Erste Ergebnisse einer neuen Analysemethode in der Umweltmedizin
“Weichmacher” hinterlässt Spuren im Körper
Ob ein potentiell schädlicher Stoff die Gesundheit des Menschen bedroht,
lässt sich ohne den Nachweis der Konzentration im menschlichen Organismus
nicht sagen. Das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der
Universität Erlangen-Nürnberg (Direktor: Prof. Dr. Hans Drexler) hat einen
Durchbruch auf diesem Gebiet zu verzeichnen. Unter der Leitung von Prof. Dr.
Jürgen Angerer ist es erstmals gelungen, einem allgegenwärtigen und als
gefährlich eingestuften “Weichmacher”, der unter anderem die
Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen kann, anhand von
Stoffwechselprodukten auf die Spur zu kommen, die im menschlichen Körper
gebildet werden. Die erste Anwendung der neuen Untersuchungsmethode stimmt
bedenklich: in einer Testgruppe wies ein Drittel der Personen Dosen der
Substanz auf, die deren Vorsorgewert überschreiten.
Diethylhexylphthalat (DEHP) gehört zur Stoffklasse der Phthalate, die
Kunststoffen ihre Elastizität verleihen. Im Alltag einer modernen
Gesellschaft sind solche Weichmacher überall zu finden. Haushaltsgeräte,
Lebensmittelverpackungen, Kunststoffbeläge, Körperpflegeprodukte,
Lösungsmittel - die Liste der Gegenstände, die Phthalate enthalten, ließe
sich lange fortsetzen. Bei weitem der wichtigste Kunststoff-Weichmacher ist
DEHP. Allein in Deutschland werden jährlich etwa 250.000 Tonnen produziert.
Von höchster umweltmedizinischer Bedeutung ist dies, weil DEHP unter den
Phthalaten auch die größte toxische Wirksamkeit aufweist. Besonders
ausgeprägt sind die hormonähnlichen Wirkungen. Das US-amerikanische Centre
for the evaluation of risks to the human reproduction (CERHR) stuft DEHP als
"ernsthaft bedenklich für die menschliche Fortpflanzung" ein. Vor allem die
Fortpflanzungsfähigkeit von Männern kann gefährdet sein. Außerdem hat die
Deutsche Forschungsgemeinschaft dem DEHP in diesem Jahr bescheinigt, dass es
das Krebswachstum begünstigt.
Die Frage nach der Gesundheitsgefährdung durch DEHP kann aber nur
beantwortet werden, wenn man weiß, wie viel der Mensch von dieser Substanz
aufnimmt. Allein die Dosis macht eine chemische Substanz zum Gift. Bisher
war es nicht möglich, diese Substanzen oder ihre Stoffwechselprodukte im
menschlichen Körper störungsfrei zu bestimmen. Da Phthalate überall
auftreten, sind Verunreinigungen der Proben schwer zu vermeiden. Um zu
klären, welche Phthalatmengen im menschlichen Körper tatsächlich anzutreffen
sind, förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Forschungsvorhaben an
dem Erlanger Institut. Holger Koch, Doktorand des Instituts für Arbeits-,
Sozial- und Umweltmedizin und staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker, hat
das Projekt mit großem Erfolg bearbeitet.
Gelöst wurde die diffizile Aufgabe, indem im menschlichen Urin
Stoffwechselprodukte des DEHP erfasst wurden, die erst im Organismus
entstehen. Diese Produkte können nicht "von außen" in die Urinproben
gelangen, was falsche Ergebnisse ausschließt. Allerdings war es für diese
Vorgehensweise nötig, solche Metaboliten zunächst im Labor herzustellen. Die
Synthese der Stoffwechselprodukte ist im Rahmen des Forschungsprojekts
ebenfalls zum ersten Mal gelungen.
Kinder besonders gefährdet ?
Mit Hilfe der Standardsubstanzen und unter Einsatz einer neu erarbeiteten
analytischen Methode sind 85 Personen aus der Allgemeinbevölkerung
untersucht worden. Für ein Drittel der Untersuchten wurden DEHP-Mengen
festgestellt, welche die so genannte reference dose (RfD) überschreiten. Die
Referenzdosis ist ein von der Umweltbehörde der USA aufgestellter Wert, der
aus Gründen der gesundheitlichen Vorsorge nicht überschritten werden sollte.
“Dieses umweltmedizinische Ergebnis verdient um so mehr Beachtung, als damit
zu rechnen ist, dass manche Bevölkerungsgruppen, darunter vor allem Kinder
und Kleinkinder, noch größere DEHP-Mengen aufnehmen”, konstatiert Prof.
Angerer. Gleiches gilt für Dialysepatienten, Plasmaspender und alle, die
besonders intensiven Kontakt mit Kunststoffen haben.
Auf der Tagung der "Gesellschaft für Hygiene und Umweltmedizin" und der
"International Society for Environmental Medicine" Ende September 2002 in
Greifswald hat Projektbearbeiter Holger Koch die Untersuchungsergebnisse
vorgestellt. Der uneingeschränkten Aufmerksamkeit der versammelten
umweltmedizinischen Sachverständigen konnte er dabei sicher sein.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Jürgen Angerer
Tel.: 09131/85-2 6131
angerer@asumed.med.uni-erlangen.de
Mediendienst FORSCHUNG Nr. 640 vom 21.10.2002
Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit (Pressestelle)
pressestelle@zuv.uni-erlangen.de