Ibrahim al-Koni

(Libyen / z. Z. Schweiz)

Autorenporträt, Biographie / Veröffentlichungen

Freitag, 3.10.97, 15 Uhr
Forum 2, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

Sonntag, 5.10.97, 11.15 Uhr
Evang. Bildungszentrum
Leimberger Haus, Friedrichstr. 9/I, Erlangen

 

Ins Herz der Wüste

"Das war die Gazelle, von der du geträumt hast, wie alle Kinder der Wüste: sie mit Händen ergreifen ..., in ihre unglücklichen, klugen Augen zu blicken ... In ihr liegt der Zauber der Frau und die Unschuld des Kindes, die Entschlossenheit des Mannes und der Edelmut des Ritters, die Keuschheit der Jungfrau und das Elend der Wüste, die Leichtigkeit des Vogels und das Geheimnis der Weite."

Ibrahim al-Konis Roman "Blutender Stein" führt uns ins Herz der Wüste. Genauer: in den Südwesten Libyens, in jenen Teil der Sahara, der zwischen Ghat (ein Ort an der Grenze zu Algerien) und der Oase Mursuk liegt - ins Zentrum eines Zwischen-Raumes, begrenzt vom arabisch-islamischen Norden Afrikas und dem schwarzafrikanischen Süden. Dorthin, wo die Sonne gnadenlos ist. Und die Weite unermeßlich.

Ein Niemandsland? Eben nicht. Es ist das Land der Tuareg, eines Volks von Nomaden, deren Stämme die Wüste zu ihrem Lebensraum gemacht haben. Seit Menschengedenken. Hier ist al-Koni, selbst ein Tuareg (also: Targi), zuhause. Und so kann er von dem besonderen Gespür der Tuareg erzählen: für die Sande. Er schildert die Macht, die grandiose Schönheit und Gefährlichkeit der Natur. Und er läßt uns nachvollziehen - oder, ahnen -, daß das Gespür für Sand etwas über lange Zeiten Gewachsenes ist. Daß es das Ergebnis ist eines Lebens mit Extremen - und zugleich Voraussetzung für ein achtendes Verhältnis von Mensch und Tier, zwischen Leuten, Land und Lebewesen.

Eine heile Welt ist al-Konis Wüste nicht. In ihr finden sich die Grundkonflikte jeder Existenz: Sicherheit in der Gemeinschaft - um den Preis weitgehender Anpassung; oder radikale Selbstbestimmung - mit Isolation, Einsamkeit und Schutzlosigkeit im Gefolge. Es ist im tiefsten Süden wie überall, wo Menschen sind.

Und es ist wie hoch oben im Norden: Einbrüche der neuen Zeit gefährden die Lebensgrundlage der Tuareg. al-Konis Bild hierfür ist die Gefräßigkeit - eine besinnungslose Gier greift Raum.

In "Blutender Stein" wird sie verkörpert von vordringenden Arabern. Ihre Werkzeuge sind westliche Errungenschaften: amerikanische Helikopter, Landrover, Schnellfeuerwaffen. Sie erschüttern die feine Abstimmung zwischen Mensch und Umwelt im Mark. Mit brachialer Technik, mit Zügellosigkeit - und vor allem mit dem Geld anstelle des alten Tauschhandels.

"Blutender Stein" zeigt al-Konis ganze Kunst: Alles kann einfach so verstanden werden, direkt und konkret - und alles ist zugleich auch Sinnbild und Wegweiser für große Zusammenhänge.

In der arabischen Kritik genießt al-Koni zunehmend starke Anerkennung. Für seine Innovation in Stil und Handlung. Und besonders: für die Entdeckung der Wüste. In den Romanen und Erzählungen al-Konis ist sie immer gegenwärtig - und, erstaunlich genug, in der Literatur ist die Sahara damit erstmals erfahrbar: Arabische Autoren leben in der Regel in Städten; darüber schreiben sie - und die Wüste vor der Tür, sie ist weit weg.

"Blutender Stein" ist der erste vollständig ins Deutsche übersetzte Roman aus Libyen überhaupt (1995). Neben dem Autor wurde auch die Übertragung durch Hartmut Fähndrich vielfach hoch gelobt. Heuer folgte die zweite Übersetzung: der Roman "Goldstaub". Darin wird das Verhältnis eines jungen Tuareg zu seinem Kamelhengst geschildert. Als Beziehung eines elementaren Aufeinander-Angewiesen-Seins. Und, mehr als das, als eine Art von Verehrung, "die aus der physischen Attraktion, der Schönheit 'des Tieres', entsteht" (Hartmut Fähndrich).

Ibrahim al-Koni ist umfassend geschult im Erzählen - in der Tradition des Arabischen genauso wie in der Europas. Das gibt seinen Geschichten eine ganz eigene Tiefe: mit Bezügen zum Koran und zum Alten Testament, zu den Überlieferungen des Animismus und den Lehren der Sufi - und eben auch zu Theorien und Techniken modernen Erzählens.

So werden Subjekt und Welt vielfach gespiegelt: innen und außen, Weltbild und Welterfahrung, sie erläutern sich wechselseitig. al-Koni erzählt uns die Sahara so gleichsam einheimisch - mit den Augen ihrer angestammten Bewohner. Und immer zusammen mit jenen Mythen, Legenden und Erfahrungssätzen, die hier alle Wahrnehmung leiten.

In "Blutender Stein" lesen wir so von einer anderen Sicht der Dinge: In der die Gazelle die Seele der Sandwüste ist und das Wildschaf Mufflon die Seele der Bergwüste; wo gute und böse Dschinnen regieren, wo Kreatur und Landschaft Furcht und Ehrfurcht erfahren und Tiere, menschengleich, in die Geschichte eingreifen: eine Sicht, in der "Heidnisches und Islamisches verschmelzen zu einer Weltanschauung eigener Prägung" (Hartmut Fähndrich).

Das Wort "Synkretismus" ist dafür geläufig - und ignoriert, daß die Tuareg-Stämme eine eigenständige Kulturregion bilden. Von Algerien, über Libyen, Mali, Niger bis Nigeria - ein riesiger Raum, karg und zugleich voll von unbekannten Reichtümern, voll von Ideen und Techniken des Lebens. Davon sprechen die Geschichten des Ibrahim al-Koni - und von der Gefährdetheit dieser Welt der Tuareg.

 

Lebenslauf

Ibrahim al-Koni, geb. 1948 im Südwesten Libyens (Region Fessan, zwischen Ghat und Mursuk). Aufgewachsen in einem Tuareg-Stamm in der Wüste; Besuch der Schulen in einer südlibyschen Oase; Studium der Literatur am Gorki-Institut in Moskau; Journalist für Kulturabteilungen der libyschen Botschaft: 1978-87 Warschau, bis 1993 Moskau; seit 1993 in Bern beim Pressedienst der Botschaft.

Auszeichnungen

Buchpreis der Stadt Bern (1996); Libyscher Staatspreis für Kunst und Literatur (1996).

Veröffentlichungen

1974 erste Sammlung mit Kurzgeschichten, seit Mitte der 80er Jahre in schneller Folge Erzählbände, Essays und Romane (z.T. zwei und vierbändig), bislang insg. 13 Prosatitel.

Deutsch: "Goldstaub" (Roman, Original 1990), Lenos Verlag, Basel 1997 und "Blutender Stein" (Roman, Original 1990) ebda 1995 - beide Übers. Hartmut Fähndrich.

Erzählungen in Anthologien und Zeitschriften:

"Die Zeit der Vögel" in "Arabische Erzählungen der Gegenwart", Beck, München 1997; "Hinaus" in "drehpunkt. Die Schweizer Literaturzeitschrift 96" 1996; "Unterwegs" in "du. Die Zeitschrift für Kultur" 7/8 1994.

Arabisch (Auswahl): "Fitnat az-zu'ân" (Roman), 1995; "as-Sahara" (Roman, 2 Bde.),1994/95; "Harîf ad-darwîs", 1994; "al-Waqâ'i' al-mafqûda min sîrat al-magûs" (Erzählungen), 1992; "al-Magûs" (Roman, 2 Bde.), 1990; "Rubâ'îyat al-husûf" (Roman, 4 Bde.), 1989; "Sagarat ar-ratam" (Erzählungen), 1986; "Gur' a min dam" (Erzählungen), 1983; "as-Salât hârig nitâq al-auqât al-hamsa" (Erzählungen), 1974.