Rosa Regás
(Spanien)
Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen
Sonntag, 5.10.97, 10 Uhr
Forum 5, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen
Montag, 6.10.97, 20 Uhr
Bürgerhaus
Königsplatz 31a, Schwabach
Alle Zeit verrinnt im Blau
"Monate später, als von Sommer und Hitze kaum mehr übriggeblieben
war als das eine oder andere Erinnerungsfoto, als alles, was in der Reglosigkeit
jenes Augenblicks seinen Anfang genommen hatte, längst wieder zerronnen,
verwandelt und fast vergessen war - Monate später sollte sich Martín
Ures bei den ebenso unvorhersehbaren wie seltenen Erinnerungsschüben,
die nur kurz aus den Spalten seines Gedächtnisses nach oben drängten,
immer wieder die Frage stellen, ob nicht alles so gekommen war, weil die
Insel verhext war."
Die Felseninsel Kastellórizo, vor der Küste Lykiens
am äußersten Rand der griechischen Inselwelt, hatte schon bessere
Zeiten erlebt. Einst, so sagen die Leute, war die Bucht voller Segelschiffe,
der Hafen Umschlagplatz für Damast und Edelsteine, Getreide und
Gewürze. Als es Martín Ures hierher verschlägt,
sind vom alten Glanz mehr Ruinen als Reste geblieben, von 20.000 Menschen
knapp 200.
Auch die schmucke Yacht Albatros bleibt hier nur notgedrungen:
Ein Motorschaden, auf den letzten Meilen des Urlaubs-Törns. Der einflußreiche
Filmproduzent Leonardus und seine bildhübsche Gespielin Chiqui,
der gefeierte Jung-Regisseur Martin und seine zehn Jahre ältere Frau
Andrea, dazu ein dänischer Schiffsjunge - diese Insel hat ihnen
wahrlich nichts zu bieten. Es ist wie im Kino, wenn die Schickeria mal so
richtig Pech hat. Man erwartet Sex and Crime, Lug und Trug und Ehebruch.
Und so kommt es auch. So ähnlich jedenfalls.
48 Stunden auf Kastellórizo, eingegossen in bleierne Hitze, festgenagelt
mit seinen Reisebegleitern - Martin erlebt sie wie einen bösen Traum.
Der Ort ist heruntergekommen. Verwünscht ist er nur, weil er in Martin
Gespenster der Vergangenheit weckt: Unerwünschte Erinnerungen und Einsichten,
die er immer weit von sich geschoben hatte.
Rosa Regás erzählt in dem Roman "Azur" (dt.
1996), wie eine Ehe in den sagenumwobenen Gewässern vor Kleinasien
Schiffbruch erleidet. Das Mittelmeer spannt den Bogen der Geschichte. An
seinem anderen Ende, im kleinen, feinen Badeort Cadaqués nördöstlich
von Barcelona, hatte das Verhältnis begonnen. Lustvoll und berauschend.
Und für Martin verstörend von Anfang an. Andrea war es, die bestimmt
hat: das Ritual der Annäherung, das schwimmende Liebesnest, das Timing
der Treffen - alles scheinbar ungeniert direkt vor den Augen ihres Mannes
Carlos. Ein echter Vamp, diese Frau?
Szenen einer Affäre und einer 10jährigen Ehe; 48 Stunden der
Dämmerung einer Wahrheit. Die Erzählstimme bleibt nah an Martins
Logik und Empfinden. Absolut Bescheid weiß sie nicht, weiß niemand:
"Wir werden nie erfahren, was die anderen über uns denken".
Und was der andere wirklich ist. So schreiben wir dessen Wesen fest, "ohne
zu wissen, wie es in seinem Inneren aussieht".
Gegensätze wie Erde und Wasser. Martin erinnert sich. Andrea hatte
leichtes Spiel. 22 war er damals. Eine kleine Nummer im Filmgeschäft,
ein verstockter, schüchterner Typ aus Sigüenza, geprägt
vom Hochland der spanischen Provinz. Gut, "so glatte Haut wie ein
Asiate oder Afrikaner", die hatte er. Doch sonst?
Andrea bewegte sich wie ein Fisch im Wasser, in ihrem Doppelleben und
überhaupt: im Meer, als protegierte Journalistin, im flotten Treiben
der Boheme von Barcelona. Unmöglich, "mit dem Tempo dieser
erstaunlichen Frau mitzuhalten". Martin hat gewartet, gelitten,
seine Sehnsucht gepflegt. Nachgefragt hat er nie. Erst im Alptraum von Kastellórizo
keimt der Verdacht: "Sie hatte alle und jeden belogen, sogar sich
selbst".
Der Selbstbetrug ist das Limit jeder Wahrheit. Als Andrea zu Martin überläuft,
als sie vorgeblich aus freien Stücken ihren Mann, ihre beiden Söhne,
die Sicherheit der Frau eines Karriereanwalts opfert, da gäbe es genug
zu klären. Wenn man's denn wissen wollte und könnte. Statt dessen
inszenieren beide die Verewigung des Eros. Mit viel Alkohol, mit immer stärkeren
Verletzungen - gegen den Leerlauf und für müde Echos ihrer ersten
Lust. Bis der Damm der Täuschungen endlich bricht.
Barcelona ist Dallas: Andreas wahre Liebe ist Leonardus, Martins Regie-Erfolg
ein abgekartetes Spiel. Als Andrea nach dem Showdown über Bord geht,
tut Martin nichts für ihre Rettung. Als sie halbtot geborgen wird,
retten sich beide in ihr Arrangement zurück. In Andreas blauen Augen,
im Blau des Himmels und des Meeres wird die Erinnerung flüchtig "wie
ein Tropfen im gewaltigen Meer des Nicht-Seins". Blauäugig
bleibt das Leben, für alle Zeit ein furchtbarer, furchtbar schlechter
Film.
Rosa Regás spielt in "Azur" virtuos mit trivialen und
antiken Mythen. Verführung, Selbsterkenntnis und Vergänglichkeit
der Lust sind verknüpft mit den Klischees aus Seifenopern, mit dem
Grusel- und Romanzen-Kino Hollywoods. Der Kult von Schönheit, Macht
und Geld, der Charme der großen Herren kleiner Welten wird
diskret aufs Korn genommen. Vor allem seziert Regás das Pathologische
der Liebe: Wie sich alle erdenklichen Ängste als Liebe maskieren und
Existenzen haßerfüllt aneinandergekettet bleiben, wenn der Zugang
zu eigenen Fehlern und Schwächen verstellt ist.
Für "Azur" erhielt Rosa Regás 1994 den traditionsreichen
"Premio Nadal", einen der renommierten spanischen Literaturpreise.
La Vanguardia sah nach einem "ruhelosen und suchenden Leben ... eine
späte künstlerische Inspiration" am Werk, "eine verborgene,
bis zur Reife verschwiegene Beredsamkeit".
Rosa Regás hat sich noch zu Zeiten Francos in oppositionellen
Zeitschriften- und Verlagskreisen einen Namen gemacht. So war sie in den
60ern Presse-Chefin im Verlag "Seix Barral" und Redakteurin bei
"Siglo XXI", bis die Wochenzeitung verboten wurde. Ihr eigenes,
1970 gegründetes Verlagshaus "La Gaya Ciencia" war in der
Übergangszeit nach Francos Tod 1975 maßgeblich am gesellschaftlichen
Wandel Spaniens beteiligt. Heute leitet Rosa Regás das "Ateneo
Americano" im Madrider Amerika-Haus und ist gefragte Jurorin für
Literatur- und Kunstpreise in Spanien und Lateinamerika.
1988, Regás war 55, erschien mit dem Stadtführer "Ginebra"
(Genf) ihr erstes Buch. Zwei Romane, ein Reisebuch über Syrien und
eine Sammlung journalistischer Texte folgten. Der Erzählband "Pobre
Corazón" (Armes Herz) von 1996 ist ihre letzte Buchveröffentlichung
- Geschichten über das Erstarren von Beziehungen in lebenslanger Sprachlosigkeit,
über lähmende Routinen des Ehelebens, über Lockungen und
Zerstörungkräfte der Liebe.
Lebenslauf
Rosa Regás, geb. 1933 in Barcelona; dort und zur Zeit des Bürgerkriegs
in Frankreich aufgewachsen. Fünf Kinder. Studium in Barcelona: Philosophie,
Klavier. 1964-70 Mitarbeit im Verlag "Seix Barral" und bei der
Wochenzeitung "Siglo XXI"; 1970 Gründung des Verlags "La
Gaya Ciencia", Leiterin bis 1983; in den 70ern Gründung von Fachzeitschriften
(Architektur, Philosophie); 1983-94 Übersetzerin und Editorin für
die UN (u.a. in Genf, New York, Nairobi, Paris). Lebt seit 1994 in Madrid
und ist dort Direktorin des "Ateneo Americano" im Amerika-Haus.
Auszeichnungen
Premio Nadal 1994 für den Roman "Azul".
Veröffentlichungen
Seit 1988 zwei Romane, ein Erzählband, zwei Reisebücher und
eine Sammlung mit journalistischen Texten. Seit 1967 Beiträge für
wichtige Zeitungen und Magazine in Spanien, u.a. für "El País",
"La Vanguardia", "El Mundo Deportivo", "Ajoblanco",
"Viajar"; 1975 erste Reiseberichte (Laos).
Deutsch:
"Azur" (Roman - Original 1994), Übers. Carina von Enzenberg
und Hartmut Zahn, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1996.
Spanisch:
"Pobre Corazón" (Erzählungen), Ed. Destino, Barcelona
1996;
"Viaje a la luz del Cham" (Reisebuch über Syrien), Ed.
Destino, Barcelona 1995; "Azul" (Roman), Ed. Planeta, Barcelona
1994; "Memoria de Almator" (Roman), Ed. Planeta, Barcelona 1991.
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