Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät


Euro-Preise: Schwarzer Peter zu Unrecht beim Handel


In den letzten Wochen wurden teilweise massive Vorwürfe an den deutschen Einzelhandel erhoben, er nutze die Währungsumstellung zum Euro zu versteckten Preiserhöhungen. Trotz gegenteiliger Befunde der AgV und des Statistischen Bundesamtes gehen diese Vorwürfe weiter. Verbraucher kennen und nennen Beispiele, mit denen belegt werden soll, dass der Handel sich am Euro bereichere. Und auch die Boulevardpresse erhebt immer wieder Anklage. Doch eine neue, breit angelegte Studie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg (Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre insbesondere Marketing, Prof. Dr. Hermann Diller) entlastet den Einzelhandel erneut: Von insgesamt 1213 im November 2001 und Februar 2002 überprüften Artikeln wurden nur 8,6% erhöht, aber 19,8% gesenkt. Die Preiserhöhungen betrugen im Durchschnitt (mit insgesamt eher wenigen Ausreißern nach oben) 11,03%. Die weitaus meisten Preisänderungen lagen im Bereich +/- 5% und stellten vermutlich eher Preisrundungen dar.
 
Beim untersuchten Warenkorb handelt es sich um typische Artikel des kurzfristigen Bedarfs, und zwar Lebensmittel (Molkereiprodukt, Getränke, Trocken- und Tiefkühlwaren) ebenso wie Nonfood-Produkte (Drogerie- und Schreibwaren,

Putz-, Wasch- und Reinigungsmittel), aber auch langlebige Gebrauchsgüter wie Textilien, Elektrogeräte, Bett- und Spielwaren, Sport-, Foto- und Musikartikel. Die Artikel wurden jeweils in verschiedenen Betriebsformen des Handels, allerdings nur in einer Marktregion (Mittelfranken, Stadt- und Landbezirke) durch persönliche Begehung der Geschäfte erhoben. In der Studie nicht erfasst wurden Dienstleistungen, denen in der öffentlichen Diskussion oft eine besonders unrühmliche Rolle bei der Euro-Umstellung zugeschrieben worden war. Sie werden aber überwiegend nicht vom Einzelhandel, sondern von speziellen Dienstleistungsunternehmen (Gastronomie, Unterhaltung, Versorgung etc.) angeboten.
 
Aufschlussreich sind die in der Studie vorgenommenen Untergruppenbetrachtungen über die Preisentwicklung, die z.B. zeigen, dass bestimmte Betriebsformen des Handels (z.B. Discounter) die Preise häufiger veränderten als andere (z.B. SB-Warenhäuser). Überproportional viele Preiserhöhungen gab es ferner bei niedrig- bzw. mittelpreisigen Artikeln, während bei höherpreisigen oft großzügig abgerundet wurde. Auch die außerhalb des Lebensmittelhandels (Fachgeschäfte, Warenhäuser etc.) erhobenen Preise für langlebige Gebrauchsgüter wurden überdurchschnittlich gesenkt.
 
Die Vermutung, dass viele der beobachteten Preise schon vor der ersten Preiserhebung im November angehoben wurden, konnte nur annäherungsweise über die damals gültigen Euro-Preise (Doppelpreisauszeichnung oder nachträglich berechnet) geprüft werden. Dabei zeigt sich, dass schon Ende 2001 eine Reihe von Euro-Preisen "verdächtig" kalkuliert waren, nämlich mit Preisendungen auf 9 (18,6%), 5 (20,2%) oder 0 (13,3%), die sich bei der üblichen DM-Kalkulation mit der Endziffer 9 nicht ergeben dürften.

Warum die Preisvorwürfe an den Handel trotz der objektiv keineswegs dramatischen Lage nicht verstummen, lässt sich nach den Ergebnissen der Studie daher nur psychologisch erklären: Vermutlich werden negative Einzelerfahrungen vorschnell generalisiert, weil dies dem gängigen Klischee vom Euro als "Teuro" (selbstverstärkender Aufmerksamkeitseffekt) entspricht und auf einer stark selektiven Wahrnehmung von Negativbeispielen beruht: Der "Schmerz" über Preis-Benachteiligungen ist größer als die Freude über Preisvorteile ("Besitzstandseffekt"). Der Schwarze Peter des Euro-Preistreibers liegt derzeit zu Unrecht beim Einzelhandel.
 
Weitere Befunde enthält der am Lehrstuhl gegen 20 EUR abrufbare Studienbericht (Fax 0911-5302-210).
 
Weitere
Informationen
Prof. Dr. Hermann Diller
Tel. 0911-5302-214
E-Mail: diller@wiso.uni-erlangen.de
 
Mediendienst FAU-Aktuell Nr. 2747 vom 9.4.2002

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