Germano Almeida

(Kapverden)

Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen

Samstag, 4.10.97, 15 Uhr
Forum 4, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

 

Das Vermächtnis der Inseln

"Die Verlesung des eigenhändig von ihm aufgesetzten Testamentes von Senhor Napumoceno da Silva Araújo dauerte einen ganzen Nachmittag lang. Als er auf der Seite 150 angelangt war, gestand der Notar, daß er müde war, und unterbrach sogar die Lektüre, um ein Glas Wasser zu erbitten. Und als er es in kleinen Schlucken trank, stöhnte er, der Verstorbene habe im Glauben, ein Testament zu verfassen, eher seine Memoiren geschrieben."

Beim Notar in Mindelo auf der kapverdischen Insel São Vicente heißt es an diesem Tag im Jahr 1984 für die anwesenden vier Herren: Haltung bewahren. Testamente sind zu verlesen und seien sie 387 Seiten lang. Drei Vorleser teilen sich taktvoll in die Last - bis einem doch der Kragen platzt: "In der Hölle schmoren soll der verdammte Alte!"

Carlos, der Neffe des mit 86 verstorbenen Herrn Napumoceno, fühlt sich um sein Erbe geprellt. Je weiter man in Germano Almeidas Roman "Das Testament des Herrn Napumoceno" (dt. 1997) vorankommt, desto besser kann man den Neffen verstehen.

Jahrzehntelang hat Carlos für seinen Onkel den Laden geschmissen. Aus der Firma ARAÚJO, LDA. - Import-Export von allem und jedem, hat er ein profiliertes, profitables Handelsunternehmen gemacht, eines der bedeutendsten auf São Vicente, ja im gesamten Archipel von Kap Verde. Carlos hatte immer die Nase im Wind. Seit die Zeiten moderner wurden, ließ Napumoceno ihn wohlweislich gewähren; die Fäden aber gab er nie ganz aus der Hand.

Im Testament beschreibt Herr Napumoceno, wie er, geboren 1898 und aufgewachsen fern jeder "Zivilisation" auf der Insel São Nicolau, als junger Mann "barfuß in São Vicente von Bord" ging. Er ist im Übersee-Handel groß geworden, ein Mann mit Einfluß, als Stadtrat respektiert in der Gesellschaft Mindelos. Und doch ein Kleinkrämer bis zum Schluß. Peinlich genau beziffert er seinen Reichtum: 67 380 547 $ 00, fragwürdige Werte inkl. - selbst uralte Schuhe aus seiner Zeit als Laufbursche bei Miller & Corys sind mitgerechnet.

Der Löwenanteil ist für Maria da Graça reserviert. Maria da Graça? Herr Napumoceno hat eine Tochter, die bis dato keiner kannte. Im Dämmerlicht insgeheimen Wissens und offizieller Verleugnung war sie versunken: "Was bleibt denn schon in São Vicente geheim!" Herr Napumoceno hatte nie etwas mit Frauen. Man weiß halt nur, was man wissen will. Das Vermächtnis trifft Carlos böse. Eine echte Überraschung ist es für Maria da Graça. Sie erfährt erst jetzt von ihrem leiblichen Vater - außer Reichtum wird ihr der Erzeuger zugesprochen.

Dieser honorige Mann: Was ist Schein, was ist Sein? Senhor Napumocenos Testament bringt etwas Licht ins Dunkel - sein Ansehen verdunkeln soll es sicher nicht. Selbstentblößung im Schongang - jedes Bekenntnis eine Halbwahrheit, jede Teilwahrheit im Dienst einer neuen Selbstgefälligkeit.

Zugegeben, sein Wohlstand begann mit einem schlichten Bestellungs-Fehler: 10.000 Regenschirme - aber eben doch Geschäftsinstinkt, weil mit den Schirmen zugleich ein Jahrhundertregen auf die staubtrockenen Kapverden herabfiel. Zugegeben, an der patriotischen Aktion gegen die Zerstörung durch die folgende Springflut hat er verdient - aber nicht gut, gab er doch "Rabatt auf 10 % seines Gewinns". Zugegeben, den Geschäftsvisionen von Carlos erdankt er viel: viele profitable Ideen - im Grunde waren es seine eigenen, nur "die normale Entwicklung" eines in die Schulbildung von Carlos "gut investierten Kapitals".

Zugegeben auch, daß "Maria da Graça gemacht wurde", als beide - er und seine Putzhilfe Dona Chica - "am Schreibtisch gelehnt hätten, die Mutter stets im grünen Rock" - doch kein Wort über die Gewalt beim ersten Mal und all die wilden Reiterspiele, die dann einvernehmlich und immer auf dem soliden Möbel stattfanden. Und zwar nur dann, wenn Frau Chica in Grün und Weiß, den Farben seines Lieblings-Fußballvereins Sporting, auftrat.

Die Meisterschaft im Selbstbetrug macht Senhor Napumoceno zu einer Witzfigur. Eine traurige Gestalt ist er auch. Mit dem Aufstieg in die bessere Gesellschaft hat er seine Bodenhaftung verloren: "Ein Mann, den die Dinge eingeholt haben", der hilflos in den Bluff der Bildungsbürger verstrickt ist. Als die PAICV, die Bewegung für soziale Gerechtigkeit und Unabhängigkeit der Kapverden mobil macht, sitzt er zwischen allen Stühlen: pro Portugal und die Privilegien der Kaufmannschaft; pro Kap Verde und die Hoffnungen der Armen? Napumoceno flüchtet in die spirituelle Vervollkommnung. Mit dem Erbe für die mittellose Maria sucht er auch eine soziale Schuld abzutragen - tatsächlich quälen ihn bis zum Ende ungelebte Lieben, allen voran die zu seiner Tochter und zu Adélia, einem späten, kurzen Glück.

"Das Testament ..." ist Germano Almeidas erster Roman. Er hat ihn auf São Vicente geschrieben und dort 1989 im eigenen Verlag Ilhéu Editora herausgebracht. Ausgaben in Portugal und Brasilien folgten, dann Übersetzungen ins Französische und nun auch ins Deutsche. Die portugiesische Kritik reagierte begeistert: "Eine Sternstunde der kapverdischen Literatur" (Ilse Pollack). Almeidas Erzählen erinnert an den Brasilianer Jorge Amado. Das Besondere: "Er beherrscht alle Spielarten der literarischen Komik". Im letzten Jahr wurde der Roman in einer französisch-brasilianisch-portugiesischen Koproduktion in Mindelo verfilmt.

Germano Almeida wuchs auf Boa Vista auf, einer der "Provinz"-Inseln der Kapverden. Nach Militärdienst und Jura-Studium in Lissabon kehrte er 1977 nach Kap Verde zurück - 1975 war das Land unabhängig geworden - und eröffnete in Mindelo eine Anwaltskanzlei. Er war Mitbegründer der oppositionellen Zeitschrift "Ponto & Virgula" und unterstützte in den 80ern die Demokratiebewegung gegen die Einparteienherrschaft der PAICV (Partido Africano da Independência de Cabo Verde).

Das Staatsmonopol der Unabhängigkeits-Rebellen von einst endete 1990. Im selben Jahr veröffentlichte Almeida "O Meu Poeta" (Mein Dichter), eine großangelegte Satire auf Bereicherungs-Praktiken, Opportunismus, soziale Stagnation in Kap Verde nach 1975. Symbolfigur ist ein Dichter mit Wendehals: impotent in Bett und Sprache, ansonsten aber immer obenauf. Auch der landestypische Don Juanismus bekommt sein Fett weg.

Wie lebendig die Götter und Geister Afrikas auf den Kapverden sind, erzählt Almeida in dem Roman "A Ilha Fantástica" (Die fantastische Insel - 1994). Und der Roman "Os Dois Irmãos" (Die zwei Brüder - 1995) zeigt an einem Brudermord, den die Dorfgemeinschaft fordert und feiert, daß der Ehrencodex der Sexualmoral tödlich sein kann.

 

Lebenslauf

Germano Almeida, 1945 geb. und aufgewachsen auf der Insel Boa Vista/Kap Verde. Ab 1963 in Lissabon; einige Jahre Militärdienst in Angola. Jura-Studium und Examen an der Universität Lissabon. 1977 Rückkehr nach Kap Verde; Mitbegründer der Zeitschrift "Ponto & Virgula" (1983-87), Herausgeber und Miteigentümer der Zeitschrift "Aguaviva". Lebt in Mindelo auf der Insel São Vicente und arbeitet als Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei.

Veröffentlichungen

Seit 1989 fünf Romane und ein Erzählband; gründete mit "Ilhéu Editora" den ersten Privatverlag in Kap Verde, seine Bücher erschienen z.T. zuerst dort. Ausgaben in Portugal und Brasilien, Übersetzungen ins Französische und Deutsche. Beiträge u.a. für die Tageszeitung "Público".

Deutsch:

"Das Testament des Herrn Napumoceno" (Roman, Original 1989), Übers. Maralde Meyer-Minnemann, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 1997;

"Ferien im Rhythmus der Insel" (Kurzgeschichte), Übers. Maralde Meyer-Minnemann, in: "Andere Länder - andere Zeiten" (Anthologie), Hg. Interlit e.V., Marino Verlag, München 1997.

Portugiesisch:

"Estórias de Dentro de Casa" (Erzählungen), Ed. Caminho, Lisboa 1996;

"Os Dois Irmãos" (Roman), Ed. Caminho, Lisboa 1995;

"A Ilha Fantástica" (Roman), Ed. Caminho, Lisboa 1994;

"O Dia das Calças Roladas" (Roman), Ilhéu Editora, Cabo Verde 1992;

"O Meu Poeta" (Roman), Ilhéu Editora, Cabo Verde 1990 und Ed. Caminho, Lisboa 1992;

"O Testamento do Sr. Napumoceno da Silva Araújo" (Roman), Ilhéu Editora, Cabo Verde 1989 und Ed. Caminho, Lisboa 1991.