Yvonne Vera

(Zimbabwe)

Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen

Sonntag, 5.10.97, 15 Uhr
Forum 6, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

Dienstag, 7.10.97, 20 Uhr
Kulturtreff
Helmstr. 1, Erlangen

 

Auf Traumpfaden

"James sprach, als öffnete er eine Wunde, mit Vorsicht und unter Schmerzen. Der Augenblick hatte sich gesammelt, und wenn er ihn vorübergehen ließ, würde er ihn nicht so leicht wiederfinden. Doch da war wieder die zögernde, zwingende Stille, in der sie beide schwebten und verloren waren. Sie befanden sich im unbehaglichen Rhythmus ihrer Verärgerung und ihrer qualvollen Situation. Sie waren getrennt durch einen unlösbaren Kampf um Lebensraum, der sich in den Lücken und den Pausen zwischen unvollendeten Gesten und ungenauen Blicken ausdrückte."

Ein schwarzer Mann und eine weiße Frau; ein Diener, seine Herrin und der Versuch einer Verständigung: So beginnt Yvonne Veras Erzählung "Grenzüberschreitungen". - "Es gibt etwas, um das ich Sie bitten möchte ..., Madam". Weiter kommt James nicht.

Eine Geschichte auf einer Farm in Zimbabwe, zu einer Zeit, als das Land noch Rhodesien genannt wurde (nach Cecil Rhodes, dem Vorreiter der britischen Siedler) und als alles, was es zu bieten hatte, Weißen gehörte; zu einer Zeit, als die afrikanischen Befreiungskämpfer der Patriotischen Front allmählich an Boden gewannen, Premier Ian Smith und die weiße Minderheit (ca. 2%) die Vormacht im Staat und die Verfügungsgewalt über das Land verbissen verteidigte.

Ewig ist das her. Und doch ist Zimbabwe noch keine 20 Jahre alt.

Auf der Farm hat sich James als guter Eingeborener bewährt. Man schenkt ihm das Vertrauen, das "Schwarze" im besten Fall verdienen. Viel zu wenig, um Verständigung zuzulassen.

James wollte Madam Nora um Land für die Familie seines Bruders bitten, ein kleines Stück nur vom weiten, brachliegenden Land. Seine Bitte bleibt unausgesprochen - ein Störfeuer aus Befehlen, Einschüchterungen, Nichtbeachtung läßt ihn verstummen. James spürt, daß sich die Herrin vor ihm verschanzen muß; er durchschaut ihre Abwehr als die Not einer Mächtigen, die in Afrika nie wirklich angekommen ist, die Angst hat vor dem Unverstandenen - und die den Tag der Rache fürchtet. Dies Wissen ist nutzlos für ihn. Er selbst lebt in der Angst des Entrechteten - eine Mischung aus Wut und Ärger, aus Hilflosigkeit und Verachtung verschließt ihm den Mund.

Für diese Stimmungen gibt es keine Sprache. Im Klima der Macht bleibt jeder für sich, Unterdrückte wie Unterdrücker isoliert in den guten und bösen Träumen ihres Lebens - und aufgewühlt, getrieben nur von den lauten Stimmen des Schweigens.

In "Grenzüberschreitungen" erzählt Yvonne Vera vom unerbittlichen Zerstörungswerk der Macht: wie es Zug um Zug die Beziehungen der Menschen erfaßt, bis auch der vertrauteste Kontakt an die Sprachlosigkeit verloren geht. Ihr Blick dafür ist genau und offen, ihr Stil fast lakonisch, die Bilder einfühlsam und zugleich gestochen scharf.

Vera zeigt das Sich-Gegenseitig-Fremd-Werden, bei den Afrikanern, bei den Weißen und zwischen den Generationen: zwischen dem Farmer-Ehepaar - Nora gefangen im Traum von der englischen Heimat, Charles in den Mythen vom Großen Treck der Siedler; zwischen James und seiner Frau MaMoyo - er mit dem Traum vom alten, freien Leben im Dorf, sie mit der Hoffnung auf eine Zukunft für ihre Kinder in der Stadt; zwischen James' Vater und der gesamten Familie - der Alte mit der quälend-schönen Erinnerung an das enteignete, fruchtbare Tal seiner Kindheit, einer Sehnsucht, die er mit niemand mehr teilen kann.

Es bleibt nur "der grüne Raum im Kopf" - ein Autismus allen Wollens und Sehnens.

"Grenzüberschreitungen" ist der erste und längste Text in Yvonne Veras Erzähl-Band "Seelen im Exil" (dt. 1997). Er spannt den Rahmen und gibt ein Leitmotiv für alles Folgende. Die Kurzgeschichten sind Momentaufnahmen aus dem Zimbabwe der 70er Jahre. Vom Krieg erzählen sie nur indirekt, behandeln ihn eher wie ein Gerücht, von dem alle flüstern, an dem alles Hoffen und Bangen hängt - vor allem das der Frauen, die in Zeiten von Terror und Armut oft ganz auf sich gestellt sind.

"Seelen im Exil" - im Original "Why Don't You Carve Other Animals", Toronto 1992 - ist Yvonne Veras erstes Buch, geschrieben um 1990 während ihres Studiums in Kanada: eine "Erinnerungsarbeit" (Flora Veit-Wild) aus der Fremde, auch an der eigenen Kindheit und Jugend im Südwesten Zimbabwes. Der Band kam sofort in die engste Auswahl für den Commonwealth-Preis 1993.

Dann ging Yvonne Vera zurück nach Zimbabwe und hat in schneller Folge drei Romane vorgelegt: "Nehanda" (1993), "Without a Name" (1994) und "Under the Tongue" (1996), alle in Zimbabwe und ganz Afrika stark beachtet. Für die ersten beiden erhielt Vera die Hauptpreise der Zimbabwe Book Publishers Association (1994, 1995).

"Nehanda" erzählt von einer zimbabwischen Symbolfigur des Widerstands gegen die Kolonialherren. Die Titelheldin führte 1896/97 den ersten Aufstand der Shona und Ndebele gegen die britischen Siedler an. Vera schreibt über Person und Wirken Nehandas in "einer lyrischen Prosa, die ... schockiert durch ihre eigensinnige, fast gewaltsame Bildschöpfung" (Flora Veit-Wild).

In dem Roman "Without a Name" verläßt Mazvita, die junge Heldin des Buchs, ihr Dorf, um im großen Harare ihr Glück zu versuchen. Es ist das Jahr 1977. Das Land ist unfruchtbar geworden, der Krieg hat die Böden und die Beziehung der Menschen dazu ruiniert.

Mazvita sucht Unabhängigkeit. Sie gibt die "Sicherheit" eines zweifelhaften Verhältnisses mit Nyenyedzi auf und macht sich allein auf den Weg. Ihre Gefühle sind gemischt, Zuversicht und Zweifel konkurrieren. In Harare aber bleiben ihre Beziehungen flüchtig, der Umgang der Menschen miteinander ist brutal - die Stadt wird für Mazvita schnell zum Alptraum.

Sieben Monate später wird Mazvita Mutter eines Kindes, das noch von Nyenyedzi stammt, dem sie keinen Namen geben will, das sie tötet.

Mit der Leiche auf dem Rücken fährt sie heim aufs Land.

Jeder braucht "neue Träume, um ... alte Glücksversprechen zu ersetzen". Davon erzählt Yvonne Vera. Und davon, daß die Ernüchterung grausam sein kann.

 

Lebenslauf

Yvonne Vera, geb. 1964 in Bulawayo/Zimbabwe. Studium in Kanada ab 1986: Englische Literatur, Kunstgeschichte und Film; Promotion: "Das Gefängnis des kolonialen Raums"; Lehraufträge ("Postkoloniale Literatur") an kanadischen Universitäten in Toronto und Peterborough, zuletzt an der Solusi University in Bulawayo. Lebt heute dort als Schriftstellerin.

Auszeichnungen

Preise "bestes Buch" der Zimbabwe Book Publishers Association: 1995 für "Without a Name", 1994 für "Nehanda". Mehrfach in der engsten Wahl beim Commonwealth Writers Prize für Afrika.

Veröffentlichungen

Seit 1992 drei Romane und einen Band mit Erzählungen. Im englischen Original verlegt in Zimbabwe, USA und Kanada; Übersetzungen ins Holländische, Dänische und Deutsche.

Deutsch: "Seelen im Exil" (Erzählungen, Original 1992), Übers. Hilde Schruff, Lamuv Verlag, Göttingen 1997; "Eine Frau ohne Namen" (Roman, Original 1994), Übers. Hilde Schruff, Lamuv Verlag, Göttingen 1997.

Englisch:

"Under the Tongue" (Roman), Baobab Books, Harare, 1996; "Without a Name" (Roman), Baobab Books, Harare, 1994; "Nehanda" (Roman), Baobab Books, Harare 1993; "Why Don't You Carve Other Animals" (Erzählungen), TSAR Publications, Toronto 1992 und Baobab Books, Harare, 1994.