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- Gesellschaft: Analyse von Protokollen der
Schwangerschaftskonfliktberatung in Nürnberg
Ausweg oder Abbruch?
- Die Einrichtungen, die in der Stadt Nürnberg
zur Schwangerschaftskonfliktberatung zur Verfügung stehen,
können das Spektrum verschiedener Bedürfnisse der Rat
suchenden Frauen abdecken. Dies kann aus einer systematischen
Inhaltsanalyse aller Beratungsprotokolle des Jahres 1998 geschlossen
werden, der sich Dr. Reinhard Wittenberg am Lehrstuhl für
Soziologie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät
angenommen hat. Zwischen deutschen und ausländischen Frauen
sind sowohl in der Motivation als auch im Ablauf der Beratung
Unterschiede feststellbar.
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- Wenn eine Frau, von medizinisch indizierten
Gründen abgesehen, keinen anderen Ausweg sieht, als eine
ungewollte Schwangerschaft zu beenden, muss sie sich der Beratung
einer staatlich anerkannten Konfliktberatungsstelle unterziehen.
Jedes derartige Beratungsgespräch muss nach einem vorgegebenen
Schema protokolliert werden.
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- Die 1.820 Beratungsprotokolle des Jahres
1998 aus den Nürnberger Einrichtungen der Caritas (die inzwischen
keine Beratungsscheine mehr ausstellt), der evangelischen Stadtmission,
dem Gesundheitsamt, dem Zentrum Kobergerstraße und Pro
Familia bildeten die Grundlage für die Studie. Eine frühere
Untersuchung am Nürnberger Lehrstuhl für Soziologie
anhand von Protokollen des Gesundheitsamts aus drei Jahren hatte
sich darauf konzentriert, die wichtigsten Motive für den
Abbruchwunsch herauszufiltern und Zielgruppen für vorbeugende
Aufklärungs- und Beratungsgruppen zu definieren. Diesmal
war das Interesse mehr auf Unterschiede zwischen den Beratungsstellen
gerichtet.
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- Untersucht wurde, ob verschiedene Beratungszentren
jeweils ihr abgrenzbares Klientel haben, ob sich also - je nach
Wahl eines bestimmten Zentrums - die Frauen bezüglich bestimmter
Merkmale unterscheiden, z.B. nach Alter, Nationalität, Familienstand
oder Anzahl der vorangegangenen Geburten und Schwangerschaftsabbrüche.
Weitere Fragestellungen waren, ob die Beratung in den verschiedenen
Zentren qualitative Unterschiede erkennen lassen und ob die angebotenen
Hilfen für die Schwangeren variieren.
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- Zukunftsängste deutscher Frauen
- Generell lag das Durchschnittsalter der Hilfe
suchenden Frauen knapp über 29 Jahren. Ledige und verheiratete
Frauen hielten sich mit ca. 45 % die Waage, 10,7 % waren geschieden.
Zwei Drittel der Ratsuchenden waren Deutsche, jede zehnte Frau
war türkischer Herkunft und jede 20. Frau kam aus den Balkan-
bzw. den GUS/Osteuropastaaten oder aus dem EU-Gebiet. Je mehr
Schwangerschaften und Geburten eine Frau hinter sich hat, um
so wahrscheinlicher ist ein Abbruch. Überwiegend Frauen
ab 30 Jahren hatten bereits Erfahrungen mit ein oder mehreren
Abbrüchen gemacht.
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- Deutsche bis zu 28 Jahren neigen eher zu
Abbrüchen, als es bei der Gesamtheit aller Frauen der Fall
ist. Auch hinsichtlich der angegebenen Gründe für die
erwogene Schwangerschaftsunterbrechung gab es gravierende Unterschiede
zu Ausländerinnen. Bedeutend mehr deutsche Frauen nannten
eine physisch/psychische Überforderung und Zukunftsängste
als Ursache.
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- Mit nur 3,5 % ist der Anteil der indizierten
Schwangerschaftsunterbrechungen in Bayern sehr gering. Wenn sich
eine Frau zu diesem Schritt entschließt, lässt sie
sich durch ein Beratungsgespräch selten umstimmen.
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- Kalküle über die Höhe der
Hürden
- Warum wählt nun eine Frau gerade eine
bestimmte Einrichtung? Zu vermuten ist, dass außer religiösen
Einstellungen und Zielorientierung des Beratungsgespräches
auch Kalküle über die Höhe der Hürden angestellt
werden, die vor dem Beratungsschein zu überwinden sind.
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- Für ein Gespräch beim Gesundheitsamt
oder bei den Einrichtungen der Kirchen entschieden sich überproportional
viele ausländische Frauen, während deutsche Frauen
sich eher an Pro Familia wandten. Auch bei ledigen Frauen hatte
Pro Familia den höheren Anteil zu verzeichnen, während
verheiratete und geschiedene Frauen eher zu Gesundheitsamt tendierten.
Außerdem stellte man fest, dass Pro Familia überwiegend
Frauen anzieht, die zuvor noch keine Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen
gemacht hatten.
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- Besonders aufgefallen war bei der Angabe
der Gründe die Caritas: 99 % der Frauen, die dort zur Beratung
kamen, nannten neben anderen Ursachen eine psychisch/physische
Überforderung; Ängste vor Verantwortung und vor der
Zukunft gaben fast 90 % an. Pro Familia verzeichnet in diesen
Bereichen ebenfalls relativ hohe Werte. In den Protokollen beider
Einrichtungen und des Zentrums Kobergerstraße werden Gesundheitsprobleme
deutlich häufiger erwähnt als bei Gesundheitsamt und
Stadtmission. Bezüglich sozialer Probleme ergibt sich dagegen
keinerlei Unterschied zwischen den Beratungszentren.
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- Im Schnitt wird pro Konfliktberatung am wenigsten
Zeit im Gesundheitsamt, am meisten Zeit bei der Caritas aufgewendet.
Nur hier dauert die Beratung durchschnittlich deutlich länger
als eine Stunde. Möglich ist, dass die Frauen dort einem
stärkeren Rechtfertigungszwang unterliegen, aber auch, dass
die Entscheidung dieser Schwangeren noch relativ offen ist und
die Abwägung deshalb unter Umständen intensiver erfolgt.
Wer das Gesundheitsamt aufsucht, hat sich eventuell von vornherein
zu einem Abbruch entschlossen und ist nur noch an dem Beratungsschein
interessiert. Dies könnte auch der Grund dafür sein,
dass einige Themen aus dem Bereich der Informationen und Hilfsangebote
im Gesundheitsamt gar nicht oder kaum angesprochen werden. Zu
Rechtsfragen und finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten
informieren alle Einrichtungen gleichermaßen. Die Caritas
legt außerdem besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten
einer Adoption.
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- Auffällig war, dass ausländische
Schwangere signifikant weniger auf akute Hilfsmöglichkeiten
hingewiesen werden als deutsche. Bei konkreten Hilfsmaßnahmen
haben Ausländerinnen fast durchwegs etwas schlechtere Karten;
bevorzugt werden sie allerdings bei der Vermittlung von Behördenkontakten
und der Auszahlung gesetzlicher Unterhaltsvorschüsse. Ausländische
Frauen erhalten eher materielle, deutsche Frauen dagegen eher
kommunikative Hilfe.
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- Was Frauen tatsächlich dazu bewegt,
eine bestimmte Beratungseinrichtung zu wählen, kann anhand
der Protokolle nicht entschieden werden; hier könnte nur
eine Befragung der Schwangeren Antwort geben.
Antje Ludewig
· Kontakt:
Dr. Reinhard Wittenberg, Lehrstuhl für Soziologie
Findelgasse 7/9, 90409 Nürnberg
Tel.: 0911/5302 -699, -679, Fax: 0911/5302 -660
E-Mail: wittenberg@wiso.uni-erlangen.de
Internet: http://www.wiso.uni-erlangen.de/WiSo/Sozw/sozio1.
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- Mediendienst FORSCHUNG Nr. 586 vom 25.01.2001
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