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- Ausland: DFG
fördert FAU-Projekt
Umwandlung kollektiver Betriebsformen in
Rußland:
Etikettenwechsel oder Strukturwandel?
- Was wird im heutigen Rußland als
öffentlich, was als privat angesehen? Wie verläuft
die Grenzlinie zwischen Politik und Verwaltung einerseits und
Wirtschaft auf der anderen Seite? Welcher Einflußbereich
ist dem Staat vorbehalten, und wo soll der Markt die Steuerung
übernehmen? Zerstörung oder Wandel alter Strukturen
und den Aufbau eines Netzes von neuen Bezugspunkten, an denen
sich frühere Sowjetbürger mittlerweile im täglichen
Leben orientieren können, verfolgt Dr. Peter Lindner vom
Erlanger Institut für Geographie in landwirtschaftlich geprägten
Gebieten Rußlands, die als beispielhaft herangezogen werden
können. Daß Strukturen aus der Zeit des Sozialismus,
wenn auch vielleicht unter neuem Namen verborgen, weiterhin eine
wichtige Rolle spielen, brachten während der Vorbereitungsreisen
geführte Interviews bereits klar zum Ausdruck.
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- Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die
Hinwendung zur Marktwirtschaft in der Russischen Föderation
stellen etablierte räumliche Beziehungsgefüge auf allen
Maßstabsebenen in Frage. Administrative Grenzen werden
neu gezogen, Migrationsmuster ändern sich, neue wirtschaftliche
Verflechtungen werden etabliert, und bislang gängige Vorstellungen
von "öffentlichen" und "privaten" Räumen
verlieren ihre Gültigkeit.
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- Alltag im Kollektiv
- In ländlichen Regionen gehen dabei vor
allem von der Umwandlung der ehemaligen Kollektivbetriebe in
Aktiengesellschaften, Genossenschaften und privatbäuerliche
Unternehmen weitreichende Wirkungen aus, da diese nicht nur "Produktionsstätten"
waren, sondern in erheblichem Maße auch Infrastruktur und
Sozialleistungen bereitstellten. Kindergärten, Schulen,
Ambulanzstationen sowie Straßen und Wohnungen waren ohne
die Mithilfe der Kolchosen und Sowchosen von den Gemeindeverwaltungen
alleine nicht zu unterhalten. Die Kollektivbetriebe strukturierten
deshalb in entscheidender Weise den Alltag der Bevölkerung
in ländlichen Regionen Rußlands, und ihre Auflösung
bzw. Umwandlung hat weitreichende Folgen für das soziale
Leben in den Dörfern.
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- Diese Folgen, neu auftretende Probleme ebenso
wie Chancen, stehen im Zentrum des Projektes. Dabei wird davon
ausgegangen, daß "räumliche Beziehungen"
und die Definition von "Räumen" - wirtschaftliche
und politisch-administrative Grenzziehungen ebenso wie das Verhältnis
von "öffentlicher" zu "privater" oder
"staatlicher" zu "marktwirtschaftlicher"
Sphäre - eng mit dem sozialistischen System von Herrschaft,
Legitimation und Symbolik verbunden waren und zum Teil noch immer
sind.
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- Die Akteure der Umstrukturierungen beziehen
sich auf diese drei Aspekte sozialer Institutionen. Ihre Handlungsstrategien
sowie der zirkuläre Prozeß der "Definition von
Räumen als Kontexte für soziale Interaktion" und
der rückwirkenden "Stabilisierung von Räumen und
sozialen Strukturen durch diese Interaktion" bilden neben
den unmittelbaren "Folgen" der Umbruchssituation den
zweiten Untersuchungsschwerpunkt.
- Beides soll anhand ausgewählter Dörfer
und landwirtschaftlicher Betriebe im europäischen Teil Rußlands
in erster Linie mit qualitativen Methoden empirischer Sozialforschung
untersucht werden. Übergeordnetes Ziel ist es damit, von
der Grundlage eines nicht-objektivistischen Raumbegriffes aus
einen Beitrag zur Transformationstheorie zu leisten.
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- Das Projekt wurde im wesentlichen im Lauf
des Jahres 1999 konzipiert. Zwei Vorbereitungsreisen im April
und im August dienten dazu, mit der derzeitigen Situation im
ländlichen Raum sowie mit von Moskau aus durchgeführten
Forschungsprojekten vertraut zu werden, Kooperationspartner zu
finden und die Rahmenbedingungen für Feldforschungen in
Regionen zu prüfen, die als Beispiel in Frage kamen.
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- Im Dezember 1999 wurde das Vorhaben von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft in Form eines 18-monatigen Habilitandenstipendiums
sowie einer begleitenden Sachmittelförderung in Höhe
von 22.000 Mark bewilligt. Es wird in Kooperation mit der "Moscow
School of Social & Economic Sciences" durchgeführt
und läuft von März 2000 bis Februar 2002.
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- · Kontakt:
Dr. Peter Lindner, Institut für Geographie
Kochstraße 4/4, 91054 Erlangen
Tel.: 09131/85 -22006
E-Mail: plindner@geographie.uni-erlangen.de
Internet: http://www.msses.co.ru/
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- Mediendienst FORSCHUNG Nr. 576 vom 29.5.2000
Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
pressestelle@zuv.uni-erlangen.de
Stand 26.5.2000