Ringvorlesung der Philosophischen Fakultät II
Was macht ein Buch zum Kultobjekt

Im schnelllebigen Kulturbetrieb der Gegenwart wird einem Buch in Klappentexten und Feuilletonartikeln gern Kultstatus verliehen. Dies geschieht nicht zuletzt aus absatzfördernden Erwägungen. Was aber macht ein Kultbuch eigentlich aus? Dieser Frage geht die Ringvorlesung “Kultbuch” im Wintersemester 2002/03 jeweils dienstags ab 20.15 nach. Zum Auftakt spricht am Dienstag, 15. Oktober 2002, Prof. Dr. Rudolf Freiburg über “‘I chose not to choose life’: Verweigerungshaltung als Kult in Irvine Welshs Roman Trainspotting”. Eine erste Positionsbestimmung versucht die Podiumsdiskussion im Anschluss an den Eröffnungsvortrag ab ca. 21.00 Uhr mit Rainer Moritz, Verlagsleiter und Programmchef beim Verlag Hoffmann und Campe (Kollegienhaus, Raum 1.011).

Gleich mit seinem ersten Roman “Trainspotting” errang Irvine Welsh 1993 Kultstatus. Die Taschenbuchausgabe von 1994 erreichte allein in den ersten beiden Jahren 16 Auflagen. Zunächst nur einer kleinen Gemeinde von begeisterten Lesern bekannt, avancierte Trainspotting trotz seiner schwierigen Sprache in kürzester Zeit vom Geheimtip zum internationalen Bestseller, der seinen Autor reich und berühmt machte, ihn aber gleichzeitig seiner Glaubhaftigkeit als Kultautor beraubte. Spätestens mit der Verfilmung des Stoffes erlangte “Train-spotting” so große Popularität, dass der Romantitel zum Markennamen wurde, mit dem sich Poster, Kaffeetassen, Sticker, T-Shirts und dergleichen mehr hervorragend verkaufen ließen. In seinem Vortrag fragt Prof. Freiburg nach den Gründen für den Kultstatus des Buches und verfolgt die paradoxe Auf- bzw. Abwertung des Kultbuches “Trainspotting” zum internationalen Bestseller. Der gleichsam "rituelle" Ort des Kultbuches ermöglichte es auch einem bürgerlichen Publikum, auf eine im Buch beschriebene Lebenswelt fern der eigenen Erfahrung mit einer Mischung aus Faszination und Grauen zu reagieren. Dies leitet über zu der Frage, in welcher Weise das Kultbuch “Trainspotting” einen Beitrag zur “Kultur” der Gegenwart leistet.

Die Beobachtungen von Prof. Freiburg dienen als Einstieg für die anschließende Podiumsdiskussion mit dem Verlagsleiter Rainer Moritz, der in der Kultbuchdiskussion mit streitbaren Thesen (“Darüber wurde schon alles gesagt, denkt man. … Andererseits: Vielleicht sind Kultbücher ja überhaupt blöd”) deutlich Position bezogen hat.

Interdisziplinäre Referentenriege
In der Ringvorlesung behandeln die Erlanger Referenten aus Anglistik, Amerikanistik, Buchwissenschaft, Germanistik, Orientalistik, Romanistik, Slavistik und Theologie ältere und neuere Texte aus verschiedenen Nationalliteraturen. Das Spektrum reicht von der Bibel als dem “Buch der Bücher” bis zu “Tausendundeine Nacht”, von Rilkes “Cornett” bis zu Michel Houellebecqs “Elementarteilchen” oder Irvine Welshs “Trainspotting”. Immer geht es dabei um die Bestimmung der Faktoren, die aus einem Buch ein Kultbuch machen. Auf dem Prüfstand stehen rezeptions- und produktionsästhetische sowie soziale, ökonomische oder politische Rahmenbedingungen. Und schließlich bleibt der schmale Grat zwischen Kult und Kommerz, der einer genaueren Betrachtung zu unterziehen ist. Das ausführliche Programm mit Inhaltsangaben zu den jeweiligen Vorträgen findet sich unter www.kultbuch.phil.uni-erlangen.de.

Die Vorträge im Überblick
jeweils dienstags, 20.15 Uhr (Kollegienhaus Raum 1.011)

15.10.02: Prof. Dr. Rudolf Freiburg (Institut für Anglistik und Amerikanistik)
"I chose not to choose life": Verweigerungshaltung als Kult in Irvine Welshs Roman Trainspotting
anschließend: Podiumsdiskussion mit Herrn Dr. Rainer Moritz, Verlag Hoffmann und Campe und weiteren Gästen

22.10.02: Dr. Holger Helbig (Institut für Germanistik)
Echte Jeans, edle Kerle, realer Sozialismus. Über Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. und den feinen Unterschied zwischen Erfolg und Kult

29.10.02: Prof. Dr. Theo Elm (Institut für Germanistik):
"Kult der Langsamkeit" (Peter Handke, Hermann Lenz, W.G. Sebald, -Sten Nadolny)

05.11.02: Dr. Claudia Ott (Institut für Außereuropäische Sprachen und Kulturen)
Tausendundeine Nacht als Kultbuch der arabischen Literatur

12.11.02: Prof. Dr. Doris Feldmann (Institut für Anglistik und Amerikanistik)
Der Jane Austen-Kult der 1990er Jahre

19.11.02: Prof. Dr. Gunnar Och (Institut für Germanistik):
"Der Cornet im Tornister" - zur Rezeption literarischer Kultbücher

26.11.02: Dr. Christine Ivanovic (Institut für Germanistik):
Abschied vom Buch? (Der Kult um) Lulu in anderen Medien

03.12.02: Dr. Markus May (Institut für Germanistik):
Die Aktualität des Mythischen und der "Absolutismus der Wirklichkeit": Hans Blumenbergs Arbeit am Mythos

10.12.02: Prof. Dr. Titus Heydenreich (Institut für Romanistik):
Gabriel García Márquez: Cien años de soledad (1967)

17.12.02: Prof. Dr. Dieter Petzold (Institut für Anglistik und Amerikanistik):
Kult oder Kommerz? Die Harry-Potter-Bücher an der Scheidelinie zwischen Bestseller und Kultbuch

07.01.03: Prof. Dr. Elisabeth von Erdmann (Institut für Slavistik):
Kult des Dichtens - Kultbuch? Die polnische Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska und ihr Leser

14.01.03: Prof. Dr. Martin Nicol (Institut für Praktische Theologie):
Buchkult. Die Heilige Schrift und die Kultur des Lesens

21.01.03: Prof. Dr. Ursula Rautenberg (Institut für Buchwissenschaft)
Der Kult um das Buch. Ein Streifzug durch die Geschichte uneigentlicher Buchnutzung

28.01.03: Prof. Dr. Helmbrecht Breinig (Institut für Anglistik und Amerikanistik):
Zweimal Independence Day: Nationale Mythen und Symbole der USA und die Erfolge von Richard Fords Roman und Roland Emmerichs Film

04.02.03: PD Dr. Roland Spiller (Institut für Romanistik):
Sex, Lust und Depression. Michel Houellebecqs elementare Energien
 

Weitere Informationen

Prof. Dr. Ursula Rautenberg
Tel: 09131/ 85- 24700
ursula.rautenberg@buchwiss.uni-erlangen.de


Prof. Dr. Rudolf Freiburg
Tel.: 09131/85 -22434
rffreibu@phil.uni-erlangen.de


Mediendienst FAU-Aktuell Nr. 2941 vom 7.10.2002


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