Schicksal, Freiheit und Prognose


Internationales Kolleg wird mit bis zu zwölf Millionen Euro gefördert

Bei einem Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Stärkung der Geisteswissenschaften hat sich ein Konzept durchgesetzt, das vom Lehrstuhl für Sinologie und vom Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg vorgelegt wurde. Das geplante internationale Forschungskolleg mit dem Titel „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“ wurde von einem Gutachtergremium zur Förderung empfohlen und wird nun jährlich bis zu zwei Millionen Euro erhalten. Die internationalen Kollegs sind das Kernstück der im Jahr 2007 angelaufenen Initiative „Freiraum für die Geisteswissenschaften“. In der diesjährigen 2. Auswahlrunde hatten insgesamt vier Forschungskollegs Erfolg.

Menschen in Ostasien reagieren scheinbar gelassener auf die Wechselfälle des Lebens. Zumindest stellt sich dies westlichen Beobachtern so dar. Ob in ostasiatischen Kulturen tatsächlich Vorstellungen vom Schicksal und eine Sicht auf künftige Ereignisse vorherrschen, welche die psychische Stabilität begünstigen, muss jedoch erst noch erforscht werden. Für westliche Zivilisationen wird dagegen eine grundsätzliche Offenheit der Erfahrungen unterstellt: Nichts, was geschieht, erfolgt demnach zwangsläufig. Was die Zukunft bringen wird, bleibt größtenteils unbestimmt und entzieht sich eindeutigen Aussagen. Für das individuelle oder kollektive „Schicksal“ und Strategien zu seiner Bewältigung ist in diesem Verständnis kein Platz, und Prognosen werden nur noch akzeptiert, wenn sie wissenschaftlich begründet sind. Dennoch bleibt die Prognostik auch in westlichen Gegenwartsgesellschaften allgegenwärtig. Der Blick nach vorn ist eine anthropologische Konstante, die sich, wenn auch verschiedenartig artikuliert, in allen Kulturen findet.

Anders als in größeren Forschungsverbünden in Europa üblich, ist die Sinologie in diesem Vorhaben die Leitdisziplin. Dies wirkt der Gefahr eines Eurozentrismus ebenso entgegen wie die Fragestellung. Eine erhebliche Anzahl von Forscherinnen und Forschern aus Ostasien ist an dem Forschungskolleg beteiligt. Dadurch wird die systematische Konfrontation von verschiedenartigen Wissenskulturen garantiert. Um die Kategorie der „Freiheit“ in ihrer ostasiatischen Bedeutung einzugrenzen, die viele Facetten enthält, ist ein Vergleich mit dem europäischen Raum nötig. Dazu bietet sich ein Rückgriff auf Epochen des Mittelalters und der frühen Neuzeit an, in denen verschiedene Kulturen und Religionen aufeinandertreffen, so dass Entwicklungslinien in die Moderne deutlich erkennbar werden. Hier finden sich Anknüpfungspunkte für den Umgang mit Schicksal, Freiheit und dem Voraussagen der Zukunft in Europa.

Das Internationale Forschungskolleg soll die historischen Grundlagen von Prognostik erarbeiten, die sich bis in unsere unmittelbare Gegenwart auswirken. Es werden neuartige Antworten auf die Frage erwartet, ob in der chinesischen Moderne - oder generell in der Moderne Ostasiens - bestimmte Schicksalsvorstellungen und Bewältigungsstrategien aufzufinden sind, die sich von denen des Westens deutlich unterscheiden.

Geleitet werden die Forschungen an der Universität Erlangen-Nürnberg von den Sinologen Prof. Dr. Michael Lackner und Prof. Dr. Thomas Fröhlich (2. Stellvertreter) sowie Prof. Dr. Klaus Herbers, Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters (1. Stellvertreter). Beide Fächer decken einige Wissenschaftsschwerpunkte der Universität im geisteswissenschaftlichen Bereich ab, vor allem Regionalforschung, Globalisierung und Mittelalterforschung. Unter anderem sind sie in Verbundprojekten wie Graduiertenkollegs zu Kulturtransfer und Kulturhermeneutik oder in Schwerpunktprogrammen hervorgetreten. Die Universität Erlangen-Nürnberg erwartet, dass sie durch das Internationale Forschungskolleg einen neuen strukturbildenden Schwerpunkt in den Geis­teswissenschaften hinzugewinnt.

Weitere Informationen für die Medien

Prof. Dr. Michael Lackner
Tel.: 09131/85-29356
Michael.Lackner@sino.phil.uni-erlangen.de

uni | mediendienst | forschung Nr. 44/2008 vom 05.11.2008

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