Jean Arasanayagam

(Sri Lanka)

Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen

Samstag, 4.10.97, 10 Uhr
Forum 3, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

Samstag, 4.10.97, 20 Uhr
Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium
Haydnstr.1, Schwabach

 

Unsicher ist das Leben aller Welten

"Die Menge hatte sich bei Padmasiris Petti kade versammelt, einer kleinen Verkaufsbude aus Kistenholz. Dort trafen sich die Männer, um ein Bidi oder eine Zigarette zu rauchen, und die Frauen und Kinder kauften dort Brot, Gebäck oder ein Stück Stangenseife, wenn sie zum Baden an den Fluß hinuntergingen. Aber das gehört der Vergangenheit an, der unschuldigen Vergangenheit."

Ein Menschenauflauf im zentralen Hochland von Sri Lanka, nahe der alten singhalesischen Königsstadt Kandy. Er verspricht nichts Gutes. Kalt vor Angst beobachtet die Erzählerin aus einem Versteck heraus die Szenerie. In der Nachbarschaft brennen Häuser, Häuser von Tamilen. Auch bessergestellte Singhalesen haben sich verbarrikadiert. Aufgebrachte junge Männer halten Molotow-Cocktails wurfbereit.

Die Zeit der Unschuld ist vorbei. In dieser Nacht im Juli des Jahres 1983 beginnt für die Tropenrepublik Sri Lanka eine neue Zeitrechnung. Aus dem Kleinkrieg zwischen Singhalesen und Tamilen wird ein Flächenbrand, "nachdem dreizehn Soldaten im Norden von einer Landmine in die Luft gesprengt worden waren" (der Norden ist die Hochburg der tamilischen Minderheit). Ein "Chaos der rassistischen Gewalt", blutige Pogrome im ganzen Land.

Jean Arasanayagam erzählt in der Kurzgeschichte "Meditation über die Angst" (dt. 1997) von einer Frau, die in den Mahlstrom der Geschichte gerät. Sie ist keine Tamilin, betet mit Methodistenpfarrern "um Schutz und Sicherheit für die unschuldigen Opfer" - als Ehefrau eines Tamilen ist sie und sind ihre Kinder in derselben Gefahr wie ihr Mann Guru. Im Unterschlupf bei ihrem Bruder - "er wird nie zu den Verfolgten gehören" - kommt ihr ein jüdisches Schicksal in den Sinn: "Das Tagebuch der Anne Frank".

Protokoll der Furcht, Stationen einer Flucht. Erinnerungen werden wach. Die Erzählerin denkt über Reisen des Lebens nach, über Kreisbahnen und Brüche der Geschichte: über das Exil z.B. der virtuosen Kandyan-Tänzer im kalten Deutschland - sie waren vom Zirkus Hagenbeck Anfang des Jahrhunderts aufgegriffen und wie Raubtiere in Holzkäfigen verschifft worden, um als wundersame "exotische Wesen aus einer anderen Welt" vorgeführt zu werden; über den britischen Kolonial-Major Davy aus den Kandyan-Kriegen von 1803 - der Widerstand im Landesinneren war nicht zu brechen, Major Davy bezahlte mit dem Leben; über die brutalen Polizeieinsätze nach der Unabhängigkeit (1948), bei Studentenunruhen Ende der 60er - "historische Momente,... Vorboten dessen, was noch kommen würde".

Menschen als Objekte der Geschichte. Etwas Unberechenbares bewältigt sich ihrer, Gewißheiten lösen sich auf: "Das Leben aller Welten ist unsicher", zitiert Reverend Harold aus den Lehren Buddhas.

"Meditation über die Angst" ist auch ein Stück eigener Lebensgeschichte: Als Nicht-Tamilin und Nicht-Singhalesin geriet Jean Arasanayagam durch ihre Heirat mit einem tamilischen Schriftsteller und Maler zwischen die Fronten. Sie, ihr Mann und ihre beiden Töchter hatten Glück im Unglück: monatelang waren sie in Flüchtlingslagern, am Körper aber blieben sie unversehrt.

Die Geschichte wurde von Thomas Marti für die INTERLIT-Anthologie "Andere Länder - andere Zeiten" ins Deutsche übersetzt. Sie stammt aus Jean Arasanayagams jüngstem Band "All is Burning" (1995). Die 19 Erzählungen handeln vom Krieg in Sri Lanka seit dem "Black July" 1983. Sie zeigen den Kampf ums nackte Überleben in einer Welt, die aus allen Fugen geraten ist. Sie reflektieren den Verfall reichentwickelter Kulturen, die "bereits so stark pulverisiert wurden, daß sie selbst für die Erinnerung kaum mehr erreichbar sind" (India Today). Und sie sind Appelle an Gewissen und Vernunft aller Beteiligten: Keiner kann sagen, "ich habe nichts von den Verbrechen gewußt". Jede Zeugenschaft heißt Mitverantwortung - nur ihre Anerkennung weist den Weg aus einer Spirale der Gewalt.

Jean Arasanayagam ist eine der führenden Schriftstellerinnen in der englischsprachigen Literatur Sri Lankas. In den 70ern hat sie zwei Gedichtbände veröffentlicht: Huldigungen vor allem an das Licht und die paradiesischen Landschaften der Insel. Die Leichtigkeit des künstlerischen Seins hat sie 1983 verloren. Mit der Eskalation der ethnisch-religiösen Konflikte änderte sich ihr Leben und Schreiben: "Das Erdbeben hat unseren Status quo unterminiert", hat auch die Wahrnehmung für Politik, Religion, Geschichte geschärft. Fragen nach der Zugehörigkeit, nach dem eigenen Background, nach Möglichkeiten und Grenzen einer Identifikation, nach einer Koexistenz von Kulturen bestimmen seither ihre Gedichte, Stücke und Geschichten.

Im Gedichtband "A Colonial Inheritance" (1985) macht sich Arasanayagam auf die Suche nach den Spuren ihrer Herkunft. Es ist ein gemischtes Erbe: Sie wurde noch zur Kolonialzeit in Kandy geboren und wuchs behütet in einer Familie von Dutch Burghers auf. Der holländische Einschlag geht zurück auf einen Vorfahren aus dem 17. Jahrhundert, als Holländer die Portugiesen von den Küsten Sri Lankas vertrieben. Im Aussehen kaum bemerkbar, sind die sozialen Folgen bis heute wirksam:

Die kleine Gruppe der Dutch Burgher sind Christen, Erziehung und Bildung sind britisch geprägt. Sie leben in gehobenem Wohlstand und genießen gesellschaftliches Ansehen.

Arasanayagams Gedichte bezeugen Entdeckung und Anerkennung dieser Abstammung - und eine Welt widerstreitender Gefühle: Abscheu vor der Blutschuld der eigenen Eroberer-Linie; Faszination für das Draufgängertum ihrer Ahnen. Ein Trost bleibt: "I am of their love / Not of their hate / Perhaps of their lust".

Andere Texte halten die Begegnung mit der tamilischen Kultur ihres Mannes fest. Sie feiern Vielfalt und Tiefe der hinduistischen Tradition, markieren aber auch Engstirnigkeit und Intoleranz selbst im engsten familiären Kreis: "Ich war eine Fremde für die Familie meines Mannes. Ich war eine Fremde für die Gesellschaft, weil ich mit einem Tamilen verheiratet bin."

Die Bücher von Jean Arasanayagam zeigen, wie diese Ausgrenzungen erlitten werden - und wie sie Reflexion und Selbstwahrnehmung in Gang setzen. Ihr literarisches Schaffen wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Sri Lankan Arts Council Award für die Zeugnisse des Schreckens im Band "Apocalypse '83".

 

Lebenslauf

Jean Arasanayagam, geb. in Kandy/Sri Lanka, holländische Vorfahren (Dutch Burgher). Besuch einer privaten Methodisten-Missionsschule. Studium (B.A.) in Peradeniya (nahe Kandy): Englisch, Latein, Geschichte mit Lehrer-Diplom; 1985-86 Linguistik-Studium in Glasgow. Seit 1961 verheiratet mit dem tamilischen Schriftsteller und Maler Thiagaraja A., zwei Töchter; 1983 Flucht aus Kandy vor Pogromen, monatelang in Flüchtlingslagern. Lehrte Englisch am Lehrer-Seminar der Uni in Peradeniya, lebt heute als Schriftstellerin in Kandy.

Auszeichnungen

Sri Lankan Arts Council Award: 1984 (Prosa-Preis) für "Bhairava: A Childhood in Navaly", 1985 (Lyrik-Preis) für "Apocalypse '83"; Triton College International Poetry Award 1990.

Veröffentlichungen

Seit 1973 zahlreiche Gedichtbände, drei Short Stories-Sammlungen, Theaterstücke und ein Roman. Gedichte und Geschichten in vielen Zeitschriften und Anthologien, u.a. in Sri Lanka, Indien, England, USA, Australien, Neuseeland, Japan, Dänemark, Schweden.

Deutsch:

"Meditation über die Angst" (Erzählung, Original 1995), Übers. Thomas Marti, in: "Andere Länder - andere Zeiten" (Anthologie), Hg. Interlit e.V., Marino Verlag, München 1997.

Englisch (Auswahl):

"All is Burning" (Roman), Penguin Books, New Delhi 1995; "Peacocks and Dreams" (Gedichte u.a.), Navrang 1995; "Reddened Water Flows Clear: Poems from Sri Lanka", Forest Books, London 1991; "The Outsider" (Roman), Voice of Women, 1995; "Out of Our Prisons We Emerge" (Gedichte), Ariya Printers, Kandy 1987; "Trial by Terror" (Gedichte), 1987; "A Colonial Inheritance and Other Poems", 1985; "Apocalypse '83" (Gedichte), 1984; "The Cry of the Kite" (Short Stories), 1984; "Bhairava: A Childhood in Navaly", 1984; "Poems of a Season Beginning and a Season Over" Gedichte, 1977; "Kindura" (Gedichte), 1973.