Krebsforschung:
Wilhelm Sander-Stiftung fördert FAU-Projekt

Modell für die Wachstumsregulation bei Plasmazellen

 
Die fortschreitende Zerstörung von Knochensubstanz ist charakteristisch für eine gefährliche Erkrankung des Knochenmarks, der unkontrollierten Vermehrung von Plasmazellen. Trotz intensiver therapeutischer Bemühungen haben Plasmazelltumoren noch immer langfristig eine ungünstige Prognose. Die Wilhelm Sander-Stiftung fördert ein Forschungsprojekt, das die Mechanismen der Wachstumsregulation bei malignen Plasmazellerkrankungen weiter klären soll, um so die Basis für neue, erfolgversprechende Therapien zu legen. Das Projekt wird von Prof. Dr. Martin Gramatzki an der Abteilung für Hämatologie und Onkologie, Medizinische Klinik III (Direktor: Prof. Dr. Joachim R. Kalden), der Universität Erlangen-Nürnberg geleitet.
 
Plasmazellen, eine Unterart der B-Lymphozyten, sind Teil des Immunsystems. Eine Plasmazelle bildet stets nur eine Art von Antikörper. Die normale Vielfalt an Plasmazellen ermöglicht ein breites Spektrum an Antikörpern und somit eine breit gefächerte Immunantwort. Bei Plasmazelltumoren gewinnt nun ein Zellklon die Oberhand und "überflutet" das Knochenmark. Zu einer erhöhten Infektionsgefahr kommen typischerweise Knochendefekte, die durch den Abbau von Knochensubstanz entstehen. Neben den so zu erklärenden Knochenschmerzen und der geschwächten Immunantwort kann es durch die monoklonale Immunglobulinproduktion zu einer Reihe weiterer Beschwerden kommen.
 
Die im Knochenmark vorherrschenden Bedingungen scheinen besonders geeignet, das Tumorzellwachstum zu unterstützen. So setzen die Stützzellen des Knochenmarks eine Reihe von löslichen Faktoren frei, die Myelomzellen fördern. Da Plasmazelltumoren häufig an verschiedenen Stellen im Knochenmark auftreten, wird die Erkrankung als Multiples Myelom (MM) bezeichnet.
 
 
Zentrale Rolle von Interleukin 6
Ein wohl zentraler Faktor für das Myelomzellwachstum ist die Substanz Interleukin (IL)-6. Die genaue Rolle von IL-6 bei der Tumorentstehung und die Beteiligung weiterer Botenstoffe (Zytokine) an diesem Prozeß sind jedoch noch nicht ausreichend verstanden. Vieles deutet auf sehr komplexe Regulationsmechanismen hin, wobei mehrere Wachstumsfaktoren in einem Netzwerk gleichzeitig wirken können. Neben seiner Funktion als Myelomzellwachstumsfaktor ist IL-6 auch verantwortlich für die Entstehung tumorbegleitender Symptome.
 
Eine Heilung dieser schweren Erkrankung verspricht derzeit nur die Knochenmarktransplantation. Als interessante Alternative erscheinen immunologische und molekularbiologische Ansätze zur Tumorbekämpfung. Zukünftige Therapiestrategien für maligne Plasmazellerkrankungen könnten sich gezielt gegen wachstumsfördernde Zytokine und insbesondere gegen IL-6 wenden. Monoklonale Antikörper gegen IL-6 wurden schon therapeutisch eingesetzt und führten zu einer gewissen, nur vorübergehenden, Hemmung des Myelomzellwachstums. Die Entwicklung neuer Therapieformen erfordert aber geeignete Tiermodelle für präklinische Tests. Die Etablierung solch eines Tumormodells in der SCID-Maus, die sich infolge ihrer erblichen Immunschwäche ganz besonders für die Transplantation von Zellen artfremder Lebewesen eignet, ist ein Ziel des Projekts.
 
Mit Hilfe zweier im Labor von Prof. Gramatzki generierter und gut charakterisierter humaner Myelomzellinien ist es der Arbeitsgruppe gelungen, durch Injektion dieser Zellen in SCID-Mäusen Tumoren zu erzeugen. Eine dieser Zellinien ist strikt von IL-6 abhängig. Erstmals wurde hiermit ein Tiermodell mit Myelomzellen errichtet, die IL-6 zum Überleben benötigen, was die Untersuchungen zur Wachstumssteuerung von Plasmazelltumoren durch Zytokine wesentlich voranbringen wird. Erste Ergebnisse konnten auf dem 38. Kongreß der Amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie im Dezember 1996 bereits präsentiert werden. Ein solches dem humanen System in wesentlichen Komponenten angenähertes SCID-Mausmodell erlaubt zudem die Austestung therapeutischer Substanzen, z. B. von Corticosteroiden oder Zytostatika, aber auchvon Interferon-a und -g und weiteren Zytokinen. Innovative Therapiestrategien mit monoklonalen Antikörpern, zytotoxischen Immunkonjugaten oder Zytokinantagonisten sollen ebenfalls geprüft werden.
 
Eine Zusammenarbeit mit Prof. Gennaro Ciliberto, Istituto di Ricerche di Biologia Molecolare, Rom, besteht hinsichtlich therapeutischer Möglichkeiten mit IL-6-Rezeptorantagonisten. Diese gegenüber dem natürlichen IL-6 nur geringfügig veränderten Moleküle haben die Eigenschaft, mit ungleich höherer Affinität als das natürliche Zytokin an ihre Rezeptoren auf der Zelloberfläche zu binden. Im Gegensatz zum natürlichen IL-6 ist die Signalvermittlung in die Zelle jedoch gestört.
 
Ein zweites Ziel des Forschungsvorhabens ist die Charakterisierung von Komponenten, die an der Signalübermittlung durch IL-6 bei humanen Plasmazellen beteiligt sind. Diese Arbeiten finden in Kooperation mit Prof. Georg Fey und Dr. Gertrud Hocke am Lehrstuhl für Genetik der FAU statt. Bessere Kenntnisse der intrazellulären Signalkaskade könnten ebenfalls zu neuen Therapieansätzen führen, die nicht nur IL-6, sondern alle relevanten Zytokine der IL-6-Familie hemmen könnten.
 
 
Kontakt:
Prof. Dr. Martin Gramatzki, Dr. Renate Burger, Abteilung Hämatologie/Onkologie,
Medizinische Klinik III, Krankenhausstr. 12, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/85 -39108,
Fax: 09131/85 -34770
 
 
Mediendienst FORSCHUNG Nr. 495 vom 8.10.1997

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Stand 8.10. 997