wurde. Die Versuche zeigten, dass die Mäuse in freier Wildbahn höchst gefährdet wären: sie frieren zwar, spüren aber offenbar keinen Kälteschmerz. In allerneuester Zeit haben die amerikanischen Firmen Abbott und Icagen ein mögliches künftiges Schmerzmittel vorgestellt, das bevorzugt NaV1.8 blockiert. Es wirkt (tierexperimentell) besonders gut gegen „Kälteallodynie“, eine schmerzhafte Kälteüberempfindlichkeit, die bei peripheren Nervenleiden auftritt. Die Erlanger Forschung erklärt diese Wirksamkeit.

Bei den Forschungsarbeiten bewährte sich die Zusammenarbeit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Peter Reeh am Institut für Physiologie und Pathophysiologie mit den Anästhesiologen Dr. Andreas Leffler und Prof. Carla Nau , die im Sonderforschungsbereich 353 „Pathobiologie der Schmerzentstehung und Schmerzbehandlung“ begonnen wurde. Die Forschungen in der experimentellen Anästhesiologie am Erlanger Universitätsklinikum werden jetzt im DFG-Schwerpunkt KFO130 gefördert. An der Nature-Publikation war auch das Team von Prof. John Wood maßgeblich beteiligt.

Weitere Informationen für die Medien
Prof. Dr. Peter W. Reeh
Institut für Physiologie und Pathophysiologie
Tel.: 09131/85-22228
reeh@physiologie1.uni-erlangen.de

 

uni | mediendienst | forschung Nr. 19/2007 vom 14.06.2007


zentrale universitätsverwaltung, pressestelle --- zuletzt aktualisiert am 14.01.2008

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