Sami Michael

(Israel)

Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen

Sonntag, 5.10.97, 10 Uhr
Forum 5, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

Montag, 6.10.97, 20 Uhr
Kulturladen Rothenburger Straße
Rothenburger Str. 106, Nürnberg

 

Die Trompeten der Versöhnung

»Er hat wohl gewußt, daß Huda ein Auge auf ihn geworfen hat&laqno;, sagte Mary, als redete sie mit sich selbst.

»Huda?&laqno; fragte Mutter verdutzt ... »Huda, er ist ein Jude!&laqno;

Sie schien eher verwirrt als entsetzt.

»Na und?&laqno; fragte Großvater.

»Sie ist eine Araberin! Ihre Onkel leben als Flüchtlinge in Jordanien. Und er ist ein Jude! Begreifst du nicht, was zwischen euch steht?&laqno;

Familienkrach im arabischen Viertel Wadi An-Nisnas in Haifa. Die zentrale Liebesgeschichte in Sami Michaels Roman "Eine Trompete im Wadi" (dt. 1996) nimmt Fahrt auf, geradewegs hinein ins Feld der israelischen Konflikte und Spannungen. Nicht nur Landstriche, auch Köpfe und Herzen sind vermint.

Mutter, Schwiegervater Ilias, die Töchter Huda und Mary, - die kleine Sippe christlicher Araber hat sich in den Haaren. Es geht um den Studenten Alex. Vor ein paar Wochen ist er in das Zimmer unterm Dach gezogen, ein Neueinwanderer aus Rußland. Geht's wirklich um Alex?

Über Alex ließe sich schon reden: Brillengläser dick wie Flaschenböden hat er und wenig Geld, dafür jede Menge Verstand, Gefühl und Muskelkraft. Wenn Not am Mann ist, ist er da. Gerade hat Alex den durchgeknallten Suheer ruhiggestellt und ihnen allen damit einen großen Dienst erwiesen.

Alles schön und gut - aber einen Juden als Schwiegersohn? Einen von denen, die das Unglück brachten? Die Kämpfe Israels seit dem 1. Israelisch-Arabischen Krieg schnitten tief ins Herz der Familie: die meisten Angehörigen tot oder vertrieben, der Besitz 1948 enteignet, das soziale Ansehen verloren, danach ein Leben oft an der Grenze zur Armut. Bei der Mutter sind diese Bilder stark - dagegen hat Alex keine Chance.

Huda kann Alex anders sehen. Sie ist 30, viele Erinnerungen der Mutter sind nicht ihre eigenen. Überhaupt, was kann Alex schon für die letzten 50 Jahre. Er ist eben erst gelandet, laut Paß nun Israeli wie sie. Und wie die Alten ihrer Familie, wie viele Araber fühlt er sich hier mehr fremd als heimisch.

Die junge arabische Generation ist schon in Israel geboren und aufgewachsen. Das schafft Verbindungen. Huda ging in die jüdische Oberschule und "hatte immer versucht, israelischer zu sein als die Juden selbst". Selbstbewußt, selbständig und freizügig wie die modernen israelischen Mädchen. Im Beruf klappt das ganz gut. Huda arbeitet in einem Reisebüro, die jüdischen Kollegen akzeptieren sie. Es könnte noch besser sein, wäre sie nicht ganz so scheu.

Mit den Männern ist es für Huda schwieriger. Die Sexualmoral hat sich gelockert, auch bei ihnen zu Hause. Doch Huda fehlt die Unbekümmertheit ihrer jüngeren Schwester. Mary probiert - Huda laboriert. An einer verflossenen Liebe, an der eigenen Zag- und Schamhaftigkeit: "Ich dürstete so sehr nach Dingen, an die ich nicht einmal zu denken wagte."

Alex macht Hudas Phantasie endlich Mut. Etwas an ihm spricht sie sofort an. Und er hat ein Instrument, auf dem beide Seelen spielen können. Wenn Alex seine Trompete über die Dächer zum Meer hinaus bläst, liegt ein großes Sehnen in der Luft. Für Huda ist es, "als hätte sich, während ich schlief, eine Hand zu mir gestohlen". Diese Berührung ist stärker als das Trennende in Religion, Herkunft und Geschichte.

Sami Michael erzählt von dieser Liebe und ihren Problemen mit orientalischer Leichtigkeit, farbig, lebensnah und mit sanftem Lächeln. Ihr Gelingen ist ein Symbol für die Versöhnung in Palästina. Ihr Scheitern zeigt die Widerstände auf dem Weg dorthin: Alex stirbt 1982 in den ersten Tagen des Libanonfeldzugs. Während Hudas Mutter um die arabischen Angehörigen bangt, teilt Huda mit einem Mal den "jüdischen Schmerz". Das Kind der Hoffnung ist noch nicht geboren:"Eine Liebe, zu schön, um wahr zu sein" (K. Obermüller).

Mit der Liebe ist es auch so nicht leicht. Huda hat sie gegen das Grollen einer tradierten Feindschaft verteidigt, gegen Vorbehalte beider "Lager". Mary, die immer auf arabische Konventionen gepfiffen hatte, gibt klein bei. Als sie ein Kind erwartet, wird sie "eine müde Seiltänzerin, die nach dem Sicherheitsnetz schielt". Letztlich gilt es, "das große Ziel zu erreichen: einen Ernährer zu ergattern". Es ist das Gesetz der arabischen "Väter - und Vorväter" - seine Geltung weithin ungebrochen. Mary hat - oder sieht - kaum eine Wahl. Sie heiratet Cousin Wahib, einen Tölpel mit Besitz.

In Israel ist Sami Michael einer von wenigen Autoren, der die arabische Minderheit - fast jeder fünfte ist Muslim oder Christ - mit in den Blick rückt: die alten Verletzungen, das Mißtrauen und die Angst voreinander. David Grossman: »In Eine Trompete im Wadi gelingt Sami Michael etwas für die israelische Literatur und den israelischen Alltag Entscheidendes - er überwindet jene unsichtbare eiserne Grenze zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen "wir" und "sie".

Sami Michael (Jg. 1926) wurde in einer jüdischen Familie in Bagdad groß, mit 22 floh er über den Iran nach Israel. Er spricht arabisch und "weiß sehr genau, was es heißt, in beiden Welten - oder in keiner - zu Hause zu sein" (Klara Obermüller). "Als ich nach Israel kam", sagt er, "empfand ich mich selbst als arabischen Juden". Die Grenze zum europäisch geprägten Judentum spürte auch er - zweitrangig, wer als Sephardim aus dem "Land der Esel und Kamele" kam.

Michaels Bücher, fünf Romane und vier Jugendbücher, sind Angebote für Verständnis und Verständigung. Als Jude, der die arabische Welt in- und auswendig kennt, schreibt er über das alte Judentum im Orient, über arabische Israelis und das Verhältnis der religiösen Gruppen Palästinas. In Israel wird er viel gelesen, aber auch in Ägypten, Jordanien und Europa.

Der Roman "Viktoria" (1993 - dt. 1995) stand 50 Wochen lang auf der israelischen Bestsellerliste. Das Buch ist ein wuchtig ausgreifendes Sittenbild vom Leben der jüdischen Gemeinde in Bagdad um die Jahrhundertwende, Erzählstränge reichen bis zum Golfkrieg und ins Israel der 90er. Im Mittelpunkt stehen das Schicksal der Titelheldin Viktoria und ihre Versuche, es abzuwehren: Mit dem vom Mittelalter bis in die Neuzeit angewandten Faustrecht der Patriarchen hat sie lebenslang zu kämpfen.

Erfolgreich arbeitet Sami Michael auch als Übersetzer aus dem Arabischen. Er war der erste, der Bücher des Ägypters Nagib Mahfus (Nobelpreis 1988) in eine andere Sprache übertrug: "Ausgerechnet ins Hebräische", schmunzelt er. Wie er selbst sind auch Michaels Figuren oft Pendler zwischen den Kulturen. So z.B. wie Ilias, das humorvoll auf Ausgleich bedachte Sippenoberhaupt im "Wadi": "... der sieht den Mist von heute und denkt, daß auf ihm die Rosen von morgen wachsen".

 

Lebenslauf

Sami Michael, geb. 1926 in Bagdad/Irak. Als Mitglied der Kommunistischen Partei Iraks verfolgt: Flucht in den Iran 1948, ein Jahr im Untergrund, 1949 weiter nach Israel. Studium: arabische Literatur, Psychologie und Hydrologie in Haifa. 25 Jahre Mitarbeiter im Ministerium für Landwirtschaft. Lebt heute als Schriftsteller und Übersetzer aus dem Arabischen in Haifa.

Auszeichnungen

Französischer PRIX WIZO für den Roman "Viktoria";

Israelischer Prime Minister's Prize.

Veröffentlichungen

Begann schon in jungen Jahren zu schreiben, anfangs arabisch, dann hebräisch. Bis heute fünf Romane und vier Jugendbücher; Übersetzungen seiner Bücher ins Arabische, Englische, Französische, Holländische, Griechische, Deutsche und Chinesische. Viele literarische Übersetzungen aus dem Arabischen ins Hebräische, u.a. erster Übersetzer von Nagib Mahfus' Werken.

Deutsch:

"Eine Trompete im Wadi" (Roman, Original 1987), Übers. Inken Kraft, Berlin Verlag, Berlin 1996; "Viktoria" (Roman, Original 1993), Übers. Inken Kraft, Berlin Verlag, Berlin 1995; "Bagdad. Sturm über der Stadt" (Jugendbuch, Original 1975), Übers. Mirjam Pressler, Sankt Gabriel, Moedling 1995; "Eine Handvoll Nebel" (Jugendbuch, Original 1979), Übers. Hanns Schumacher, Alibaba Verlag, Frankfurt/Main 1993.

Hebräisch (Auswahl):

"Victoria" (Roman), Am Oved, Tel Aviv 1993;

"Chatsotsra Ba'waddi" (Eine Trompete im Wadi - Roman), Am Oved, Tel Aviv 1987.