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- Zellbiologie: Dreidimensionale
funktionsfähige Zellkulturen
Herzschlag in der Petrischale
- Beim Blick in die Schale zeigt sich rhythmische
Bewegung, ein schnelles, pulsierendes Zucken. Wie ein feines
Netz zwischen zwei Röhrchen aufgespannt, ist dort ein Verband
hochspezialisierter Zellen an der Arbeit. Das dreidimensionale
Gewebe aus Herzmuskelzellen funktioniert in mancher Hinsicht
wie ein Herz in einem lebenden Organismus. Zusammen mit einer
amerikanischen Arbeitsgruppe haben Prof. Dr. Thomas Eschenhagen,
seit Anfang 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Pharmakologie
und Klinische Toxikologie an der Universität Erlangen-Nürnberg,
und seine Mitarbeiter den Versuchsaufbau entwickelt, der künstlich
gezüchtete Zellen zum Schlagen bringt. Dieses Zellkulturmodell
nützt zum einen Forschern, die mehr über Funktionsweise
und Erkrankungen des Herzens in Erfahrung bringen wollen; zum
anderen kann möglicherweise Ersatz für abgestorbenes
Herzgewebe geschaffen werden.
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- Kulturen von Herzzellen werden schon seit
rund 40 Jahren in der medizinischen und pharmakologischen Forschung
eingesetzt. Die Erkenntnisse, die dadurch gewonnen werden können,
sind jedoch begrenzt. Die Kulturbedingungen halten die Zellen
zwar für eine Weile am Leben, haben jedoch mit deren normaler
physiologischer Umwelt wenig gemeinsam. Zellschichten auf Plastikoberflächen
bilden denn auch kein vernetztes Gewebe aus. Die Proteine, die
in den Kulturen fabriziert werden, weichen von dem für Herzmuskelzellen
typischen Muster ab. Zytostatika müssen verhindern, daß
andere Zellarten die Kulturen überwuchern. Die wichtigste
Funktion, die Kontraktionskraft, läßt sich unter derartigen
Verhältnissen nicht messen.
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- Dreidimensionale, zu einer funktionellen
Einheit verbundene Zellkulturen bieten dagegen weit bessere Möglichkeiten
der Einsicht in Prozesse, die in einem Organismus ablaufen. Für
andere Zelltypen - beispielsweise Bindegewebs- und Knochenzellen
- war die künstliche Züchtung solcher Gewebe bereits
zuvor gelungen. Vernetzte Strukturen von Herzmuskelzellen jedoch
erzielte erstmals das Team von Prof. Eschenhagen mit einer 1995
patentierten Methode. Da es sich um Konstrukte handelt, wenn
sie auch aus lebendem Material bestehen, wurde dafür die
Bezeichnung "Engineered Heart Tissues" (EHT) gewählt.
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- Für das Herzmuskel-Modell werden Herzzellen
embryonaler oder neugeborener Versuchstiere in einer Kollagengelmatrix
gezüchtet, einer Nährlösung aus Proteinen des
Stütz- und Bindegewebes. Den Zellen werden jeweils zwei
Silikonröhrchen als "Gerüst" zur Verankerung
angeboten. Sie wachsen und überspannen dabei die Lücke
zwischen den Röhren mit einem Geflecht, das einem von der
Seite gesehenen Kissen ähnelt. Die freien, nach innen gekrümmten
Ränder sind dicht mit Zellen besiedelt, in der Mitte bildet
sich ein eher lockerer Zellverband. Bei einem anderen Versuchsaufbau
entstehen kompakte Zellringe um aufrechtstehende Zylinder.
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- Elektrische Kontakte
- Unter solchen Bedingungen geschieht in der
Kulturschale innerhalb kurzer Zeit Erstaunliches. Die Zellen
bilden Kontakte aus, die elektrische Impulse weiterleiten. Schon
nach ein bis zwei Tagen beginnen Einzelzellen spontan mit der
Kontraktion; ein gemeinschaftlicher Rhythmus stellt sich nach
3 bis 5 Tagen ein. 30 bis 50 Prozent der Zellen formen eindeutig
Fasern einer quergestreiften Muskulatur und erweisen sich dadurch
als ausgereifte, voll differenzierte Herzmuskelzellen. Das spezifische
Expressionsverhalten dieses Zelltyps, die Auswahl unter den im
Gencode gespeicherten Bauanleitungen für Eiweißstoffe,
zeigen sogar bis zu 80 Prozent. Wachstumshemmer, die andere Kulturen
möglichst frei von undifferenzierten Zellen halten sollen,
werden dazu nicht gebraucht. Stattdessen können Serum und
Wachstumsfaktoren zugefügt werden, wie sie im Organismus
zur Umwelt der Zellen gehören.
- Engineered Heart Tissues wurden zunächst
aus Herzzellen von Hühnerembryonen gezüchtet. Vor kurzem
sind weitere Erfolge mit Zellmaterial aus neugeborenen Ratten
erzielt worden. Die künstlichen Gewebe unterscheiden sich
durch Charakteristika, die für intakte Herzen von Ratten
und Hühnern in lebenden Tieren ebenfalls gelten, und bestätigen
dadurch die hohe Ausdifferenzierung des Zelltyps. Ratten-Herzmodelle
schlagen schneller und weniger regelmäßig als die
von Hühnern, aber auch kräftiger: ihre Kontraktion
läßt sich ohne Vergrößerung beobachten.
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- "Schrittmacher" für Zellkulturen
- Mehrere Wochen lang bleiben die künstlichen
Herzgewebe aus eigener Kraft aktiv. Sie können aber auch
elektrisch stimuliert, also an einen "Schrittmacher"
angeschlossen und dann getestet werden. Reproduzierbare Messungen
von Kraft, Frequenz, Bewegungen und Anspannung ohne Ausdehnung
der Muskelfasern sind an diesen Modellen möglich.
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- Gewebe aus schlagenden Herzzellen können
aber auch durch eine Streckvorrichtung gedehnt werden - so wird
ein Herz simuliert, das zunehmender Belastung ausgesetzt ist.
Erst kürzlich erwies sich dabei, daß motorische Dehnung
das künstliche Gewebe zu Wachstum, besserer Vernetzung und
3- bis 5fach verstärkter Kraftentfaltung anregt. Auf molekularer
Ebene bietet sich das Bild einer Hypertrophie, einer "Herzerweiterung".
Die Untersuchungsergebnisse legen nahe, daß zwischen einer
funktionellen Anpassung des Herzens an höhere Last und krankhaften
Prozessen schärfer unterschieden werden sollte.
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- Mittels Adenoviren lassen sich einzelne Gene
einfach und effizient in die dreidimensionalen Zellkulturen einbauen
und in ihrer Funktion untersuchen. Ebenso ist es möglich,
in diesem Modell den Einfluß verschiedener chemischer Wirkstoffe
auf einen komplexen, funktionsfähigen Zellverband zu überprüfen.
So können die "In-vitro-Herzen" an die Stelle
von Versuchstieren treten.
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- Die Patentrechte für das 3D-Herzmodell
hat Prof. Eschenhagen im April 2000 an die MediGene AG übertragen.
Gemeinsam wird nun an einer Miniaturisierung des Systems gearbeitet.
Daneben aber geht die universitäre Forschung weiter. Ein
DFG-gefördertes Projekt am Erlanger Lehrstuhl widmet sich
derzeit Mechanismen der Hypertrophie und Auswirkungen einer Überexpression
von Genen, die bei Herzversagen verändert sind. Neben Prof.
Eschenhagen sind Wolfram Zimmermann, Dr. Oliver Zolk, Ali El-Armouche
und Felix Münzel daran beteiligt.
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- Hilfe nach Herzinfarkt
- Außerdem wird getestet, ob künstliche
Zellverbände als Ersatz für abgestorbenes Herzgewebe
geeignet sind. Da sich das Herz nicht regenerieren kann, geht
körpereigenes Gewebe etwa bei einem Infarkt bisher unwiderruflich
verloren. Für Gewebe- und Organ-Ersatz aus dem Labor hat
das Bundesministerium für Forschung und Technologie im April
dieses Jahres neue Fördermittel zur Verfügung gestellt.
Auch wenn der Weg bis zum Kunstherz noch weit sein mag - die
ersten Schritte sind getan.
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- · Kontakt:
Prof. Dr. Thomas Eschenhagen
Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Klinische Toxikologie
Fahrstraße 17, 91054 Erlangen
Tel.: 09131/85 -22198, -22772, Fax: 09131/85 -22773, -22774
E-Mail: thomas.eschenhagen@ pharmakologie.uni-erlangen.de
- Mediendienst FORSCHUNG Nr. 575 vom 22.5.2000
Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
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Stand 22.5.2000