Anlage zum Protokoll der 30. Sitzung des Promotionsausschusses
der Philosophischen Fakultäten I und II der Friedrich-Alexander- Universität
Erlangen-Nürnberg am 11. Juli 1996
1. Der Promotionsausschuß hat am 11.07.1996 einstimmig beschlossen,
den Forderungen der Professoren Dres. Verweyen und Witting in ihrem Schreiben
vom 28.11.1995, "die Verleihung des Doktortitels an Herrn Hans Schneider
alias Hans Schwerte [zu widerrufen]", sowie von Prof. Dr. Ebert vom
07.05.1996, "die Promotion von Herrn Hans Ernst Schneider alias Hans
Schwerte aus dem Jahre 1948 (Tag der mündlichen Prüfung: 18.12.1948)
[... ] gem. 19 (1) Promotionsordnung für ungültig [zu erklären]",
nicht zu folgen. Der Promotionsausschuß sieht die Voraussetzungen
einer Entziehung des Doktorgrades als nicht gegeben an. Zu diesem Ergebnis
ist er nach eingehender Erörterung in mehreren Sitzungen (17.04., 20.05.,
27.06. und 11.07.1996) unter Einbezug einer juristischen Stellungnahme der
Universitätsverwaltung und nach Anhörung von Befürwortern
wie Gegnern einer Entziehung des Doktorgrades - so auch nach einem Gespräch
mit studentischen Vertretern - gelangt.
2. Die Zuständigkeit des Promotionsausschusses ergibt sich aus 3 der
geltenden Promotionsordnung für den Grad eines Dr. phil. vom 08.10.1991.
Wie in allen anderen von ihm zu entscheidenden Fällen konnte der Promotionsausschuß
nur im Rahmen von Gesetz und Recht, insbesondere des Bayerischen Hochschulgesetzes
und der Promotionsordnung, tätig werden. Gleichwohl hat er sich mit
den Argumenten der Befürworter einer Entziehung des Doktorgrads eingehend
auseinandergesetzt, aber keine Möglichkeit gesehen, bei der von ihm
zu fällenden Entscheidung über die rechtlichen Aspekte hinausgehend
die diskutierten wissenschaftlichen, politischen und moralischen Gesichtspunkte
für ausschlaggebend anzusehen.
3. Auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, namentlich
von Art. 89 Abs. 1 des Bayerischen Hochschulgesetzes und 19 Abs. 3 der Promotionsordnung,
hat der Promotionsausschuß in der Sache zwei Feststellungen getroffen:
Erstens: Es sind keine Gesichtspunkte zu erkennen, daß sich Herr Dr.
Schwerte/ Schneider durch sein Verhalten nach seiner Promotion zum
Dr. phil. in Erlangen am 18.12.1948 als der Führung des Doktorgrades
unwürdig erwiesen hat. Ausschlaggebend dafür ist, daß Herr
Dr. Schwerte/Schneider keinerlei strafgerichtliche Verurteilung erfahren
hat, auf die allein der Verlust der Würdigkeit gestützt werden
könnte.
Zweitens: Das Verhalten von Herrn Dr. Schwerte/Schneider bis zur
Promotion im Jahre 1948 rechtfertigt - soweit bekannt und strafrechtlich
gewürdigt - ebenfalls nicht die Entziehung des Doktorgrades. Sie wäre
weder mit seiner Rolle im "Dritten Reich", insbesondere mit seiner
Tätigkeit in der SS-Organisation "Ahnenerbe", noch mit der
von ihm eingestandenen Täuschung über seine Identität anläßlich
der Zulassung zur Promotion zu begründen. Zur Täuschung selbst
hat der Prüfungsausschuß klargestellt: Herr Dr. Schwerte/Schneider
hat den Grad eines Dr. phil. nicht durch Täuschung über seine
Prüfungsleistungen erworben, was die Entziehung des Doktorgrades fast
fünfzig Jahre nach seiner Verleihung auch heute noch rechtfertigen
würde, sondern durch Täuschung über seine persönlichen
Zulassungsvoraussetzungen zur Doktorprüfung. Mit der Täu schung
über seine Personenidentität verfolgte er zweifellos das Ziel,
dem damals zuständigen Promotionsorgan sein Wirken unter der nationalsozialistischen
Herrschaft, insbesondere in der SS-Wissenschaftsorganisation, zu verbergen
und damit eine Wertung dieses Verhaltens unter dem Gesichtspunkt der zur
Promotion geforderten Würdigkeit zu verhindern. Namen und Lebenslauf
an sich sind jedoch im Prüfungs- und Promotionsrecht von nachgeordneter
Bedeutung. Insoweit gilt zumindest nach heutigem rechtlich zutreffendem
Verständnis, daß mangelhafte Zulassungsvoraussetzungen mit Abschluß
der Prüfung als für ihren Erfolg irrelevant anzusehen sind, also
nicht zum Verlust des erworbenen Grades führen, auch wenn eine Täuschung
strafrechtlich - in engen Grenzen - geahndet werden kann. Die Frage, ob
die Rolle von Herrn Dr. Schwerte/Schneider in der SS-Organisation "Ahnenerbe"
für sich genommen im Jahre 1948 die Versagung der Würdigkeit zur
Promotion gerechtfertigt hätte, konnte und mußte nicht abschließend
entschieden werden. Gleiches gilt für die Frage, ob es bei Bekanntwerden
der Täuschung unmittelbar nach der Promotion zum Entzug des Doktorgrades
gekommen wäre. Angesichts der Praxis in der frühen Nachkriegszeit
im Umgang mit der Vergangenheit NS-belasteter Wissenschaftler neigte der
Promotionsausschuß zu der Auffassung, diese Fragen eher zu verneinen.
4. Vor allem aber hat sich der Promotionsausschuß eingehend mit dem
tiefgreifenden Wandel der Vorstellungen zur Würde eines Promovierten
im letzten halben Jahrhundert auseinandergesetzt, der mittlerweile auch
in Gesetz und Rechtsprechung seinen Niederschlag gefunden hat. Selbst wenn
man davon ausginge, daß das im Jahre 1948 zuständige Promotionsorgan
der Erlanger Philosophischen Fakultät bei Bekanntwerden der Täuschung
des Promotionskandidaten Schwerte/Schneider die Konsequenz gezogen hätte,
ihn der Verleihung des Doktorgrades für unwürdig zu halten, so
kann daraus nicht geschlossen werden, daß fast 48 Jahre später
die Unwürdigkeit noch zu bejahen wäre. Zu berücksichtigen
war in jedem Fall der weitere Lebensweg von Herrn Dr. Schwerte/ Schneider,
insbesondere sein Ansehen als Gelehrter, seine Verdienste in der akademischen
Selbstverwaltung und sein im übrigen untadeliges Verhalten als Bürger.
Zu bedenken waren ferner grundlegende rechtliche und gesellschaftliche Veränderungen
unter Einschluß des tiefgreifenden Wandels der Auffassungen von der
Würdigkeit des Inhabers eines Doktorgrades, der heute mehr als Ergebnis
einer hervorgehobenen wissenschaftlichen Leistung und weniger unter Aspekten
einer besonderen Würdigkeit seines Inhabers gesehen wird. Schließlich
wäre bei einer damals verfügten Entziehung des Doktorgrads auch
der Anspruch auf Resozialisierung zu beachten, der nach angemessenem Zeitablauf
einen Anspruch auf Wiedereinräumung des entzogenen Doktorgrads gewährt.
Das Ergebnis solcher Überlegungen führte dazu, daß die Entziehung
des Doktorgrades aus heutiger Sicht nicht zu vertreten ist.
6. August 1996
gez. Helmut Neuhaus
Kontakt:
Prof. Dr. Helmut Neuhaus, Vorsitzender des Promotionsausschusses der Philosophischen
Fakultäten I und II, Lehrstuhl Neuere Geschichte I, Kochstraße
4, 91054 Erlangen,
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