Neurochirurgie in neuer Dimension
 

Mehr Sicherheit und Präzision bei Operationen am Gehirn

 
"Neurochirurgie in einer neuen Dimension" - so bewerten Fachkollegen eine Innovation, die die Neurochirurgische Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg (Direktor Prof. Dr. Rudolf Fahlbusch) Mitte Juli 2002 der Öffentlichkeit vorstellte. Ein 1,5 Tesla MR - Gerät, das direkt im Operationssaal steht, liefert Bilder des Gehirns in einer bisher nicht bekannten Qualität. Die Kombination dieses "Hochfeld - MR" mit der hier bereits etablierten Methode der "funktionellen Neuronavigation", die den Operateur präzise ins Zielgeblet führt, ist weltweit einmalig.
 
Der Operateur kann so zum Bespiel innerhalb weniger Minuten überprüfen, wie weitgehend ein Tumor entfernt wurde. Ist die Resektion nicht vollständig, kann er den aktuellen Bilddatensatz verwenden, um sofort letzte, im Gehirn verbliebene Tumorreste aufzusuchen und zu entfernen. Der Zeitaufwand dafür ist gering. Doch die Sicherheit und Radikalität des Eingriffes können so deutlich erhöht werden. Bislang wurden 30 Patienten operiert. Auch das ist sicher einmalig, denn kein anderes Zentrum auf der Welt kann wie die Erlanger Gruppe alle Methoden einsetzen, die dazu erforderlich sind.
 
Zwar steht in fünf Zentren weltweit ein derartiges, hochauflösendes Gerätdirekt im Operationssaal. Doch auch die einzig vergleichbare Einrichtung in den USA verfügt noch nicht über die Einrichtungen zur "funktionellen Neuronavigation", die 1994 in Erlangen vorgestellt und seither konsequent weiter entwickelt wurde. Gerade sie bietet dem Operateur aber die Sicherheit, bei dem Eingriff kritische Regionen wie das Sprach- oder Bewegungszentrum zu umgehen.
 
Um diese funktionell wichtigen Areale nicht zu schädigen, werden sie in Erlangen schon vor der Operation exakt lokalisiert und in dem dreidimensionalen Bild des Gehirns genau markiert. Das ist nicht immer einfach, denn die Lage dieser kritischen Regionen variiert bei jedem Patienten. Sind die Daten aller bildgebenden Verfahren im Computer, kann der Operateur schon vor dem Eingriff den optimalen Weg zum Tumor festlegen. Während des Eingriffes sieht er im Okular des Mikroskops genau, ob er sich auf dem vorausberechneten Weg befindet. Jede Abweichung wird ihm sofort angezeigt.
Prof. Fahlbusch, Direktor der Neurochirurgischen Klinik, und seinTeam operieren krankhafte Prozesse am Gehirn seit 1995 mit diesen neuen Technologien. Doch wie die wenigen weltweit existierenden, vergleichbaren Einrichtungen verfügte das bisher auch in Erlangen im Einsatz befindliche "Open-MR" nur über eine geringe Feldstärke von 0,2 Tesla. Daher mussten immer wieder Kompromisse bei Bildqualität und Handling des Systems in Kauf genommen werden. Das war der Anstoß zur Planung der neuen Einheit, die mit 1,5 Tesla eine deutlich höhere Auflösung ermöglicht.
 
"Der für den Patienten wichtigste Aspekt ist ohne Frage", so Prof. Fahlbusch, "dass wir in Erlangen jetzt ohne großen Zusatzaufwand schon während der Operation schneller und mit höherer Sicherheit feststellen können, ob ein Tumor bereits vollständig entfernt wurde oder ob eine Nachresektion die Radikalität des Eingriffes erhöhen kann. Wir können jetzt noch schonender und effektiver operieren."
 
Doch auch im technischen Bereich hat sich viel verändert. Musste der Patient früher zur Untersuchung in Narkose vom OP-Saal in den benachbarten MR-Raum gefahren werden, kann der OP-Tisch jetzt innerhalb weniger Augenblicke in das Gerät geschwenkt werden. Auch diese Lösung, die in Zusammenarbeit mit dem Universitätsbauamt und der Firma Siemens erstellt wurde, erhöht die Sicherheit und Effizienz der Operation. Voraussetzung dafür war die Kombination eines neuen schwenkbaren OP-Tisches mit dem eigentlichen Hochfeldmagneten.
 
Dass dieser Schritt vom Zwei-Raum-OP zu dem Konzept eines ganzheitlich strukturierten Integrations-OP's, der alle heute vorhandenen Möglichkeiten und auch neue zukünftige Entwicklungen problemlos integrieren kann, nicht einfach war, ist klar. Doch dieser Schritt in die Zukunft war erforderlich, um die enormen Möglichkeiten effektiv zu nutzen, die die Bildgebung in Verbindung mit der funktionellen Neuronavigation bietet. Diese Entwicklungsarbeit wird in den nächsten Jahren allen Kliniken weltweit zugute kommen. Denn sie können auf den Erfahrungen und Ergebnissen der Erlanger Gruppe aufbauen.
 
Perspektiven
Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die bereits eine Reihe von Programmen der Erlanger Neurochirurgischen Klinik fördert, sieht das neue Projekt als Investition in die Zukunft. Für sie wie die daran beteiligten Firmen Siemens Medical Solutions, Zeiss und BrainLab waren die Kombination mehrerer verfügbarer Techniken und der interdisziplinäre Ansatz den Erlanger Neurochirurgen wichtige Argumente dafür, dieses Projekt in Erlangen anzusiedeln. Es deckt wichtige Bereiche des großen Forschungsbedarfs in einem Gebiet ab, das nicht nur für die Neurochirurgie, sondern für die gesamte computerassistierte Chirurgie eminent wichtig ist.
 
Für die Forschung bietet dieser Bereich viele wichtige Perspektiven. Ein Forschungsansatz ist, ob sich mit Hilfe der Spektroskopie Tumorgewebe besser von gesundem Gewebe unterscheiden lässt. Auch die Verbindung morphologischer und funktioneller Parameter eröffnet ganz neue Möglichkeiten der intraoperativen Diagnostik.
 
So werden die Erlanger Forscher vielleicht bald ganze Funktionseinheiten - wie die sogenannte Pyramidenbahn, in der alle für die Bewegung der Extremitäten wichtigen, motorischen Einheiten zum Rückenmark geleitet werden, auch während der Operation in ihrem Verlauf darstellen können. Das bietet nicht nur interessante, neue Perspektiven für die Forschung, es erhöht die Präzision des Eingriffes ebenso wie die Identifikation des Sprach- oder Bewegungszentrums, die heute schon durchgeführt werden kann.
 
"Wir wollen" - so Prof. Fahlbusch - "erreichen, dass jede Option, die die Sicherheit des Eingriffes erhöht, nicht nur im Bereich der Forschung genutzt wird. Für unsere Patienten ist entscheidend, dass alle unsere Ergebnisse rasch in die klinische Praxis Eingang finden und weltweit verfügbar sind; denn wenn wir Tumoren mit einem System wie diesem schonender und zugleich radikaler operieren können, bedeutet das für unsere Patienten mehr Lebensqualität und Lebenszeit."
 
Diese Idee, alle neuen Technologien auch im Operationssaal nutzbar zu machen, wird durch das im Jahr 2000 gegründete Neurozentrum der Universität Erlangen-Nürnberg unterstützt. In dieser interdisziplinären Einrichtung arbeiten Mediziner, lnformatiker und Ingenieure aus der Medizinischen und Technischen Fakultät eng zusammen. Über dieses Zentrum ist die Neurochirurgische Klinik auch mit allen führenden Kliniken und Forschungsinstituten, die auf dem Gebiet der minimal invasiven, funktionell orientierten Neurochirurgie arbeiten, vernetzt.
 
Weitere
Informationen
Prot Dr. Rudolf Fahlbusch
Tel.: 09131/85 -34565

Mediendienst FAU-Aktuell Nr. 2866 vom 12.7.2002

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