Essma'il Cho'i

(Iran / z. Z. England)

Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen

Freitag, 3.10.97, 10 Uhr
Forum 1, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

Samstag, 4.10.97, 20 Uhr
Zeitungscafé in der Stadtbibliothek
Eingang Peter-Vischer-Str., Nürnberg

 

Falken, Tauben und die kleinen Himmel

"Wie der Geruch einer Taube bist Du
wie ihr durchsichtiges Schweigen,
wie der Regenbogen um ihren Hals,
wie die Wärme unter ihren Flügeln.

Ich hege keine Pläne mehr,
weit zu fliegen,
dieser kleine Himmel mag
mir genügen."

Der Himmel ist kleiner geworden für den persischen Dichter Essma'il Cho'i. Einst durfte er mehr erwarten, wollte höher hinaus. Er hat nach den Sternen gegriffen - und hätte um ein Haar alles verloren: "Von der Klaue des Falken habe ich die Narbe am Hals" - was nun zu hoffen, was zu träumen bleibt, es ist ein sehr privates Glück.: "Dann / will ich ein Specht sein, / dein Nacken das Nest / meiner Küsse". Anfang 1992 hat er das geschrieben.

Essma'il Cho'i hat schon als 18jähriger seinen ersten Gedichtband veröffentlicht, in Teheran 1956. Stilübungen zunächst, Versuche, eine eigene Sprache zu finden, eng orientiert am klassischen Stil. Schwierig genug, wenn man hineingestellt ist in eine schier übermächtige Tradition der Lyrik. Sie ist in Persien mehr als 1000 Jahre alt; Hafis, der Meister aus dem 14. Jahrhundert, steht im Mittelpunkt - auch Goethes "West-östlicher Divan" ist durchwirkt davon.

Was das Schreiben aber für den jungen Cho'i noch schwieriger machte: Im Land des Schah-Regimes war die Zensur allgegenwärtig. Und immer mit der Geheimpolizei im Bund. Ein Würgegriff für Kritik und Gegenwartsbezug, für jedes Wort des Protests - was soll, was kann ein Dichter hier noch sagen?

Dann ging ein Ruck durchs Land: 1971, Ssijahkal, der erste offene Kampf gegen die Truppen des Schah. 30 Jahre des Schweigens und Duldens waren vorbei, die Opposition festigte sich, allmählich, auf breiter Front. Jetzt konnte mehr gesagt werden - zu viele Stimmen, um alle zu kontrollieren.

Entscheidend dabei: das Wie. Botschaften, Stimmungen, Aufrufe - jetzt kamen sie durch. Aber nur, wenn sie verklausuliert waren. Eine Zeit für Könner der Chiffre, eine Zeit für politisch engagierte Dichter, die es verstehen, ihre Sache in Bildern zu erklären.

In dieser Zeit bezog Essma'il Cho'i Stellung. So eindeutig wie möglich, so mehrdeutig wie nötig. Er fand dabei eine Sprache, die Bezüge indirekt herstellt - die aber für viele sofort klar war. Zum Beispiel im Gedicht "Den Norden auch": Hier steht das Bild vom Wolkenbruch für die überfällige Zerstörung von Korruption, Machtmißbrauch, hemmungsloser Bereicherung. Und zugleich für Reinigung und neues Wachstum.

Mit der islamischen Revolution der Mullahs gingen viele Hoffnungen unter. Essma'il Cho'i bekennt sich nicht zu einem Gott, sondern zu westlichen Werten der Freiheit; er war mit einer Italienerin verheiratet und hat Qualitäten der britischen Bildung schätzen gelernt - die Khomeini-Republik ließ für all dies keinen Platz. So hat Cho'i die Klaue des Falken am Hals gespürt - und noch rechtzeitig das Exil in London gewählt. Nur, der Himmel ist ihm seither kleiner geworden.

Heute gilt Cho'i als wichtige Stimme des Exils; bei uns ist er der wohl bekannteste Autor aus dem Iran. Er ist ungemein produktiv: 14 Gedichtbände auf persisch bis heute, zuletzt auch englische Gedichte, dazu Übersetzungen (Sean O'Casey, F. Nietzsche) und viele literatur- und sozialkritische Feuilletons - ein Riesenwerk.

Seine Lyrik ist mit den Jahren groß und bedeutend geworden. Cho'i steuert souverän durch die Weiten der persischen Dichtkunst. Er hat sich Modernes zu eigen gemacht, z.B. die Neuerungen von Nima Juschidsch. Und er kann auch klassisch schreiben, etwa in Form des Rubajat-Vierzeilers. Mitunter sind Cho'is Verse eine Art Dialog mit den Vorbildern. Mit Liebesgedichten von Hafis. Mit Zauberformeln des mystischen Dichters Nasser Chossrou. Oder mit Zeilen voll Spott und Hohn für eine falsche Vaterlandsliebe, wie sie Forugh Farrochsad schreibt, die wichtigste persische Dichterin dieses Jahrhunderts.

Cho'i beschreibt dabei auch, wie er das Exil erlebt. Das Abgeschnittensein, die Momente tiefer Verzweiflung. Und er bedenkt, was er selbst und andere iranische Dichter und Denker beim Umsturz 1979 versäumt haben. Oder was sie nicht sehen wollten: "... Dieses Mal / habe ich keine anderen anzuklagen: / Denn aus dem tiefsten Innersten der Seele / kommt der Aasgeruch ...".

Geblieben ist Essma'il Cho'i die tiefe Verbundenheit mit seinem Land: "... während sie früher eine Zornliebe war, voll von jugendlichem Eifern, ist es heute eher eine weisere, resignierte Liebe, vergleichbar der eines verschmähten Liebhabers, der die Schwächen der Geliebten mit analytischem Scharfblick erkannt hat und der nicht aufhören kann, sie zu lieben." (Kurt Scharf)

 

Lebenslauf

Essma'il Cho'i *, geb. 1938 in Maschhad. Lehrer-Studium in Teheran (University of Teacher Education) und London (Univ. College); seit den frühen 70ern politischer Widerstand gegen das Schah-Regime; ging ins Exil nach Etablierung der Islamischen Republik durch Khomeini (1979). Lebt seither in London.

Veröffentlichungen

Seit 1956 zahlreiche Gedichte, auf Persisch bisher 14 Bände; Gesamtausgabe z.Z. in Arbeit im Stockholmer Exilverlag Baran Publisher (zwei Bände bisher); Übers. in viele Sprachen, u.a. ins Englische, Russische, Französische und Deutsche.

Deutsch:

Gedichte in Anthologien:

"Noch immer denke ich an jenen Raben", Radius-Verlag, Stuttgart 1981;

"Gesteht's! die Dichter des Orients sind größer. Persischsprachige Literatur", Haus der Kulturen der Welt (Hg.), Verlag das Arabische Buch, Berlin 1991;

"Name blau Farbe der Augen keine - Literatur aus dem fremden Abendland", Haus der Kulturen der Welt (Hg.), Berlin 1992.

Englisch (Auswahl): "Collection of Essmail Kho'i's Works", Baran, Stockholm (1. Bd. 1991, 2. Bd. 1996); "Songs of Nowhereland", Afra, Toronto 1996; "Edges of Poetry: Selected Poems", Blue Logos Press, Santa Monica (Ca./USA) 1995; "Selected Poems", Shomah, London 1985;

Persisch (Auswahl):

"Yek Tekkeh-am Aasemaan-e Aabi Beferest", Aras, London 1994;

"Negahay-e-Parishan beh Nazm", Aras, London 1994;

"Az Faraaz-o Forood-e Jaan va Jahaan", Gostereh, Frankfurt/Main 1991;

"Dar Khabi az Hamaaree-i Heech", Nima, Los Angeles 1988;

"Betaab", Nederi, Maschhad 1956.

* Die Umschrift des persischen Namens ist nicht einheitlich: "Kindlers Neues Literaturlexikon" z.B. schreibt "Ho'i", engl. Ausgaben "Khoi" oder "Kho'i".