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- Situation von Ärztinnen und Ärzten
in den ersten Jahren nach dem Berufseinstieg
Die Zeit der Ernüchterung
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- Der Arzt als Helfer und Heiler ist das
Vorbild beim Einstieg in den ärztlichen Beruf, aber solche
Idealvorstellungen werden bald zurückgestutzt. Prestige
und Erfolg holen in der Werteskala junger Medizinerinnen und
Mediziner auf, wenn die Arbeit sie mit Strukturen konfrontiert,
die sie zunächst als stark belastend, beengend und unerfreulich
erleben. Dass die Identifikation mit dem Beruf dennoch hoch bleibt
und Dauerstress kein Grund zur Unzufriedenheit sein muss, zeigt
eine Untersuchung von Prof. Dr. Andrea Abele-Brehm am Lehrstuhl
für Sozialpsychologie der Universität Erlangen-Nürnberg.
Für Frauen gilt dies allerdings nur bedingt. Ärztinnen
verlieren in den ersten Jahren an Selbstvertrauen, und sie haben
an einer Doppelrolle als Mutter und Assistenzärztin besonders
schwer zu tragen.
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- Diese Zwischenergebnisse sind den Daten einer
Studie entnommen, die über fünf Jahre hinweg den beruflichen
und privaten Lebensweg von Absolventinnen und Absolventen aller
Fachrichtungen der Universität Erlangen-Nürnberg verfolgt.
Unter denen, die bisher dreimal ausführliche Fragenkataloge
zu ihren Plänen und ihren späteren Erfahrungen beantworteten,
sind 212 Medizinerinnen und Mediziner, bei einem Frauenanteil
von 44 Prozent. Sie haben 1995/96 das zweite Staatsexamen abgelegt
und wurden drei Monate nach der Abschlussprüfung erstmals
befragt. Die zweite Befragung fiel auf das Ende der Ausbildung
als "Arzt im Praktikum", die dritte in die Anfangsphase
der Assistenzarztzeit. Die Auswertung entwirft einen differenziertes
Bild der Anfangsjahre im Arztberuf.
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- Beruf als Berufung
- Ursprünglich bringen Absolvierende der
Medizin zum Start ins Berufsleben mehr Altruismus mit als andere
Akademikerinnen und Akademiker. Sie betrachten den idealen Arzt
als fürsorglich und beziehungsorientiert, wollen andere
Menschen unterstützen und betreuen und die Zusammenarbeit
mit Kollegen suchen. Der ärztliche Beruf ist für sie
in hohem Grade eine "Berufung". Daneben gilt ihnen
Leistung als Lebensziel besonders viel. In der Bedeutung, die
sie Werten wie Prestige, Fortschritt oder Autonomie in der Berufswelt
zumessen, unterscheiden sie sich nicht von den übrigen Befragten.
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- In anderen Fächern werden humanistische
Einstellungen nicht ganz so hoch gehalten, doch ändert sich
die Bewertung nach dem Berufseinstieg wenig und eher zum Positiven.
Beim medizinischen Nachwuchs dämpft die Zeit als "Arzt
im Praktikum" (AiP) die zuvor vertretenen Ideale dagegen
sichtlich. Neben Prestige und Fortschritt gewinnen Freizeitgestaltung
und Abwechslung an Anziehungskraft.
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- Die Ausbildung in einem akademischen Lehrkrankenhaus
wird als außergewöhnlich belastend empfunden. Die
Arbeitszufriedenheit zu dieser Zeit ist relativ niedrig. Die
jungen Medizinerinnen und Mediziner fühlen sich finanziell
benachteiligt, berichten von geringen Handlungsspielräume
und hierarchischen Führungsstrukturen und erleben häufig
negative Beziehungen am Arbeitsplatz. Der Zukunft sehen sie allerdings
optimistisch entgegen. Ihren Erfolg im Beruf und die Qualifizierungsmöglichkeiten
beurteilen sie nicht schlechter als andere Befragte, ihre Aufstiegschancen
sogar deutlich besser.
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- Zur Assistenzarztzeit rückt die Arbeit
noch stärker in den Mittelpunkt des Lebens. Die Belastung
wächst, aber auch das berufliche Engagement - zwei Tendenzen,
die ein Spannungsfeld aufbauen. Den hohen Anforderungen, die
sich ihnen stellen, sind die Ärzte offensichtlich gewachsen,
wenn auch um den Preis einer Tendenz zum "workaholic".
Mit ihrem Leben sind sie ebenso zufrieden wie andere akademische
Berufsgruppen. Die Arbeitszufriedenheit, die Bindung an den Arbeitsplatz
und das berufliche Selbstvertrauen spielen dabei eine wichtige
Rolle. Allerdings ist das Privatleben in der Altersstufe der
Befragten ebenfalls sehr wichtig. Stabile Partnerschaften tragen
viel zu einem positiven Lebensgefühl bei.
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- Den Ärztinnen sinkt der Mut
- In dieser Phase weichen Berufslaufbahnen
und Selbsteinschätzungen von Männern und Frauen jedoch
erstmals deutlich voneinander ab. Ärztinnen, die Beruf und
Mutterschaft zu vereinbaren versuchen, sind besonders unzufrieden.
Knapp ein Fünftel verzichtet einstweilen auf einen Arbeitsplatz
und widmet sich nur den Kindern. Diese jungen Mütter sind
zufriedener mit ihrem Leben, doch sie nehmen in Kauf, dass es
für sie keine Garantie auf eine Rückkehr in den Beruf
gibt. Arbeitslosigkeit betrifft Medizinerinnen generell häufiger
als Mediziner.
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- Auffallend ist, dass Frauen im Arztberuf
im Lauf der Jahre entmutigt wurden oder sich selbst entmutigt
haben. Auch wenn Leistungen und Beschäftigungsverhältnisse
denen der Männer vergleichbar sind, trauen sie sich weniger
zu. Junge kinderlose Assistenzärztinnen sehen ihre Aufstiegschancen
wesentlich pessimistischer als ihre männlichen Kollegen
und beginnen an ihrer Kompetenz zu zweifeln. Ihr berufliches
Selbstvertrauen sinkt - im Gegensatz zu dem der Ärzte, aber
auch im Gegensatz zu dem, was Akademikerinnen im allgemeinen
in den ersten Berufsjahren erleben. In der Untersuchung der Folgejahre
wird sich zeigen, ob diese Tendenz anhält und was beim kontinuierlichen
"Hineinwachsen" in den Arztberuf von den einstigen
Idealen übrig bleibt.
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- Kontakt:
Prof. Dr. Andrea Abele-Brehm, Lehrstuhl Sozialpsychologie
Bismarckstraße 6, 91054 Erlangen
Tel.: 09131/85 -22307, Fax: 09131/85 -22951
E-Mail: abele@phil.uni-erlangen.de
Mediendienst FORSCHUNG Nr. 598 vom 08.06.2001
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