Aktuelles


Mittagsvorträge „Jenseits des Tellerrands“

Meldungen und Termine

Ab 2. November, jeweils mittwochs, 12.15-13 Uhr, Senatssaal im Erlanger Kollegienhaus (Raum 1.011), Universitätsstraße 15

Die „Justinianische“ Pest, die seit 541 n. Chr. den Mittelmeerraum heimsuchte, war eine der schlimmsten Katastrophen, von der Europa und der Nahe Osten je betroffen waren. Als die Seuche ausbrach, stand das Römische Reich auf seinem letzten Höhepunkt. Wenige Jahrzehnte später war von ihm nur noch der zusammengeschrumpfte Ostteil, Byzanz mit seiner Hauptstadt Konstantinopel, übrig und ein neues Weltreich hatte sich gebildet. Prof. Dr. Karl-Heinz Leven, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU,) untersucht dieses Thema in seinem Eröffnungsvortrag zur Vorlesungsreihe „Jenseits des Tellerrands“ am 2. November. Unter dem Titel „Kaiser, Komet und Katastrophe. Die ‚Justinianische‘ Pest und der Fall Roms“ erläutert er, dass das Ausmaß der Katastrophe und ihre Deutung zu allen Zeiten und bis in die Gegenwart umstritten gewesen sind. Der Vortrag skizziert die Ereignisgeschichte der „Justinianischen“ Pest und beleuchtet antike und moderne Erklärungsversuche, die von der Vorstellung der Pest als Strafe Gottes bis zu Theorien über die Folgen eines Kometeneinschlags reichen.

Mit dem Schicksal jüdischer Frauenärzte während des Nationalsozialismus beschäftigt sich PD Dr. Fritz Dross, Assistent am Lehrstuhl für Geschichte der Medizin, am 9. November in seinem Vortrag „ ‚… ob er nicht in Amerika bleiben kann.‘ Die Verdrängung und Vertreibung ‚jüdischer‘ Gynäkologen aus Bayern im Nationalsozialismus.“ Ohne erkennbaren Einspruch akzeptierte die verfasste Ärzteschaft die eigene Kategorisierung nach rassistischen Kriterien und nahm die damit bezweckte Verdrängung und Vertreibung von als „jüdisch“ bezeichneten Kollegen im besten Falle teilnahmslos hin. Dross wird diesen Vorgang anhand biographischer Details zweier vertriebener Gynäkologen veranschaulichen.

Ganz einfach, so möchte man denken, ist für den Arzt die Grenzziehung zwischen gesund und krank bzw. normal und krank. Tatsächlich aber gehört die Definition des menschlichen Normalzustands zu den grundlegenden Fragen medizinischer Theorie. Besonders lebhaft von Ärzten in der Weimarer Republik diskutiert, bewegen sich die Lösungsansätze noch immer auf einem weiten Feld zwischen Statistik und Sozialkonstruktivismus – das zeigt Dr. Nadine Metzger, Assistentin am Lehrstuhl für Geschichte der Medizin, am 16. November. Unter dem Titel „Was ist normal, was ist krank? Durchschnitt, Norm und Ideal in der medizinischen Diskussion der 1920er“ wird sie anhand des historischen Beispiels in die Diskussion einführen und die verschiedenen Positionen geschichtlich verorten.

Die Leistungsmedizin avancierte im „Dritten Reich“ zu einer der gesundheits-, sozial- und arbeitspolitischen Säulen des NS-Regimes, wie ein aktuelles Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Geschichte der Medizin zeigt. Philipp Rauh, M.A., stellt es in seinem Vortrag zum Thema „Von der Ideologisierung der Arbeitskraft. Leistungsmedizin im Nationalsozialismus“ am 23. November vor und verdeutlicht, dass im NS-Regime die größtmögliche Ausnutzung der individuellen Arbeitsleistung angestrebt wurde. Die klassischen Tätigkeitsfelder der Gewerbe- und Arbeitsmedizin wurden von der Gesundheitsführung in das Konzept einer NS-Leistungsmedizin integriert.

Das Sammeln hat in der Medizin eine lange Tradition. Ob Krankengeschichten oder histologische Schnitte, Wachsmoulagen oder Gewebedatenbanken, Diaschränke oder Feuchtpräparate – spezialisierte Sammlungen bildeten (und bilden) die Grundlage für Forschung und Lehre in der Medizin. PD Dr. Marion Maria Ruisinger, Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt, erläutert am 30. November unter dem Titel „Sammeln in der Medizin. Eine Tradition und ihre Folgen“, welchem Wandel die Sammlungen im Laufe der Zeit unterworfen waren. Ihr Vortrag stellt die medizinische Sammlungstradition an historischen Beispielen vor und diskutiert die Probleme und Potentiale, die medizinische Sammlungen heute bergen.

Mit dem zentral gelenkten Gesundheitswesen in der DDR, das als Aushängeschild galt, beschäftigt sich Dr. Florian Bruns, Mitarbeiter an der Professur für Ethik in der Medizin am 7. Dezember, unter dem Titel „Sprachrohr des Unmuts. Eingaben von Patienten als Spiegel der medizinischen Versorgung in der DDR“. Wie beurteilten Patienten die medizinische Versorgung im real existierenden Sozialismus tatsächlich? Welche Konflikte gab es und welche Möglichkeiten besaßen die Bürger eines diktatorisch regierten Staates auf strukturelle Mängel oder individuelle Probleme innerhalb der Arzt-Patienten-Beziehung aufmerksam zu machen? Anhand schriftlicher Eingaben von Patienten an das Zentralkomitee der SED zeichnet Bruns den medizinischen Alltag in der DDR sowie das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat nach.

Grundzüge der Bewegung des Transhumanismus zeigt Dr. Stefan Lorenz Sorgner, Mitarbeiter an der Professur für Ethik in der Medizin am 14. Dezember auf unter dem Titel „ ‚Warum ich ein Posthumaner sein will‘. Transhumanismus und die Zukunft der Medizin“. Nach Einschätzung Sorgners hat sich die Bewegung inzwischen von einem Nischendasein entfernt und eine breite Wirkungsmächtigkeit entfaltet. Noch vor zehn Jahren schätzte der Philosoph Jürgen Habermas den Transhumanismus ganz anders ein: „Eine Hand voll ausgeflippter Intellektueller versucht, aus dem Kaffeesatz eines naturalistisch gewendeten Posthumanismus die Zukunft zu lesen, um an der vermeintlichen Zeitmauer doch nur – ‚Hypermoderne’ gegen ‚Hypermoral’ – die sattsam bekannten Motive einer sehr deutschen Ideologie weiterzuspinnen. Glücklicherweise fehlt der elitären Verabschiedung von ‚Gleichheitsillusion’ und Gerechtigkeitsdiskurs noch die breitenwirksame Ansteckungskraft“. Mit Sorgners Vortrag soll jeder selbst die Möglichkeit bekommen zu beurteilen, ob Habermas mit seiner Einschätzung richtig liegt oder nicht.

Prof. Dr. Karl-Heinz Leven, Tel.: 09131/85-22094, karl-heinz.leven@gesch.med.uni-erlangen.de

uni | mediendienst | aktuell Nr. 274/2011 vom 27.10.2011

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