Meena Alexander

(Indien / z. Z. USA)

Autorenportät, Biographie / Veröffentlichungen

Sonntag, 5.10.97, 15 Uhr
Forum 6, Redoutensaal
Theaterplatz, Erlangen

Dienstag, 7.10.97, 20 Uhr
Kulturladen Ziegelstein,
Ziegelsteinstr. 102/104, Nürnberg

 

Die interkontinentale Frau

A woman cracked by multiple migrations". - Ich bin eine Frau, die Risse bekommen hat im Laufe ihrer vielen Wanderungen. So sieht sich Meena Alexander in ihrem Erinnerungs-Buch "Fault Lines" (1993).

Meena Alexander, erzogen im christlichen Glauben, begann ihre Wanderschaft schon in frühester Kindheit: Nordindien, Südindien, Sudan. In Khartum studierte sie und schrieb erste Gedichte - auf französisch. In England arbeitete sie über deutsche Philosophie (Husserl) und promovierte über Frauenliteratur der englischen Romantik (M. Wollstonecraft, D. Wordsworth, M. Shelley). Zurück in Indien veröffentlichte sie die ersten drei Gedichtbände - und heiratete einen US-Amerikaner. Mit ihm und ihren beiden Kindern lebt sie heute in New York.

Eine Lebensreise über Erdteile hinweg. Ein Trip durch Sprachen, Kulturen, soziale Systeme. Eine interkontinentale Frau?

Eben dieser Frage stellt sich Meena Alexander in ihren Büchern. In Gedichten, Erzählungen, Essays und Romanen. Mit besonderer Aufmerksamkeit für ihr Frau-Sein, für die daran geknüpften, überkommenen Rollenerwartungen, ob in Indien, Europa, Afrika oder in den USA. Mit scharfem Blick für die politischen Verhältnisse, für die speziellen Probleme der "Dritte-Welt"-Länder - und für das lange noch nicht "bewältigte" Erbe der Kolonialzeit.

Meena Alexander zeigt uns dabei: sie kann sich nicht sicher sein. Ihrer selbst nicht. Und nicht dessen, was ihre Sache ist. Das begründet die Ehrlichkeit ihrer Bücher. Oder wüßten wir es besser, bei diesem Lebensweg? Wer bin ich? Was hat mich geformt? Was soll ich machen - und was kann ich auch aushalten? Also - wo ist mein Platz, wo gehöre ich hin?

Meena Alexanders erster Roman "Rückkehr nach Hyderabad" (1993 - Original: "Nampally Road") gründet wie die meisten ihrer Texte auf eigenen Erfahrungen. In Raum und Zeit, in Fragen zur Existenz. Und in vielen Details.

Die Ich-Erzählerin Mira kommt aus England zurück in die brodelnde südost-indische Metropole Hyderabad. Sie lehrt an der Central University englische Literatur der Romantik. Das Land, es sind die 70er, ist im Ausnahmezustand. Und um sie herum tobt ein ganz anderes Leben: bizarr und hektisch, modern und uralt in einem, geprägt von Verkehrslärm und exotischen Düften, vom Behauptungswillen der Straßenhändler und politischen Konflikten, von Armut, Elend, Krankheit - und auch von Menschen, die helfen, wo es nur geht.

Mira ist verwirrt: kritische und oppositionelle Studenten; heuchlerische, machtgierige Cliquen von Hindukraten; weltabgewandte Akademiker im Elfenbeinturm; die Erleuchtung suchende Zeitgenossen; dazu Kastenlose und Ausgebeutete und entrechtete Frauen. Und sie ist geschockt, von der Brutalität des staatlichen Terrors: Die Polizei des Regierungschefs Limca Gowda schreckt vor nichts zurück, soziale Kämpfe werden unerbittlich geführt. Husserl und Wordsworth, sie helfen hier nicht weiter. Mira ist hin- und hergerissen - Mahatma Gandhis Standbild, es steht wie verloren in der Stadt: Wann ist Gewalt legitim? Mittun mit ihren linksgerichteten Freunden? Oder als Schriftstellerin Stellung beziehen, Zeugnis ablegen - und dabei auch die Selbstfindung vorantreiben? Vieles bleibt offen. Und doch zeigt Mira besonderen Mut. Als Frau: Dem Heiratsarrangement ihrer Mutter entzieht sie sich - gegen jede Tradition, "und zieht den Sari aus" für Ramu, ihren intellektuellen Gefährten und einen der Wortführer der Rebellion.

"Rückkehr nach Hyderabad" ist eines der wenigen politischen Bücher einer indischen Schriftstellerin, in dem das Schicksal von Frauen greifbar wird: die mannigfaltigen Verletzungen der von der Verfassung garantierten Gleichstellung der Frau; der Verrat der Ideale Gandhis und Nehrus; die Ausbeutung durch die neue herrschende Klasse.

In Alexanders Prosa ist immer auch die Dichterin zu hören. Diesen lyrischen Grundton hat auch ihr letzter Roman "Manhattan Music" (1997). Schauplatz ist New York: ethnisch stark durchmischte Zirkel von Einwanderern aus Asien, Afrika, Europa. Hier heißt die Heldin Sandhya, ist gebürtige Inderin, etwas über 30 und verheiratet mit einem US-Bürger jüdischer Herkunft. Ihre Welt ist zusammengesetzt aus Forderungen - eigenen, überlieferten, modernen, fremden -, die nur schwer zu vermitteln sind - und sie gerät eine Zeitlang völlig aus den Fugen. Das Buch, schreibt ein amerikanischer Kritiker, "spiegelt die innere Welt von Leuten, die mit Bindestrich-Identitäten fertigwerden müssen, mit widersprüchlichen Verpflichtungen und zersplitterten Träumen."

In den USA und Indien gilt Meena Alexander als eine der wichtigsten Autorinnen der indisch-amerikanischen Literatur. Bei ihren Gedichten finden Präzision, Sprachgefühl, Intensität und soziales Engagement höchstes Lob. Zum Band "River and Bridge": "Das nächste Mal, wenn jemand behauptet: Gedichte schaffen es einfach nicht, auch Neuigkeiten und Fakten einzufangen, die die Welt wirklich bewegen - dann werde ich den Namen Meena Alexander und dieses schöne Buch wie eine Flagge hissen." (Cornelius Eady).

Das Englisch, in dem sie schreibt, ist für Meena Alexander selbst mitunter wie eine blasse, falsche Haut. Aber es ist auch ihr einziges Mittel gegen die Verwirrung: Der Fluß des Schreibens - ist für sie zugleich die Brücke. Auf ihrem Weg zwischen den Kulturen, hin zu mehr Selbstgewißheit. Im Titelgedicht von "River and Bridge" heißt es: "Ich bin nun am Ufer des Hudson mein Leben neu zu beginnen / wiedergeboren zu werden, wie Wasser / in eine neblige Landschaft zu sickern, polierte Bäume / eine Brücke die den Übergang an sich reißt ..."

 

Lebenslauf

Meena Alexander, geb. 1951 im nordindischen Allahabad, dann im südwestind. Tiruvella (Kerala). 1955-73 in Khartum (Sudan); 1973 Rückkehr nach Kerala; ab 1974 Lehraufträge für englische Literatur an Universitäten in Neu Delhi und Hyderabad (Südost-Indien); Dr. phil. 1989 an der Universität Nottingham: "Women in Romanticism"; 1988 "Writer in Residence" an der Columbia University (New York); lebt z. Z. in New York und unterrichtet dort engl. Literatur und Creative Writing an verschiedenen Uni-Instituten. Verheiratet, zwei Kinder.

Veröffentlichungen

Seit 1976 zahlreiche Gedichte, Erzählungen, Essays und zwei Romane; Beiträge für Zeitschriften in USA, Kanada, England, Indien; Übersetzungen u.a. ins Deutsche und Italienische.

Deutsch: "Rückkehr nach Hyderabad" (Roman - im Original: Nampally Road), Übers. Christine Steffen-Reimann, Knaur Tb, München 1993.

Englisch (Auswahl): "Manhattan Music" (Roman), Mercury House, San Francisco 1997; "River and Bridge" (Gedichte), Login/InBook, Chicago, Toronto 1996; "Fault Lines: A Memoir", The Feminist Press, NewYork und Penguin, New Delhi 1993; "The Shock of Arrival - Reflections on Postcolonial Experience" (Prosa und Gedichte), South End Press, Boston 1996; "Nampally Road" (Roman), Mercury House, San Francisco 1991; "The Bird's Bright Ring" (Gedichte), Writers Workshop, Kalkutta 1976.