Mario Delgado Aparaín

(Uruguay)

Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen

Samstag, 4.10.97, 10 Uhr
Forum 3, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

Mittwoch, 8.10.97, 20 Uhr
Bürgerhaus
Königsplatz 31a, Schwabach

 

Die Schönheit der Verlierer

"»Ich gehe, aber fertigmachen lasse ich mich von keinem.&laqno;

Und doch, ohne es ausdrücklich zu sagen, machten sie ihn fertig. Die Idee, ihm die Lust daran zu nehmen, zu sein, wie er sein wollte, war aus einer Feierabendlaune heraus entstanden, in einer Runde von Honoratioren, die es nun unternahm, ihn zu verwandeln. Der Aktion hafteten durchaus sportliche Züge an, was Johnny aber erst durchschaute, als die Tragödie bereits nahe war und die Träume aufgehört hatten, das Dunkel seines Lebens zu erhellen."

Mosquitos, ein Kaff in den uruguayischen Pampas. Ein paar Straßen, eine Bar, das Kino "Daguerre", ein Bordell, kleine Ranchos verstreut am Rand. Die Honoratioren hier haben es auf Johnny Sosa abgesehen.

Der Titelheld in Mario Delgado Aparaíns Roman "Die Ballade von Johnny Sosa" (dt. 1996) ist einer von wenigen Schwarzen im Ort. Ein herrlich gewachsenes Mannsbild. Ein großer Träumer des Blues und der Mythen des Kinos. Und immer schon ein hoffnungsloser Verlierer.

Johnny hat ein paar Gemüsebeete, eine windige Hütte und eine liebenswerte blonde Gefährtin. Entscheidungen sind seine Sache nicht, fürs Alltägliche zieht er seine imaginären Hollywood-Helden zu Rate. Nur an den Samstagabenden ist er ganz bei sich. Die Nacht seiner Musik. Dann läuft er im Puff "Chantecler" ein, ganz cool in Schwarz, um den Hals ein silbriges Medaillon, unten Cowboystiefel aus gepunztem Leder - für diesen Auftritt gibt er wirklich alles.

Sein Idol ist die texanische Blues-Legende Lou Brakley (eine fiktive Gestalt der Rock&Pop-Geschichte, die viel von Elvis hat). So will Johnny singen, so will er aussehen, so träumt er, aufzusteigen auf den Festivals an der Costa de Oro. Und so besteigt er die Bühne des Etablissements. Er stellt eine Quittengeleedose für die Münzen bereit, haut mächtig in die Saiten und singt den Blues. Immer tief von innen, voll Inbrunst und "manchmal auch schlicht verheerend", "ou, beiby" - egal, die Damen des "Chantecler" sind zu Tränen gerührt. Das aber soll sich bald ändern.

Über Nacht hat sich in Mosquitos fast alles geändert. Eines Morgens parkt eine Kolonne Militärlaster unter der Allee aus Eukalyptusbäumen. Keiner hat sie bestellt, keiner braucht sie hier. Die Männer im Drillich terrorisieren schnell das ganze Dorf - der Putsch hat den letzten Winkel erreicht (1976-85 wurde Uruguay durch eine brutale Militärdiktatur beherrscht). Johnnys Lieblingssprecher von Radio Mosquitos - über Lou Brakley wußte der alles - wird als erster verhaftet; viele folgen. Folter, Einschüchterung, Enteignung und überall Spitzel. Jeder ist im Visier. Selbst in der Bar des freisinnigen Basken Euskalduna spricht man nur noch hinter vorgehaltener Hand. Mißtrauen und Agonie überall.

Johnny braucht lange, bis er begreift - bis er fast erledigt ist.

Radio Mosquitos bringt stundenlang Marschmusik. Schlechte Zeiten für den schwarzen Blues, Völkisches ist angesagt. Johnny kommt den lokalen Würdenträgern gerade recht. Daß sich seine Zähne schon lange "auf und davon gemacht hatten, woanders zu lächeln", läßt sich beheben. Zur Prothese noch etwas Stimmband-Schulung - fertig ist der Sänger von Boleros: ein Versuchsbimbo, an dem sich prima zeigen läßt, was die Junta für die Leute von ganz unten tut. Und dem man nebenbei seine süße Blonde wegschnappen kann. Alles für eine saubere Kultur.

Das Geschäft ist simpel: Zähne und Karriere gegen Johnnys musikalische Seele. Die Honoratioren hecken den Plan gemeinsam aus. Sie haben auch sonst viel gemein. Allesamt sind sie Spießgesellen des Oberst Werner Valerio, kluge Leute, die sich mit der neuen Macht vor Ort arrangieren: Dr. Fronte, ein ewiger Ja-Sager, der "angeblich sogar im Schamhaar Pomade trug"; Maestro Di Giorgio, ein alter Tenor aus Italien, der sich abgesetzt hat, um eine Geschichte zu vergessen, die "sich um ein von Salzsäure entstelltes Frauengesicht und einen treulosen Geiger drehte"; Pater Freire, dem das lokale Bordell schon lang ein Dorn im Auge ist, der als privater Leser freilich nur wirksame Erbauungs-Lektüre wählt, die "Memoiren einer russischen Prinzessin" z.B. oder "das schändliche »Lob des Schwanzes&laqno;".

Eine saubere Gesellschaft, der keiner entkommt. Fast keiner.

Am Ende wird Johnny Sosa es allen zeigen. Wie bei einem Showdown singt er im "Chantecler" noch einmal triumphal den Blues - und entwischt. Er läßt seine Schöne und das neue, strahlende Gebiß zurück. Den Rest seiner Würde rettet er.

Mit Johnny Sosa hat Delgado Aparaín einen naiven, melancholisch-komischen Antihelden geschaffen. Seine "Ballade" ist eine bitterböse Satire auf das Uruguay der Militärdiktatur (kurz zuvor, 1974, hatte die Armee die sozialrevolutionären Tupamaros in blutigen Gefechten besiegt). Der hilflosen Menschlichkeit, der Schönheit der Traumverlorenen und sozialen Underdogs wird darin eine fast verschämte Liebeserklärung zuteil.

"Die Ballade von Johnny Sosa" - im Original 1991 erschienen und auch für das Theater adaptiert - ist ein kurzer Roman, der Stoff aber ist ungemein dicht und vielschichtig verwoben: "ein zärtliches episches Gedicht", das "auf ein Terrain (führt), wo Redlichkeit möglich ist, Würde notwendig, Loyalität unerläßlich und Selbstachtung etwas, für das es am meisten zu kämpfen gilt", schreibt Luis Sepúlveda. Und, daß es bei all dem ein Text ohne jedes Pathos ist.

Für Delgado Aparaín bedeutete das Buch den literarischen Durchbruch in Südamerika und Europa. Die Kritik sieht ihn als Vertreter einer neuen Schriftsteller-Generation, die das Erbe von García Márquez und Vargas Llosa weiterschreibt. Delgado Aparaíns Stil wird mit dem des berühmten uruguayischen Erzählers Juan Carlos Onetti verglichen: höchste Transparenz und Ökonomie der Sprache.

Uruguays Intellektuelle wurden im Jahrzehnt der Militärherrschaft gezielt verfolgt. Viele wurden eingesperrt, viele gingen ins Exil. Delgado Aparaín, heute im Kulturamt der Stadt Montevideo tätig, tauchte ab in die Provinz, war zeitweise auch in Buenos Aires. Als Journalist sammelte er Material für seine Erzählungen. Vier Romane und zwei Bände mit Kurzgeschichten hat er bislang vorgelegt.

Die entlegenen Orte kehren in Delgado Aparaíns Prosa wieder. So ist Mosquitos auch Schauplatz der Erzählung "Ein schwarzer Handkoffer mit vergoldeten Eckbeschlägen" in der vom Haus der Kulturen der Welt herausgegebenen Anthologie "Erkundungen - 21 Erzähler vom Rio de la Plata" (1993). Gegen den Trend schürft Delgado Aparaín in den Winkeln des flachen Landes. Gemeinheiten, Dummheiten - und menschliches Gold.

 

Lebenslauf

Mario Delgado Aparaín, geb. 1949 in Florida, einem kleinen Dorf in Uruguay. Begann als Journalist, dann Mitarbeit in der Kulturverwaltung von Montevideo; während der Militärdiktatur (1976-85) Untertauchen auf dem Land und in Buenos Aires, journalistische Arbeiten. 1990-95 Leiter des Kulturamts der Stadt Montevideo; heute dort in anderer Funktion tätig und Universitäts-Dozent.

Auszeichnungen

Zahlreiche Preise für Romane und Erzählungen, u.a. Literaturpreise der Stadt Montevideo (1988, 1989) und des uruguayischen Ministeriums für Erziehung und Kultur (1991).

Veröffentlichungen

Erste Erzählungen 1976 in der Anthologie "Los mas jóvenes cuentan"; 1982 das erste eigene Buch, bis heute vier Romane und zwei Bände mit Erzählungen. Aufnahme in viele Anthologien; Ausgaben in allen Ländern Hispanoamerikas und in Spanien, Übersetzungen ins Französische, Italienische, Portugiesische, Holländische, Griechische und Deutsche.

Deutsch:

"Die Ballade von Johnny Sosa" (Roman, Original 1991), Übers. Thomas Brovot, Luchterhand, München 1996;

"Unser Unbekannter" (Erzählung), Übers. Thomas Brovot in der Anthologie: "Andere Länder - andere Zeiten", Hg. Interlit e.V., Marino Verlag, München 1997.

"Ein schwarzer Handkoffer mit vergoldeten Eckbeschlägen" (Erzählung, Original 1991), Übers. Andreas Klotsch, in: "Erkundungen - 21 Erzähler vom Rio de la Plata", Hg. Haus der Kulturen der Welt, Verlag Volk und Welt, Berlin 1993.

Spanisch - Auswahl:

"Por mandato de madre" (Roman), Alfaguara, Montevideo 1996;

"La balada de Johnny Sosa" (Roman), Ediciones de la Banda Oriental, Montevideo 1991 und Ediciones B, Barcelona 1995; "El día del cometa" (Roman), Ediciones de la Banda Oriental, Montevideo 1985; "Las llaves de Francia" (Erzählungen), Ediciones de la Banda Oriental, Montevideo 1984; "Estado de gracia" (Roman), Ediciones de la Banda Oriental, Montevideo 1983; "Causa de buena muerte" (Erzählungen), ARCA, Montevideo 1982.