David Dabydeen

(Guyana / England)

Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen

Samstag, 4.10.97, 15 Uhr
Forum 4, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

 

Gegen die Winde des Passats

"Ich wünschte, sie würden sich ordentlich benehmen, anständig handeln, still sein, ein Buch lesen, irgend etwas tun, anstatt sich wie vulgäre Flegel aufzuführen. Kein Wunder, daß man sie wie Tiere behandelt, hörte ich mich selbst denken; ich distanzierte mich von dieser ganzen lauten Art der Westinder, und ich empfand Sympathie mit den zahlenmäßig unterlegenen Weißen. Sie sollten sie zurück nach Hause schicken. Das einzige, was sie tun, ist tanzen und Kinder machen."

Anfang der 70er Jahre. Ein Bus mit einer Ladung Schüler rollt durch Balham im Süden Londons. Der Erzähler in David Dabydeens Roman "Die Zukünftigen" (dt. 1994) ist einer von ihnen, will nichts mit ihnen zu tun haben: "Ich bin da wirklich anders ... ich hoffe, daß die Weißen das sehen."

Seine Wut verrät, daß er mit ihnen zu tun hat - in den Augen der Weißen ist er ein typisches Kind der alten Kolonien, dunkelhäutig, armselig und in Balham unter seinesgleichen. Das definiert. Und es bringt die Scham für die eigene Armut und Bedeutungslosigkeit hervor.

Dabydeens Erzähler - er bleibt ohne Namen - ist, wie viele in der Schule, erst vor kurzem hier gelandet. Sein Vater, ein schwerer Säufer, hat ihn als 13jährigen aus Guyana (bis 1966 britische Kolonie in Südamerika) nach England geholt und bald darauf ins Jugendheim abgeschoben. Der Junge ist indischer Abstammung - doch die Familiengeschichte verliert sich schon bei den Eltern im Dunkeln. (Inder wurden ab 1838 als Ersatz für die freigelassenen Sklaven zur Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen "verpflichtet" und nach Guyana verschifft.)

Generationen später geht die Odyssee weiter: Abschied vom Ort der kolonialen Zeit.

Nun ist er, noch ein halbes Kind, in Süd-London auf sich gestellt, allein im Gefühlsaufruhr der Pubertät, zwischen den Welten und ohne jede Vorbereitung auf das heiße Pflaster, auf dem er sich behaupten muß. Davon erzählt der Roman. Und daß in der Diaspora die Last des Erwachsenwerdens viele ganz erdrückt.

Sich durchsetzen heißt hier, seine Trümpfe clever ausspielen. Der Erzähler hat nur einen - oder, einen halben: seine Erinnerung, und auch die ist belastet. Das Woher-komme-ich, Wer-bin-ich-überhaupt wird für ihn existentiell - er braucht ein gestochen scharfes Bild. So führt das Buch immer wieder zurück nach Albion, dem schäbigen Dorf in Guyanas Hinterland, wo er in der Obhut der Großmutter die meiste Zeit verbracht hat: betörende Bilder, Geschichten zwischen Idylle und trauriger, tropischer Hölle; Berichte auch von der frühen Faszination für die Kraft der Sprache.

Das Problem in London: Raus aus der Misere, aber wie? Zu-wem-und-was-will-ich-gehören, heute und in Zukunft? Der Erzähler setzt, schwierig genug, auf schulischen Erfolg. Eine Identifikation wird gebastelt: Das Reine, England, die Kultiviertheit, das Seriöse einer Welt der Schrift und transparenter Überlieferung - gegen das Körperliche, Chaotische, Traditionslose seiner Heimat, wo jede Geschichte mit dem gesprochenen Wort verhallt. Dies macht manches nur noch schwerer. Das Verlangen nach dem ersten Sex z.B. muß lang verleugnet werden. Dazu kommt der oft spürbare Rassismus, die Gewalt der Straße, das Jobben fürs Kleingeld und ein möbliertes Zimmer. Allein Freundschaften bieten Halt und Möglichkeiten, Strategien zu entwickeln.

Der Erzähler findet Anschluß an drei Gleichaltrige aus Indien, Pakistan, alle mit mehr oder weniger starken Bindungen an Familie, Islam oder Hinduismus. Außenseiter ist er auch hier: Indien ist für ihn zu weit weg, er kennt es fast nur aus Filmen. Bleibt ein Fünfter, der Rastafari Joseph, wie er aus der Karibik - dessen ganzes Sehnen und Suchen aber gilt Afrika. Nur die Abstoßungskräfte der Gesellschaft (plus Neugier) überwinden das Trennende, sorgen eine Zeitlang für Zusammenhalt.

Dabydeens Held lernt Janet kennen, eine nette, freundliche Engländerin (sie idealisiert er fast unerreichbar - das "erste Mal" passiert mit einer Prostituierten) und durch die Freunde lernt er eine Menge anderer Ideen und Lebenstechniken kennen: Easy Money, schnellen Sex und den rentablen Handel mit Koks, Frauen, Pornofilmen. Seine fixe Idee des Reinen ist bedroht - das Geschäft lebt von den Weißen.

Zugleich macht ihn Joseph sensibel für den Wert der eigenen Herkunft, für das Besondere jeder Kultur. Der Rastaman ist völlig unbelesen, ein Video-Freak und Kleinkrimineller, doch bei aller Flippigkeit der Hellsichtigste von allen. Daß es eine Wahrheit außerhalb der Schriftkultur gibt, erschüttert die "reine" Identifikation - mehr aber noch, daß Joseph in London erbärmlich enden muß: "England ist so dreckig und gewalttätig, alles geht vor die Hunde."

Am Ende trennen sich die Wege der "Zukünftigen". Der Erzähler hat ein Stipendium für Oxford in der Tasche. Er wird Literatur studieren. Die Neigung für das Schriftliche hat sich durchgesetzt. Es ist zuletzt eine widersprüchliche Beziehung, geprägt von Ehrfurcht und von Furcht: vom Wissen um die Macht der Schrift und die Chancen für den, der "Texte dechiffrieren" kann - und von der Angst, seine kreolische "Textur" (das gesprochene Wort) für immer zu verschlüsseln.

David Dabydeen hat in "Die Zukünftigen" wichtige Stationen seiner Lebensgeschichte verarbeitet: Guyana, Süd-London, Cambridge und Oxford - noch nicht 30, wird er Professor für Karibische Literatur. Das Times Literary Supplement vergleicht das Buch mit den Einwanderer-Romanen von V. S. Naipaul, nur: "Dabydeen bewegt sich auf viel härterem gesellschaftlichem Terrain." Stefan Howald lobt in der Zürcher WoZ u.a. Eleganz, Witz, Reflexionsschärfe und daß die "Tiefenanalyse" des Einwanderer-Dilemmas "schonungslos gelingt". Dazu wird die "flüssige und biegsame deutsche Übersetzung" (WoZ) von Wolfgang Binder herausgestellt.

"Die Zukünftigen" ist Dabydeens erster Roman (im Original "The Intended", 1991). Er zeigt auch, wie das Unbehagen des Autors an den Normen von britischer Bildung und Tradition - an ihrer "Reinheit" - zugenommen hat. Dabydeen schreibt dagegen an, schreibt unter Berücksichtigung des Kreolischen und versucht, Leistungen und Präsenz der Nicht-Weißen bewußt zu machen.

Dabydeens zweiter Roman, "Disappearance" (1993), ist eine ruhige, ironische Parabel auf das postkoloniale England: Dessen Fundamente werden unterspült vom Erbe des implodierten Empire. Ganz in guyanischem Englisch verfaßt ist Dabydeens erster Lyrikband "Slave Song" (1984). Er ist Gewinner des Commonwealth Poetry Prize: wilde Poesie von reicher Volkskultur, vom Reiz und vom Elend Guyanas. Kreolisch in Sprachmelodie und -rhythmus sind auch die Gedichte in "Coolie Odyssey" (1988), während "Turner" (1994) an den epischen Stil Derek Walcotts erinnert.

David Dabydeen schreibt an gegen den "kulturellen Gedächtnisverlust" (Wolfgang Binder) - und weiß, daß er das Vertraute zugleich mehr und mehr verliert: "Jetzt glaubst, Du kannst zurückkomm und den großen Macker spieln! / Uns mit Dein Zigarettn, Äpfel un alldemzeug imponiern?"


 

Lebenslauf

David Dabydeen, geb. 1955 in Guyana, indischer Abstammung. Kindheit auf einer Zuckerrohrplantage, mit 12 Übersiedlung nach England; Jugendheim und Schule in Süd-London; Studium: Englische Literatur und Kunstgeschichte in Cambridge und Oxford; Promotion; seit 1982 Hochschullehrer. Heute Professor für Karibik- und Orientalische Studien an der University of Warwick in Coventry.

Auszeichnungen

Commonwealth Poetry Prize 1985 für "Slave Song". GLC Literaturpreis für die Studie "Hogarth's Blacks".

Veröffentlichungen

Seit 1984 drei Gedichtbände und drei Romane; Studien zum Bild der Afrikaner in der englischen Malerei des 18. Jahrhunderts und didaktische Handbücher, die die Bereicherung der englischen Literatur durch Nicht-Weiße-Autoren über mehr als 200 Jahre würdigen (unter den ersten freigelassenen Sklaven z.B. Olaudah Equiano, Ignatius Sancho). Anthologien (Hg.) mit englischer Literatur von schwarzen und indischen Autoren aus der Karibik.

Deutsch: "Die Zukünftigen" (Roman, Original 1991), Übers. Wolfgang Binder, Rotpunktverlag, Zürich 1994.

Englisch (Auswahl):

"The Counting House" (Roman), Cape, London 1996;

"Turner: New & Selected Poems", Cape, London 1994; "Disappearance" (Roman), Secker & Warburg, London 1993; "The Intended" (Roman), Secker & Warburg, London 1991; "Coolie Odyssey" (Gedichte), Dangaroo Press, Coventry 1988; "Slave Song" (Gedichte), Dangaroo Press, Coventry 1984;

Studien: "Hogarth's Blacks. Images of Blacks in Eighteenth Century English Art", Dangaroo Press, Coventry 1985 und "Hogarth, Walpole and Commercial Britain", Hansib, London 1987.