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Sensorisches Nervensystem spielt Schlüsselrolle bei Darmentzündungen

FAU-Forscher entdecken neue Therapiemöglichkeiten

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind für die Betroffenen nicht nur schmerzhaft und äußerst lästig, sie stellen auch ein hohes Gesundheitsrisiko dar, denn überdurchschnittlich häufig ist Krebs die Folge. Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und des Universitätsklinikums Erlangen haben nun einen Neuro-Immun-Pfad entdeckt, der für die Entstehung von Colitis entscheidend ist. Dr. Matthias Engel und Prof. Dr. Peter Reeh vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie sowie Prof. Dr. Markus Neurath, Medizinische Klinik 1, konnten nachweisen, dass der sogenannte TRPA1-Rezeptorkanal eine Schlüsselrolle bei experimentell ausgelösten Darmentzündungen spielt. Ihre Forschungsergebnisse haben die Wissenschaftler im renommierten Fachmagazin „Gastroenterology“ veröffentlicht (www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21763243)

Dieser Rezeptorkanal kommt in sensorischen Nervenfasern im Darmgewebe vor und ist für die Verarbeitung von chemisch, indirekt auch von mechanisch ausgelösten Schmerzreizen verantwortlich. Bei Aktivierung schüttet er entzündlich wirkende Neuropeptide wie „Substanz P“ aus. „Genetisch veränderte Mäuse, denen der TRPA1-Rezeptor fehlt, sind vor der experimentell ausgelösten Colitis geschützt“, erklärt Projektleiter Dr. Matthias Engel. „Derselbe Effekt zeigt sich, wenn dieser Rezeptorkanal blockiert ist.“ Die Mediziner haben hierfür ein noch nicht zugelassenes Medikament eingesetzt, das den Rezeptorkanal blockiert. Die experimentelle Einleitung einer Darmentzündung – üblicherweise induziert durch die Gabe von TNBS (Trinitrobenzoe-Sulfonsäure) – war nicht mehr möglich.

darm-forschungaktuell53 / Grafik: Matthias Engel

Gewebsschnitte aus dem Dickdarm zeigen, wie wirksam die Therapie mit dem TRPA1 Blocker HC
030031 ist. Links Zellen aus dem gesunden Darm: Im oberen Bildanteil sieht man die Muskulatur
des Darmes, der untere dunklere Bildanteil mit drüsigen Strukturen zeigt die Darmschleimhaut. In
der Mitte sieht man das Bild einer schweren Dickdarmentzündung mit zerstörter Gewebsarchitektur
und einer Vielzahl eingewanderter Entzündungszellen (dunkle Punkte). Das rechte Schnittbild aus
dem Darm, unter Therapie mit dem neuen Medikament, zeigt normale Gewebsarchitektur und nur
wenige Entzündungszellen. Grafik: Matthias Engel

Die Wissenschaftler hatten zunächst die Entdeckung gemacht, dass TNBS die sensiblen Nervenendigungen über die Aktivierung des TRPA1-Rezeptorkanals direkt erregt. So lag es nahe, genetisch veränderte Mäuse, bei denen dieser Rezeptorkanal fehlte, auf die Entwicklung verschiedener Darmentzündungen hin zu untersuchen. Dass zudem auch die medikamentöse Blockade von TRPA1 vor Colitis schützt, und damit sogar kranke Tiere wieder geheilt werden konnten, macht die Kliniker zuversichtlich: „Durch die Deaktivierung dieses Rezeptorkanals kann man nicht nur den Entzündungsschmerz abschalten, sondern auch die Krankheit selbst heilen!“ Dies verspricht ganz neue Heilungschancen für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.

Mittlerweile ist bekannt, dass chronische Darmentzündungen wie Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn zwar Autoimmunkrankheiten sind, aber auch auf ein Leck in der Barriere zwischen Darmflora und Darmschleimhaut zurückzuführen sind. „Doch noch immer liegt der Schlüssel zum Verständnis dieser Krankheiten in der Kontrolle der Entzündungsprozesse“, ist sich das Erlanger Forscherteam sicher.

In ihrer Forschung fokussieren die Kliniker insbesondere die Rolle des Nervensystems. Im Mittelpunkt steht dabei, neben dem TRPA1-Rezeptorkanal, die sogenannte „Substanz P“, ein Neuropeptid, das von sensorischen Nervenfasern ausgeschüttet wird und das entzündungsfördernd wirkt. „Die Freisetzung von „Substanz P“ wird wesentlich über den TRPA1-Rezeptorkanal vermittelt“, sagt Physiologie-Professor Peter Reeh.

Der TRPA1-Rezeptorkanal und „Substanz P“ verbinden neurologische und immunologische Prozesse bei der Colitis. Sie bilden in experimentell ausgelösten Darmentzündungen einen entscheidenden „Neuro-Immun-Pfad“. Wird dieser Pfad pharmakologisch unterbrochen, ist es nicht nur möglich, die Symptome von chronisch entzündlichen Darmkrankheiten zu behandeln und den Schmerz zu lindern, sondern es besteht für die Patienten sogar eine realistische Chance auf Heilung. „Mäuse konnten wir durch die Deaktivierung des Rezeptorkanals schon heilen, und wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse dazu beitragen, dass dies auch bald bei Menschen der Fall sein wird“, sagt Dr. Engel.

Weitere Informationen für die Medien:

Dr. Matthias A. Engel
Tel.: 09131/85-29301
engel@physiologie1.uni-erlangen.de

uni | mediendienst | forschung Nr. 53/2011 vom 8.11.2011

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